Politik

Regulierung und Harmonisierung weiter zentral für digitales Gesundheitswesen

  • Mittwoch, 9. April 2025
/MQ-Illustrations, stock.adobe.com
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Berlin – Bessere Regulierung, stärkere Koordinierung und mehr europäische Harmonisierung sind zentral für eine erfolgreiche Digitalisierung im Gesundheitswesen. Darüber waren sich Fachleute bei der Digitalmesse DMEA weitgehend einig.

So fordert der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion für E-Health, Matthias Mieves, mehr Zentralisierung bei der digitalen Terminvergabe und mehr Delegation im Gesundheitswesen.

Demografische Entwicklung und Fachkräftemangel würden es in Zukunft deutlich erschweren, in der Breite eine hochwertige Gesundheitsversorgung zur Verfügung zu stellen. Allein schon deshalb sei es notwendig, mittels digitaler Tools und Strukturen effizienter zu arbeiten als bisher.

Ein Bick in die skandinavischen Länder würde dabei zeigen, welche Möglichkeiten diese böten. So hätten in Schweden 30 Prozent der Patienten nur digitalen Kontakt zu Ärzten.

„Wir müssen schlauer mit unseren Ressourcen umgehen“, forderte Mieves. Dazu gehöre auch, andere qualifizierte Berufsgruppen – vor allem in der Pflege – stärker einzubinden und ihnen mehr Befugnisse als bisher einzuräumen. „In Deutschland lassen wir Kompetenzen brachliegen.“

Wenig Gutes hatte Mieves über die Terminrufnummer 116117 zu sagen. „Die meisten kennen sie nicht und die, die sie nutzen, sind frustriert“, kritisierte er. Kernproblem sei, dass jedes Bundesland mit seinen jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) den Service nach eigener Maßgabe betreibe.

Dadurch sei die Qualität des Terminservice regional sehr unterschiedlich. „Das ist ein absoluter Zoo in Deutschland“, sagte er. Er plädiere deshalb für eine Zentralisierung des Dienstes. „Da brauchen wir eine Kraftanstrengung, um das in Deutschland auf ein neues Level zu bringen.“

Großen Handlungsbedarf gebe es zudem auf den Gebieten Datennutzung und Marktzugang. Die elektronische Patientenakte (ePA) müsse „zur zentralen Plattform und wesentlichem Fundament“ für die Forschung werden.

Durch eine bessere Verknüpfung von Registern müsse eine neue Evidenzbasis geschaffen werden. Die neue Regierungskoalition werde die Arbeit daran konsequent weiterführen. Dabei sehe sie den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) als „zentralen Orientierungspunkt“.

Ausgründungen erleichtern

Zudem müssten Ausgründungen aus Universitäten und die Skalierung innovativer digitaler Angebote erleichtert werden. Dazu müssten die Erstattungsverfahren so angepasst werden, dass innovative Angebote schneller in die Versorgung kommen, wozu auch mehr europäische Harmonisierung nötig sei.

Insbesondere in zwei Feldern sieht Mieves strukturellen Handlungsbedarf: Bei Digitalen Pflegeanwendungen (DiPA) sowie beim Telemonitoring. Es gebe bereits viele gute Anwendungen, die es aber nicht in die Erstattungsfähigkeit schafften.

Kernproblem sei, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beim Telemonitoring jeden Anwendungsfall einzeln eruieren und bestimmen müsse. Diese Systematik sei zu statisch, zu einzelfallgetrieben und zu innovationsfeindlich.

Zudem müssten auf deutscher wie auf europäischer Ebene Regulierungswerke angepasst werden, um Innovationen in der Versorgung nicht zu behindern. Man dürfe „nicht zu Tode regulieren und muss Mehrfachregulierungen vermeiden“.

Das sei zum Beispiel der Fall beim AI Act und der Medizinprodukteverordnung (MDR). Es dürfe nicht passieren, dass es im selben Bereich mehrere Regelwerke gebe, die sich zum Teil sogar widersprechen. „Da müssen wir nochmal ans Feintuning“, erklärte er.

Clara Sattler de Sousa e Brito, Regionalleiterin Europa beim Elektronikkonzern Philips, erklärte an anderer Stelle, was die MDR für Medizinproduktehersteller bedeute: Sie führe bei der Zulassung zu einer Kostensteigerung von 262 Prozent, eine Verlängerung der Verfahrensdauer von neun bis zwölf auf zwölf bis 24 Monate und einen zehn Prozent höheren Personalbedarf.

