Richterwahl: Brosius-Gersdorf weist Kritik als „diffamierend“ und „falsch“ zurück

Berlin – Nach der gescheiterten Verfassungsrichterwahl hat die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf gegen sie erhobene Vorwürfe als „diffamierend“ und „falsch“ zurückgewiesen.
Die Berichterstattung über sie und ihre Positionen sei „in Teilen der Medien unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent“ gewesen, heißt es in einer Erklärung, die eine Anwaltskanzlei in Bonn in ihrem Auftrag veröffentlichte.
Die Berichterstattung sei „nicht sachorientiert“, sondern von dem Ziel geleitet gewesen, „die Wahl zu verhindern“, fuhr Brosius-Gersdorf fort. Die Bezeichnung als „ultralinks“ oder „linksradikal“ sei dabei „diffamierend und realitätsfern“ gewesen. „Ordnet man meine wissenschaftlichen Positionen in ihrer Breite politisch zu, zeigt sich ein Bild der demokratischen Mitte.“
Der Bundestag hätte am vergangenen Freitag eigentlich drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht neu besetzen sollen. Im Wahlausschuss des Parlaments bekamen auch alle drei eine Mehrheit. In der Union gab es aber dann Vorbehalte gegen Brosius-Gersdorf.
CDU/CSU forderten kurz vor der Abstimmung im Plenum von der SPD, die Kandidatin zurückzuziehen. Daraufhin wurde die gesamte Wahl abgesetzt. Die Union begründete ihre Kritik unter anderem mit der Haltung der Juristin zum Thema Schwangerschaftsabbrüche.
Die Rechtswissenschaftlerin hatte 2023 und 2024 in der von der Ampelregierung eingesetzten Kommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin mitgearbeitet. Diese empfahl unter anderem die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche.
Darüber hinaus hatte Brosius-Gersdorf einen Aufsatz in der „Festschrift für Horst Dreier zum 70. Geburtstag“ mit dem Thema „Menschenwürdegarantie und Lebensrecht für das Ungeborene. Reformbedarf beim Schwangerschaftsabbruch“ veröffentlicht.
An Formulierungen des Aufsatzes hatte sich Kritik entzündet – etwa an der Passage, dass die Annahme, die Menschenwürde gelte automatisch für jedes menschliche Leben, ein „biologistisch-naturalistischer Fehlschluss“ sei.
Gegen die Kritik und die Interpretation ihrer Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen wehrte sich Brosius-Gersdorf nun inhaltlich. „Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten. Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar“, betonte die Juristin nun in ihrer Stellungnahme.
Sie schreibt weiter, richtig sei vielmehr, dass sie auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen habe, das bestehe, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkenne wie dem Mensch nach Geburt. „Unter der herrschenden rechtsdogmatischen Prämisse der Nichtabwägungsfähigkeit der Menschenwürde mit Grundrechten Dritter wie der Schwangeren wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig“, erklärte sie.
Auch ein Abbruch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau schiede dann aus. Es sei aber „die seit langem bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer Indikation zulässig ist“, schreibt sie in der Stellungnahme weiter.
„Mein Bestreben und meine Aufgabe als Wissenschaftlerin war und ist es, auf diese Problematik und auf Inkonsistenzen im bestehenden Recht hinzuweisen sowie Lösungsmöglichkeiten für eine widerspruchsfreie Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufzuzeigen.“
Aus ihrer Sicht könne die Lösung verfassungsrechtlich nur sein, dass entweder die Menschenwürde doch abwägungsfähig sei oder für das ungeborene Leben nicht gelte. „Diesen notwendigen verfassungsdogmatischen Erörterungsbedarf habe ich aufgezeigt, ohne damit die Position zu vertreten, dass das ungeborene Leben schutzlos sei. Im Gegenteil“, betonte Brosius-Gersdorf.
Selbst wenn die Menschenwürde erst für den Mensch ab Geburt gelten sollte, wäre das ungeborene Leben nicht schutzlos. Ihm stehe ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu, wofür sie stets eingetreten sei. Der Vorwurf, sie würde für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt eintreten und sei „lebenskritisch“, sei „falsch und entbehrt jeder Grundlage“.
„Meine diesbezüglichen Veröffentlichungen lassen sich auch nicht dahingehend missverstehen. Das von mir aufgezeigte verfassungsdogmatische Dilemma wird verkürzt wiedergegeben und genutzt, um mir unzutreffend zu unterstellen, ich würde nicht für das Grundrecht auf Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation eintreten“, schreibt sie weiter.
Die SPD will an Brosius-Gersdorf festhalten. Aus der Union kommen hingegen Forderungen nach einer neuen Kandidatin, zum beispielsweise von CSU-Chef Markus Söder.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hält seine Koalition nach dem Streit um die gescheiterte Neuwahl von Verfassungsrichtern nicht für beschädigt. Bei einem Besuch des bayerischen Kabinetts auf der Zugspitze sagte Merz, in den mittlerweile zehn Wochen seiner Bundesregierung habe es zwei Themen gegeben, bei denen seine Regierung nachjustieren müsse. Kommunikativ sei die Debatte um die Stromsteuer nicht gut gelaufen, handwerklich das Thema Richterwahl.
„Das beschädigt nach meiner Auffassung die Bilanz nicht“, sagte Merz. Er werde jetzt bei der Kommunikation und der handwerklichen Vorbereitung nachjustieren. Neue Bundesregierungen hätten solche Themen immer zu Beginn erlebt, das sei nicht ungewöhnlich. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte gesagt, er halte die Regierungskoalition durch den Streit um die Richterwahl für beschädigt.
Merz sagte zur Neuwahl der Verfassungsrichter, er wolle „in Ruhe“ in der Koalition besprechen, wie das gelöst werden könne. „Mein Wunsch wäre, dass wir im Deutschen Bundestag zu Lösungen kommen und dass wir nicht den Ersatzwahlmechanismus auslösen müssen, dass der Bundesrat die Wahl vornimmt, die eigentlich der Bundestag vornehmen müsste.“ Dies sei „der wichtigste Wunsch“, den er habe.
Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) räumte in einem Brief an seine Abgeordneten ein, er und die Führung der Fraktion hätten „die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken“ gegen Brosius-Gersdorf unterschätzt. „Gegen die Emotionalisierung und Polarisierung der Debatte“ seien die Koalitionsfraktionen „nicht gut gewappnet“ gewesen. Das weitere Vorgehen solle jetzt im geschäftsführenden Fraktionsvorstand beraten werden.
Die Grünen drängen derweil in einem Brief an Spahn und SPD-Fraktionschef Matthias Miersch auf eine Bundestags-Sondersitzung zur Wiederaufnahme der abgesetzten Verfassungsrichterwahl – noch in dieser Woche. Eine „zeitnahe Wahl“ sei „dringend erforderlich“, betonen die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann und Katharina Dröge.
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