Schwarz-rote Koalition will Krankenkassenbeiträge stabil halten

Berlin – Die Koalition will steigende Kosten für die Kranken- und Pflegekassen im kommenden Jahr möglichst verhindern. Union und SPD bekräftigten bei ihrem Koalitionsausschuss die Zielsetzung, die Beitragszahler vor steigenden Beiträgen zu schützen. Entsprechende Medienberichte wurden heute von mehreren Seiten bestätigt.
„Wir streben an, Beitragssatzerhöhungen zu vermeiden“, hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) zuletzt nach einer Klausurtagung der Fraktionsspitzen in Würzburg gesagt. Es mache wenig Sinn, „einerseits beim Gas oder beim Strom zu entlasten und andererseits dann wieder zu belasten“.
Wie der gewünschte Schritt finanziert werden soll, blieb auch nach dem Koalitionsausschuss offen. In den Haushaltsentwürfen für 2025 und 2026 sind bereits Darlehen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die soziale Pflegeversicherung (SPV) vorgesehen. Darüber hinaus gibt es aber keine konkreten Vorhaben, die bekannt geworden sind.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hatte diverse Male signalisiert, dass Darlehen nicht reichen würden, um Beitragsanhebungen Anfang 2026 zu verhindern. Ressortchefin Nina Warken (CDU) hatte deutlich gemacht, dass sie noch auf Nachbesserungen in den parlamentarischen Beratungen setzt. Erst Anfang 2025 hatte es eine Welle kräftiger Beitragserhöhungen gegeben.
Beim Koalitionsausschuss gab es gestern auch ein Bekenntnis zum Sozialstaat. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) demonstrierten nach dem Koalitionsgipfel Einigkeit. Merz hatte zuletzt gesagt, der Sozialstaat sei mit der derzeitigen Wirtschaftskraft nicht mehr finanzierbar und müsse verschlankt werden. SPD-Co-Chefin Bas hatte die Aussage als „Bullshit“ bezeichnet.
Nach einer Aussprache gestern herrscht wohl aber wieder Geschlossenheit. „Wir sind uns einig, dass wir den Sozialstaat Bundesrepublik Deutschland erhalten wollen“, sagte Merz mit Blick auf die Auseinandersetzung der vergangenen Tage. Die Koalition wolle den Sozialstaat „nicht abschaffen, nicht schleifen, nicht kürzen“, sondern „in den wichtigsten Funktionen erhalten“. Dafür müsse er reformiert werden.
Bas sagte, sie sei dazu mit Merz „in der Tat auf dem gleichen Kurs“. Bei der Reform des Sozialstaats müsse sie auch niemand „zum Jagen tragen“, sagte die Ministerin. Die Debatte habe viele Menschen verunsichert.
Gemessen an der deutschen Wirtschaftskraft liegen die Sozialausgaben des Bundes nach offiziellen Angaben heute nicht höher als vor zehn Jahren. Laut Statistischem Bundesamt (Destatis) brachte der Bund 2024 einen Anteil von 5,53 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für soziale Sicherung auf – im Vergleich zu 5,64 Prozent im Jahr 2015. Im Jahr 2000 waren es 5,63 Prozent. In Krisenjahren dazwischen gab es einige Ausreißer nach oben. Die Zahlen hat der Linken-Abgeordnete Dietmar Bartsch beim Statistischen Bundesamt abgefragt.
Beim Aufstellen des schwierigen Bundeshaushalts 2027 wollen die Parteichefs der schwarz-roten Koalition politische Führung zeigen. „Ich will darauf verzichten, dass wir im normalen Haushaltsaufstellungsverfahren für 2027 in nächtelange Koalitionssitzungen kommen und öffentlichen Streit, falls es den geben sollte an der einen oder anderen Stelle, zelebrieren“, sagte Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD).
Die Parteivorsitzenden würden jetzt schnell und gemeinsam politische Entscheidungen treffen, sagte der SPD-Vorsitzende. Merz (CDU) betonte, alle drei Partner seien sich über die Dimension der Aufgabe im Klaren. Es gehe nicht nur um den Bundeshaushalt 2027, sondern auch um die Etats 2028 und 2029.
„Wir werden der Bevölkerung vermitteln müssen, warum wir trotz der hohen Investitionen in die Verteidigung und in die Infrastruktur einen erheblichen Konsolidierungsbedarf in den öffentlichen Haushalten haben. Das wird eine schwierige Aufgabe sein, das darzulegen“, sagte Merz.
Nach Klingbeils Angaben klafft im Haushalt 2027 eine Lücke von mehr als 30 Milliarden Euro. Das habe es noch nie gegeben. Die Koalition müsse nun so schnell wie möglich ein Gesamtpaket vorlegen, das eine Antwort darauf gebe, wie diese Lücke geschlossen werden solle. „Es ist klar, es wird gerecht dabei zugehen“, betonte Klingbeil. Es sei aber auch klar, „dass wir alle sicherlich uns etwas abverlangen werden bei den Verhandlungen um den Haushalt 2027“.
Das Treffen des Koalitionsausschusses von Union und SPD hat bei Opposition und Verbänden für ein gemischtes Echo gesorgt. „Diese gezwungene Harmonieshow konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Koalition keinen Plan hat, wie sie die absehbaren riesigen Löcher in den Haushalten stopfen will“, sagte beispielsweise Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek den Funke-Zeitungen. Finanzielle Entlastungen forderten derweil Städte und Gemeinden.
Mehr Tempo von Union und SPD bei den Sozialreformen forderte Grünen-Chefin Franziska Brantner. „Es wäre an der Zeit, statt ständigem öffentlichem Streit die wirklich nötigen Reformen bei Rente, Gesundheit und Pflege anzugehen“, sagte sie ebenfalls den Funke-Zeitungen. Brantner forderte konkret, „unsere Sozialsysteme zu vereinfachen, zu digitalisieren und generationengerecht aufzustellen“.
Der Deutsche Städtetag kritisierte derweil den Fokus auf das Bürgergeld. Dieses sei in den Städten nicht der größte Kostentreiber, betonte Städtetag-Hauptgeschäftsführer Christian Schuchardt in der Rheinischen Post. „Die Kosten laufen bei anderen Leistungen aus dem Ruder, wie etwa der Hilfe zur Pflege, der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe.“ Hier müsse der Bund Lösungen finden, „die uns entlasten“.
Diese Themen spielten aber bisher weder in den Koalitionsdebatten noch in der Sozialstaatskommission eine Rolle, kritisierte Schuchardt. Gut sei allerdings, „dass die Koalition die Reform der Sozialsysteme jetzt ganz oben auf die Agenda setzt.“ Die Jahr für Jahr drastisch steigenden Sozialausgaben seien „ein Hauptgrund für die katastrophale Finanzlage der Städte“.
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, André Berghegger, sieht die Städte und Gemeinden „in der katastrophalsten Finanzlage seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland“. Er forderte deshalb, den Kommunen Gelder aus dem Infrastruktursondervermögen des Bundes schnell und unbürokratisch zur Verfügung zu stellen – „denn vor Ort weiß man am besten, wie schnell und an den Bedürfnissen orientiert öffentliche Aufträge erteilt werden können“, betonte er in den Funke-Zeitungen.
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