Politik

Schreyögg: Frühzeitig Reformen angehen, die eine hohe Entlastung versprechen

  • Freitag, 4. April 2025
Jonas Schreyögg /Gregor Schläger
Jonas Schreyögg /Gregor Schläger

Berlin – Es braucht dringend kostendämpfende Maßnahmen, um die steigenden Gesundheitsausgaben in den Griff zu bekommen. Großes Potenzial bietet dabei insbesondere eine Reform der Notfallversorgung, sagte jetzt der Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Universität Hamburg, dem Deutschen Ärzteblatt.

Ein erstes Ergebnispapier der möglichen schwarz-roten Bundesregierung zu Gesundheit und Pflege war vergangene Woche bekannt geworden. In diesem Papier sind künftige Vorhaben für das Gesundheitswesen und konkrete Summen für geplante Ausgaben durch Steuermittel und das Sondervermögen Infrastruktur sowie Einsparungen gelistet.

„Grundsätzlich finde ich es gut und sinnvoll, dass die Koalitionäre entsprechende Schätzungen zu Kosten und Einsparungen vornehmen“, erklärte Schreyögg. „Ich rate aber, als erstes und möglichst frühzeitig die Reformen anzugehen, die eine hohe Entlastung versprechen.“

Dabei würde es sich vor allem um die Reform der Notfallversorgung und der Rettungsdienste, die Einführung eines Primärarztsystems sowie eine Ausweitung der Hybrid-DRG handeln.

Mögliche Einsparungen der bereits gestarteten Krankenhausreform können Schreyögg zufolge bisher nicht quantifiziert werden, da unter anderem die Kriterien für die Leistungsgruppen nicht feststehen.

„In Nordrhein-Westfalen sehen wir gerade, dass die neue Krankenhausplanung zwar mutig ist“, betonte er. Es gebe aber viele rechtliche Klagen vonseiten der Kliniken und am Ende würden häufig eher einzelne Fachabteilungen zusammengelegt als Kliniken im großen Stil geschlossen, vermutet Schreyögg.

„Berechnungen zu Kosten und Einsparungen im Gesundheitswesen kann man relativ gut aufstellen“, erläuterte Schreyögg. Auf der Basis von empirischen Studien arbeite man mit Annahmen und nutze Finanzkennzahlen und weitere Faktoren, etwa die Reduktion von Personal in bestimmten Bereichen.

Beispielsweise wisse man durch Pilotprojekte – wie dem integrierten Notfallzentrum im Marienkrankenhaus in Hamburg – wie schnell die stationären Aufnahmequoten in den Notaufnahmen entsprechend sinken würden. Für belastbare Berechnungen berücksichtige man zudem verschiedene Szenarien, beziehungsweise stecke eine gewisse Bandbreite mit einem oberen und unteren Grenzwert ab, erläuterte Schreyögg.

„Im Bereich der Notfallversorgung und auch bezüglich der Hybrid-DRG kann man sehr gute Berechnungen anstellen“, sagte Schreyögg. „Es gibt empirische Studien aus Deutschland, die zeigen, dass die derzeit hohe stationäre Aufnahmequote von circa 44  Prozent aus der Notaufnahme gut auf zunächst 30 Prozent abgesenkt werden kann.“ Voraussetzung dafür sei ein integriertes Notfallzentrum (INZ) mit einer effektiven standardisierten Ersteinschätzung, wie etwa im Marienkrankenhaus in Hamburg.

Notfallreform könnte zu vier Milliarden Euro Minderausgaben jährlich führen

Dem Ergebnispapier von Union und SPD zufolge könnte langfristig eine Milliarde Euro jährlich durch die Notfallreform eingespart werden. Laut Schreyögg könnte eine gut gemachte Notfallreform ab 2029 vier Milliarden Euro jährlich einsparen.

