Schätzerkreis uneins: Zusatzbeitragssatz steigt deutlich, Warken spricht von Stabilisierung

Berlin – Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz wird im Jahr 2026 auf 2,9 Prozent geschätzt und steigt damit im Vergleich zu 2025 um 0,4 Punkte. Dies teilte der zuständige Schätzerkreis in Bonn am späten Nachmittag mit.
Allerdings gab es im zuständigen Gremium keine einvernehmliche Prognose für die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2026. Vorausgegangen waren zweitägige Beratungen der Fachleute aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), dem GKV-Spitzenverband und dem Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS).
Streitpunkt der Expertinnen und Experten waren laut der Mitteilung die unterschiedlichen Ansichten über die Ausgabenentwicklung der GKV: Hier schätzen das BMG sowie das BAS Ausgaben von 369 Milliarden Euro. Der GKV-Spitzenverband rechnet mit 369,5 Milliarden Euro.
Im vergangenen Jahr hatte der Schätzerkreis das Ergebnis mit 2,5 Prozent als Zusatzbeitragssatz für 2025 berechnet – woraufhin fast alle 94 Krankenkassen ihre Beiträge für das Jahr 2025 anheben mussten. Etliche Krankenkassen hatten ihre kassenindividuellen Zusatzbeiträge deutlich über 2,5 Prozent gesetzt.
Daher liegt der tatsächliche Zusatzbeitrag derzeit insgesamt, den Versicherte 2025 bereits zahlen müssen, im Schnitt bei 2,9 Prozent – ein Ziel, dass auch das BMG für das Jahr 2026 ausgegeben hat. Dies wurde jetzt durch die Schätzung auch bestätigt.
Der allgemeine Zusatzbeitrag beträgt 14,6 Prozent vom Bruttoarbeitslohn, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber hälftig bezahlen müssen. Auch der Zusatzbeitrag der Krankenkassen muss hälftig ausgerichtet werden.
Das Bundesgesundheitsministerium muss nun in den kommenden zwei Wochen den Zusatzbeitrag per Rechtsverordnung festlegen.
Warken sagte bereits vor Verkündung des Schätzerkreisergebnisses in Berlin: „Die Bundesregierung hat Wort gehalten.“ Eine ermittelte Deckungslücke von zwei Milliarden Euro für 2026 werde geschlossen. Damit durchbreche man die schon zur Gewohnheit gewordenen Erhöhungen der Zusatzbeiträge in den vergangenen Jahren, so Warken weiter.
„Kleines Sparpaket“ verabschiedet
Am Vormittag hatte das Bundeskabinett ein „kleines Sparpaket“ verabschiedet, deren Einsparungen von rund zwei Milliarden Euro vom Schätzerkreis bewertet wurden: So sollen die Kostensteigerungen der Krankenhäuser begrenzt werden, so dass hier rund 1,8 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden müssen.
Die Ministerin verglich dies mit den Kostensteigerungen in der ambulanten Versorgung, die ebenfalls nur um 2,8 Prozent steigen würden. Dies habe man bei Krankenhäusern nun auch nachvollzogen, so die Warken.
Der Innovationsfonds soll 2026 rund 100 Millionen Euro weniger bekommen und die Verwaltungskosten der Krankenkassen soll so begrenzt werden, dass auch dort 100 Millionen Euro gespart werden können. Dieser Beschluss des Bundeskabinetts wird von Betroffenen scharf kritisiert, besonders von den Krankenhausverbänden.
Die vom Bundeskabinett beschlossene Änderungen sollen als Antrag an das „Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege“, kurz BEEP, angehängt werden. Dieses wurde bereits vergangene Woche in einer Anhörung im Bundestag diskutiert. Da dort eine Frage zu den GKV-Finanzen gestellt wurde, könnten die Änderungen verfahrenstechnisch in das Gesetz eingebracht werden.
Ministerin Warken kündigte allerdings an, dass es noch einmal eine Anhörung im Bundestag zu diesem Thema geben soll. Aus Kreisen des Parlamentes hieß es dazu, dies könne am 3. November stattfinden – der Tag, an dem das BMG per Rechtsverordnung den allgemeinen Zusatzbeitrag grundsätzlich festlegt.
In den kommenden zwei Wochen kann das Ministerium auch „Informationen, die erst nach dem Schätzerkreis bekannt werden und relevanten Einfluss auf den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz haben“, in seine Berechnungen mit einbeziehen, hieß es vom Schätzerkreis.
