Stationärer Versorgungsbedarf kann durch Ambulantisierung in Bayern gesenkt werden

München – Aufgrund des demografischen Wandels würde die Zahl der stationären Fälle in Bayern bis zum Jahr 2035 um vier Prozent auf 2,6 Millionen Fälle ansteigen. Da 16 Prozent dieser Fälle ambulantisierbar sind, wird die Zahl der stationären Fälle im Jahr 2035 allerdings etwa 2,2 Millionen betragen. Das entspricht einem Rückgang des stationären Versorgungsbedarfs um zwölf Prozent.
Von diesem Szenario geht das Unternehmen Mediqon in einem heute vorgestellten Gutachten aus, das das bayerische Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben hatte.
Dabei lassen sich 74 Prozent der Behandlungsfälle in die allgemeinen Leistungsgruppen einordnen, davon 30 Prozent in die zusammengefassten Gruppen der Inneren Medizin und 22 Prozent in die der Chirurgie. Auf die übrigen Fachgebiete in den allgemeinen Leistungsgruppen werden 22 Prozent der Fälle eingruppiert.
Die Krankenhausreform des Bundes sieht vor, dass alle im Krankenhaus erbrachten Leistungen künftig einer bestimmten Leistungsgruppe zugeordnet werden müssen. Die Leistungsgruppen unterscheiden sich in einen allgemeinen und einen spezifischen Bereich.
Dem Gutachten zufolge entfallen 26 Prozent der Behandlungsfälle auf die spezifischen Leistungsgruppen, vor allem auf die Leistungsgruppe „Perinataler Schwerpunkt“ (fünf Prozent) und „Geburten“ (fünf Prozent).
Ebenfalls je fünf Prozent entfallen auf zwei Leistungsgruppen aus dem Bereich „Kardiologie“ sowie auf drei Leistungsgruppen aus dem Bereich „Orthopädie“. Die restlichen 35 spezifischen Leistungsgruppen umfassen nur sechs Prozent aller Behandlungsfälle in Bayern.
Nord-Süd-Gefälle bei der Bevölkerungsentwicklung
„Das Gutachten verdeutlicht vor allem die Auswirkungen des demografischen Wandels“, erklärte die bayerische Gesundheitsminister, Judith Gerlach (CSU), angesichts der Veröffentlichung des Gutachtens.
„Stark verallgemeinert lässt sich festhalten: Das Bevölkerungswachstum ist gering, der Altersdurchschnitt jedoch steigt. Im Süden Bayerns wird die Bevölkerung wohl wachsen und im Norden zurückgehen. Die genauen Entwicklungen hängen dabei freilich sehr stark von der jeweiligen Region und der in den Blick genommenen Erkrankung ab.“
Konkret sieht die Prognose vor, dass die Bevölkerungszahl in Bayern bis zum Jahr 2035 um etwa drei Prozent wachsen wird – von 13,2 Millionen im Jahr 2023 auf knapp 13,5 Millionen. Gleichzeitig verschiebt sich der Altersaufbau der Bevölkerung: Die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer rücken in höhere Altersgruppen auf, was bis 2035 zu einem Anstieg der Bevölkerung ab 65 Jahren um rund 18 Prozent führen wird.
„Demgegenüber ist in den Altersjahrgängen direkt unterhalb der Babyboomer eine gegenläufige Entwicklung zu beobachten: Die Zahl der 55- bis 65-Jährigen wird voraussichtlich um etwa 20 Prozent zurückgehen“, heißt es in dem Gutachten.
In den einzelnen Regionen Bayerns werden dabei unterschiedliche Entwicklungen erwartet. Während die Bevölkerung im Süden wächst, schrumpft sie in den nördlichen Regionen. So soll die Bevölkerung in Oberfranken um zwei Prozent zurückgehen, während sie in Oberbayern um fünf Prozent zunehmen soll.
Viele Notfälle
Dem Gutachten zufolge beträgt der Anteil an Notfällen in der zukünftigen stationären Versorgung über 51 Prozent der Fälle.
„Perspektivisch wäre es wünschenswert, die Notfälle nach ihrer Dringlichkeit der medizinischen Versorgung weiter zu differenzieren, um in der Planung sicherstellen zu können, dass je nach Versorgungsbedarf und Dringlichkeit ein Krankenhausstandort mit erforderlicher Versorgungsstruktur rechtzeitig erreicht werden kann“, schlagen die Autoren des Gutachtens vor.
Das Ambulantisierungspotenzial stationärer Behandlungsfälle variiere deutlich zwischen den einzelnen Erkrankungsarten: „Den höchsten Anteil wiesen Erkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane mit 32 Prozent auf, gefolgt von Krankheiten der Verdauungsorgane mit 26 Prozent. Demgegenüber beträgt das kalkulierte Ambulantisierungspotenzial bei Erkrankungen des Nervensystems lediglich sieben Prozent. Daraus ergeben sich auch unterschiedliche zukünftige stationäre Versorgungsbedarfe je nach Erkrankungsart.“
Ambulante Strukturen ausbauen
„An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es nicht ausreicht, ein ambulantes Potenzial kalkulatorisch zu bestimmen oder normativ festzulegen“, schreiben die Autoren des Gutachtens. Es sei „eindeutig“, dass in Deutschland viele Behandlungen stationär durchgeführt würden, die in anderen Ländern ambulant erfolgten. Die zentrale Frage sei aber, welche Strukturen geschaffen werden müssten, damit diese Fälle auch ambulant versorgt werden könnten.
„Sind entsprechende Strukturen nicht vorhanden, kann auch keine ambulante Behandlung erfolgen“, betonen die Autoren. „Wenn gleichzeitig aufgrund der Abrechnungsbestimmungen diese Fälle nicht mehr stationär erbracht werden können oder aufgrund der Vergütungsstruktur im stationären Bereich nicht kostendeckend versorgt werden können, sind die Folgen für die Gesundheitsversorgung nicht abschätzbar.“
Hinzu komme, dass aufgrund des demografischen Wandels der Bedarf an Gesundheitsversorgung im ambulanten Bereich genauso steigen werde wie im stationären Bereich, bei gleichzeitiger Verknappung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen.
„Gleichzeitig steigt auch der Anteil der Pflegebedürftigen in der Bevölkerung, was wiederum Auswirkungen auf die mögliche Versorgungsart der zu behandelnden Patienten hat“, heißt es weiter. Dies unterstreiche die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Planung der Gesundheitsversorgung.
Neues Softwaretool
Gerlach wies darauf hin, dass zusätzlich zu dem Gutachten auch eine Softwareanwendung entwickelt wurde, die detaillierte und individualisierte Analysen auf unterschiedlichen regionalen Ebenen und bis hin zu einzelnen Krankheitsbildern und Behandlungsarten zulässt.
Die Vorstellung des Gutachtens ist Teil des bayerischen 7-Punkte-Plans, den Gerlach im Oktober 2024 vorgestellt hatte. Neben dem landesweiten Gutachten gehört dazu unter anderem die Finanzierung regionaler Struktur- und Umsetzungsgutachten, das Anstoßen und Begleiten regionaler Dialoge zur Krankenhausstruktur und politische Rückendeckung für die Verantwortlichen vor Ort.
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