Dafür bräuchte es einige Ergänzungen, zum Beispiel eine modifizierte Vergütung für INZ, zu dem Vorhaben, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kurz vor dem Ampelaus voranbringen wollte. Dafür müsste die künftige Bundesregierung die Reform aber zügig angehen.

Berechnungen im Bereich der Primärarztversorgung seien hingegen schwieriger. Denn hier gebe es bisher insbesondere Studienergebnisse aus Baden-Württemberg mit einem relativ speziellen Setting. Schreyögg erklärte, dass man entsprechend annehmen kann, dass dadurch neun Prozent stationäre Aufnahmen reduziert werden könnten. Es sei aber ungewiss, inwieweit man dies auf Gesamtdeutschland übertragen kann. „Wenn man das als Basis nimmt, bekommt man auch relativ hohe Einsparpotenziale.“

Einsparpotenziale würden sich auch ergeben, wenn man die integrierten Leitstellen mit einer bedarfsgerechten Patientensteuerung durch die Hausarztpraxen verknüpfen würde. Erste Hinweise auf eine entsprechende Verbindung der beiden Maßnahmen seien in dem Papier von Union und SPD zu finden, so Schreyögg. Insgesamt könne man durch das Primärarztsystem mittelfristig zu noch höheren Einsparungen als die dort jährlich veranschlagten 500 Millionen Euro kommen, schätzt der Gesundheitsökonom.

Und: „Wenn die Patientensteuerung durch das Primärarztsystem sehr effektiv ist, dann kann dies auch eine Entbudgetierung obsolet machen, weil die Spezialistenfälle dann so stark sinken werden, dass die Behandlungen im Rahmen ihrer Mengenbudgets erfolgen können.“

4,3 Milliarden Euro Einsparung durch Hybrid-DRG

Für die Hybrid-DRG brauche man zwar eine Milliarde Euro an Investitionen, um eine Vergütung zu schaffen, die zwischen der Vergütung im ambulanten und im stationären Bereich liege, schätzt Schreyögg. Allerdings würde sich diese Investition langfristig lohnen und durch die Ambulantisierung deutliche Einsparungen erzielen.

Wenn man nur die Kurzliegerfälle aus dem AOP-Katalog berücksichtige, die aufgrund der entsprechenden Hauptdiagnose bisher stationär aufgenommen wurden, könnten 3,5 Millionen Belegungstage im Krankenhaus wegfallen und damit wäre ein Einsparpotenzial von 4,3 Milliarden Euro jährlich möglich. Die Koalitionäre schätzen hier mögliche Einsparungen von 500 Millionen Euro jährlich. „Das ist sehr konservativ gerechnet“, so die Einschätzung von Schreyögg.

Schwieriger seien hingegen Einsparungen durch Präventionsmaßnahmen zu berechnen, erklärte er weiter. Hier gehen die Koalitionäre bereits ab 2026 von einer Milliarde Euro weniger Belastung der GKV-Mittel pro Jahr aus. Bei einer jährlichen Reduzierung der Krankheitslast um 0,4 Prozent des Niveaus von 2020 sei eine Reduzierung der Krankheitslast um 1,5 Prozent möglich, heißt es in dem Ergebnispapier. Diese Angaben basieren auf der Krankheitskostenrechnung und Gesundheitsausgabenrechnung des Statistischen Bundesamtes 2020.

Kaum Präventionsmaßnahmen geplant

„Mir ist offen gestanden nicht klar, wie so schnell Geld durch Prävention eingespart werden soll. Hier haben wir vermutlich erstmal Mehrausgaben“, sagte Schreyögg. Zudem seien kaum konkrete Präventionsmaßnahmen in dem Papier genannt. Es sei beispielsweise keine Zuckersteuer vorgesehen, die sinnvoll wäre.

Beispielsweise in Großbritannien wurde 2018 eine Industrieabgabe auf Zucker in Softdrinks eingeführt. Das Ergebnis: Die Hersteller bieten seitdem Softdrinks mit weniger Zucker an. Erste Studien zeigen, dass Kinder und Erwachsene seitdem weniger Zucker zu sich nehmen.