Danach werden die Krankenkassen ihre Haushalte für 2026 aufstellen und ihre individuellen Zusatzbeiträge festlegen. Diese können wie bislang deutlich höher ausfallen, da der Schätzerkreis beispielsweise das gesetzlich vorgegebene Auffüllen der Rücklagen nicht berücksichtigt. Darauf weist der Schätzerkreis in seiner Mitteilung auch hin.
Da im Jahr 2026 deutliche Defizite in der GKV erwartet werden, kündigte Warken bereits jetzt an, dass künftig auch andere Bereiche im Gesundheitswesen „einen Beitrag leisten müssen“. „Das soll jetzt keine Drohung sein", fügte sie mit Blick auf die noch tagenden Regierungskommissionen an.
Kritik aus den politischen Parteien
Noch vor Verkündung des Schätzerkreises und nach Beschluss des „kleinen Sparpakets“ durch das Bundeskabinett, kritisierten die Oppositionsparteien im Bundestag die Ministerin:
„Mit dem heutigen Kabinettsbeschluss soll das politische Signal gesendet werden, dass die Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung im kommenden Jahr stabil bleiben“, sagte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Es seien „mit heißer Nadel hektische Sparmaßnahmen gestrickt“ worden, die aber das strukturelle Problem nicht lösten, so Dahmen weiter.
Auch von den Linken kommt Kritik. „Gesundheitsministerin Warken legt ein Sparpaket vor, das in Wirklichkeit ein Kürzungspaket auf dem Rücken der Kranken und Pflegekräfte ist. Sie inszeniert sich als Retterin stabiler Beiträge, verschärft gleichzeitig aber die die wirtschaftlichen Probleme der ohnehin angeschlagenen Krankenhäuser“, betonte Ates Gürpinar, Gesundheitsexperte bei den Linken. „Wir brauchen endlich ein solidarisch finanziertes Gesundheitswesen statt immer neuer Kürzungsrunden.“
Kritik von den Krankenkassen
Die Krankenkassen bewerten die Entwicklung kritisch. „Mit dem Ergebnis der heutigen Schätzung eines rechnerisch notwendigen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes in Höhe von 2,9 Prozent im nächsten Jahr nähert sich der offizielle Zusatzbeitragssatz der Realität an", sagte Oliver Blatt, Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, in einer Mitteilung. Nach seiner Aussage liegen die tatsächlich erhobenen Zusatzbeiträge der Krankenkassen bereits heute bei durchschnittlich 2,94 Prozent.
„Mit der aktuellen Schätzung des für 2026 notwendigen Zusatzbeitragssatzes auf einem ähnlichen Niveau wie dem derzeit tatsächlich erhobenen ist jedoch keine Entwarnung verbunden“, so Blatt. Es wiederhole sich das Problem aus dem vergangenen Jahr: „Auf den ersten Blick scheint die finanzielle Situation stabil, aber wer genauer hinschaut, erkennt, dass weiterhin Beitragsanhebungen zu erwarten sind.“
Für Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK-Dachverbandes, ist die Kommunikationsstrategie klar: „Seit Monaten arbeitet die Bundesregierung an ihrer Erzählung, dass die Beitragssätze im kommenden Jahr stabil gehalten werden können“, so Klemm in einer ersten Reaktion.
Insofern sei das Ergebnis des Schätzerkreises von 2,9 Prozent aus Sicht des BMG nur konsequent. „Für das BMG ist das Thema damit beendet, die Mission erfüllt“, so Klemm weiter. Es sei ärgerlich, dass die zu erhebenden Beitragssätze der Krankenkassen 2026 deutlich höher liegen müssten, um die Rücklagen aufzufüllen.
„Entgegen der Aussage des BMG kommen auf die Beitragszahlenden also auch im kommenden Jahr finanzielle Mehrbelastungen zu. Es ist bedauerlich, dass die politisch Verantwortlichen nicht den Mut haben, ihren Wählerinnen und Wählern diese Wahrheit zu vermitteln“, so Klemm weiter.
Als „keine Überraschung“ wertet der IKK-Verband die prognostizierte Steigerung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages. „Es stellt die Weiterführung der bereits seit Jahren gefürchteten und beklagten Entwicklung dar“, so Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des Verbandes.
„Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz stellt auch schon allein deshalb eine ‚Luftbuchung‘ dar, weil in die Schätzung die erforderlichen Mittel zur Auffüllung der Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen nicht berücksichtigt werden.“
Der AOK-Bundesverband bewertet das Ergebnis in einer ersten Stellungnahme zweigeteilt: „Einerseits berücksichtigt die diesjährige Prognose des Schätzerkreises die enorme Dynamik bei den Ausgaben. Diese sind zuletzt im Durchschnitt um fast acht Prozent gestiegen, in einzelnen Bereichen sogar deutlich zweistellig. Das zeugt von Realismus“, sagte Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, in einer Mitteilung.
Andererseits bleibe fraglich, ob das noch auf den letzten Metern geschnürte Sparpaket aus Sofortmaßnahmen im Krankenhaus- und Krankenkassenbereich die angenommenen Entlastungswirkungen überhaupt entfalte. Kritisch betrachtet er auch die Darlehen für 2025 und 2026 aus dem Bundeshaushalt, die die Beiträge ebenfalls stabilisieren sollen.
„Der festzulegende durchschnittliche Zusatzbeitrag wird zum Teil kreditfinanziert, aber das Darlehen muss irgendwann auch zurückgezahlt werden.“ Es brauche nun eine deutliche Reform. „Mit Blick auf 2027 müssen im kommenden Jahr die politischen Schnellschüsse und kleinteiligen Sofortmaßnahmen durch dauerhaft wirksame und durchdachte Maßnahmen abgelöst werden“, so Hoyer weiter.
Für den Verband der Ersatzkassen (vdek) werde mit dem Ergebnis von 2,9 Prozent nun „eine Beitragsstabilität suggeriert, die sich nicht mit der Realität deckt“, so Ulrike Elsner, vdek-Vorsitzende. „Die Politik darf die Finanzsituation nicht schönreden: Viele Krankenkassen werden Anfang 2026 erneut ihre Zusatzbeitragssätze erhöhen müssen", so Elsner in einer ersten Reaktion weiter.
Die Prognose des GKV-Schätzerkreises berücksichtige von Gesetzes wegen nicht, dass ein großer Teil der 94 Krankenkassen gezwungen sei, einen Teil des Zusatzbeitragssatzes auch im Jahr 2026 für die Auffüllung der stark geschrumpften Rücklagen zu verwenden.
„Mit einer optimistischen Einnahmenprognose, einem Darlehen und einem kleinen Last-Minute-Sparpaket ist das strukturelle Finanzproblem der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gelöst“, erklärte Jens Baas, Chef der Techniker Krankenkasse, der größten Krankenkasse in Deutschland. Es sei „unverständlich, warum die Bundesregierung hier nicht konsequenter handelt und alle Ausgabenbereiche angeht – statt nur auf die Kliniken und die Krankenkassen zu schauen“, so Baas weiter.
Das Vorgehen der schwarz-roten Regierung, um die GKV-Finanzen zu stabilisieren, sei „katastrophal“, sagte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Statt notwendiger Strukturreformen – also weniger Krankenhausstandorte und mehr Konzentration von Leistungen – gebe es lediglich weniger Geld für alle, kritisierte er.
Die Strategie, „alle am Leben zu lassen, aber gleichzeitig allen die Gurgel zuzudrücken, ist eine Katastrophe“, sagte Straub. So könne man keine sinnvolle und verantwortungsvolle Krankenhauspolitik machen. Ohne wirksame Strukturreformen werde es ab 2027 zu weiteren Ausgabensteigerungen und damit Anstiegen der Zusatzbeiträge kommen, befürchtet Straub.
Ein „Solidarpakt für das Gesundheitswesen, der kurz-, mittel- und langfristig trägt“, fordert die Bundesärztekammer (BÄK) anlässlich der Ergebnisse des Schätzerkreises. „Es ist gut und richtig, dass Bundesgesundheitsministerin Nina Warken die Stabilisierung der GKV-Finanzen zur politischen Priorität erklärt hat“, so BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.
„Zur kurzfristigen Entlastung der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine vollständige Refinanzierung der versicherungsfremden Leistungen, insbesondere der Krankenkassenbeiträge für Bürgergeldempfänger, unerlässlich", so Reinhardt weiter.
Mittelfristig müsse es Reformprojekte geben, dazu zähle er die Krankenhausreform, die Notfallversorgung sowie ein „intelligentes Primärversorgungssystem mit digitalen Steuerungsinstrumenten" und eine Reform der Arzneimittelpreisbildung, erklärte Reinhardt. Langfristig müsse es bei der Prävention Reformen geben, dazu zähle auch eine Steuer auf Nikotin, Alkohol und Zucker.
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