Das sei ein konkretes Innovationshemmnis in Deutschland, weil es dazu führe, dass Unternehmen neue Medizinprodukte – insbesondere solche, die mit künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten – zuerst auf andere Märkte bringen, zu denen der Zugang leichter ist.

Mentalitätswandel notwendig

Regulierungen und Strukturen alle reichten aber nicht, es brauche gerade bei der Kopplung von universitärer Forschung und Unternehmen einen Mentalitätswandel in Deutschland, forderte Ariel Dora Stern, Professorin für Digital Health, Economics & Policy am Hasso-Plattner-Institut.

„Alle haben zu viel Angst vor Interessenkonflikten“, bemängelte sie. Diese könne man managen, auch ohne innovativen Geschäftsideen Steine in den Weg zu legen. Die Offenheit für einen stärkeren Einsatz digitaler Anwendungen in der Versorgung selbst, werde wiederum die Zeit mit sich bringen, erklärte Stern.

Knapp die Hälfte der Ärztinnen und Ärzte in Deutschland hätten ihre medizinische Ausbildung bereits abgeschlossen gehabt, als das erste iPhone auf den Markt kam, erklärte sie. Ein großer Teil der Ärzteschaft sei schlicht keine Digital Natives.

„Die demografischen Faktoren werden uns in die richtige Richtung lotsen, ob wir wollen oder nicht“, sagte sie. „Es wird da einen Generationswechsel geben.“

Von akuter Bedeutung sei hingegen, zügig eigene Datenbestände und -infrastrukturen aufzubauen. Das würden die aktuellen Entwicklungen in den USA zeigen, von denen Europa noch zu sehr abhängig sei.

Die Bekämpfung der akademischen Forschung durch die Trump-Administration untergrabe nicht nur das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Dienste, sondern führe ganz konkret bereits dazu, dass erste Datenbestände in den USA gelöscht würden. Das müsse ein Weckruf sein, sich auch hier unabhängiger zu machen.

Ein Positivbeispiel für innovative Ansätze, die durch politische Unterstützung möglich werden, zeigte daraufhin Evelin Schröck, Fachärztin für Humangenetik und Direktorin des Instituts für Klinische Genetik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus in Dresden, anhand des Modellprojekts Genomsequenzierung auf.

Es sei weltweit einzigartig, dass die Genomsequenzierung von Krankenkassen bezahlt werde. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) habe das Potenzial und die Bedeutung der Technologie verstanden. 700 Millionen Euro hat es für die Dauer von fünf Jahren für das Projekt bereitgestellt.

„Das ist eine riesige Chance für die Patientinnen und Patienten, Diagnose und Behandlung schneller zu erhalten“, sagte sie. „Was wir erreichen wollen, ist, dass wir die diagnostische Odyssee, die in Deutschland im Schnitt fünf Jahre dauert, erheblich verkürzen.“

Es müsse nun bald evaluiert werden, welche konkreten Auswirkungen die systematische Genomsequenzierung bei Tumoren und seltenen Erkrankungen auf die Versorgung hätten.

Gematik sieht Deutschland auf Überholspur

Die Gematik beteuerte, dass Deutschland bei der Förderung innovativer Versorgungsansätze auf einem guten Weg sei. Allein im Bereich KI fördere das BMG derzeit 38 Projekte mit zusammen 180 Millionen Euro, erklärte Stefan Höcherl, Bereichsleiter Strategie & Standards.

Dazu gehöre beispielsweise das vielversprechende Projekt SATURN zur KI-gestützten Diagnosehilfe für Hausärztinnen und Hausärzte bei unspezifischen und nicht charakteristischen Symptomen.

Höcherl betonte, es dürfe dabei aber nicht nur darum gehen, bestehende Prozesse digital abzubilden. „Nicht alle Prozesse sind gute Prozesse“, sagte er. „Wir haben viele Prozesse im Gesundheitswesen, die nicht einfach digitalisiert werden sollten, sondern grundlegend transformiert werden müssen.“

Deutschland habe in den vergangenen Jahren stark aufgeholt. Mittlerweile würden sich auch andere europäische Länder an die Gematik wenden, weil sie sich für die innovativen Ansätze im deutschen Gesundheitswesen interessieren. Das sei neu.

So werde die Gematik auch bei der Ausgestaltung des EHDS eine zentrale Rolle spielen. Von April bis September werde es einen Konsultationsmarathon geben, in dem es um die Harmonisierung der Datenformate im EHDS geht. Alle Stakeholder seien eingeladen, sich konstruktiv daran zu beteiligen. „Was wir als Gematik gelernt haben, ist, sehr stark auf die Koordinationskraft einer großen Community zu setzen“, betonte er.

lau

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