Auch im Krankenhausbereich sind einige Kosten in dem Papier aufgelistet. So könnten ab kommendem Jahr 2,5 Milliarden Euro jährlich bis 2035 aus dem Sondervermögen Infrastruktur für die Finanzierung des Transformationsfonds fließen. Der Fonds soll Krankenhäuser für Umstrukturierungen und Konzentrationsprozesse im Sinne der Krankenhausreform unterstützen.

Schreyögg warnte davor, die Förderungen für Sanierungen maroder und nicht bedarfsnotwendiger Kliniken zu nutzen. „Beispielsweise zum Bau eines ambulanten OP-Zentrums ist das Geld aber gut einsatzbar“, so Schreyögg.

Weiter könnten Union und SPD zufolge zeitnah vier Milliarden Euro zusätzliches Geld an bestimmte sogenannte bedarfsnotwendige Krankenhäuser zur wirtschaftlichen Unterstützung fließen. Dieses Vorhaben kritisierte Schreyögg deutlich.

„Ich würde jetzt keine zusätzlichen Gelder in irgendwelche Sektoren geben, bevor es nicht zu Reformen kommt.“ Er befürchtet, dass die Mittel per Königsteiner Schlüssel an die Bundesländer und anschließend an alle Kliniken per Gießkanne verteilt werden. Dass dies nicht passieren dürfe, erklärte kürzlich auch der ehemalige Leiter der Regierungskommission Krankenhaus, Tom Bschor, dem Deutschen Ärzteblatt.

Kostendämpfung - auch bei Arzneimittelkosten

Statt solcher Geldgeschenke müssten sich die Koalitionäre auf eine stärkere Kostendämpfung – auch im Bereich der ansteigenden Arzneimittelkosten –  konzentrieren, empfiehlt Schreyögg. „Die Preise der innovativen Arzneimittel sind uns entglitten.“

Deshalb müsse eine nachhaltige Finanzierung durch eine Weiterentwicklung des AMNOG-Verfahrens umgesetzt werden. Der Sachverständigenrat Gesundheit werde zu diesem Thema am 22. Mai entsprechende Vorschläge vorlegen, kündigte Schreyögg an.

In Frankreich sei etwa zu beobachten, dass neue Arzneimittel, die nicht einen sonderlich hohen Zusatznutzen haben auch kaum einen höheren Preis bekommen als die Vergleichstherapie, erläuterte Schreyögg. In Deutschland würden diese allerdings einen hohen Preis erhalten und müssten oftmals nur einen Abschlag von 20 bis 25 Prozent auf den Initialpreis der Herstellers hinnehmen.

Denkbar sei auch, in der aktuellen finanziellen Notsituation der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), für einen Übergangszeitraum von ein bis zwei Jahren ein Globalbudget für den stationären Sektor und eventuell weitere Sektoren vorzusehen, schlägt Schreyögg weiter vor. Dieses würde etwa wie die Budgetierung im ambulanten Bereich funktionieren und könnte etwa auf Bundeslandebene gesteuert werden.

„Damit könnte man auf Landesebene gemeinsam mit den Ländern sicherstellen, dass die Kosten nicht völlig aus dem Ruder laufen. Globalbudgets sollten zwar immer nur Ultima Ratio sein. Kurzfristig werden allerdings Kostendämpfungsmaßnahmen unvermeidbar sein.“

Dass nun aber viele mögliche Reformprojekte im Gesundheitswesen auf dem Tisch liegen würden, sei erstmal gut und sinnvoll, erklärte Schreyögg. „Jetzt ist es die Aufgabe der 19-köpfigen Verhandlungsrunde diese Vorhaben zu priorisieren.“ Er schätzt, dass nur ein Teil von dem, was im Ergebnispapier steht, in den Koalitionsvertrag aufgenommen werde.

cmk

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