Politik

Streit über AfD-Vorsitzende von Bundestagsaus­schüssen wird in Karlsruhe ausgetragen

  • Mittwoch, 20. März 2024
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (von links), Doris König (Vorsitzende), Ulrich Maidowski, Rhona Fetzer und Peter Frank, eröffnet die mündliche Verhandlung über AfD-Klagen zu Bundestagsausschüssen. /picture alliance, Uli Deck
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (von links), Doris König (Vorsitzende), Ulrich Maidowski, Rhona Fetzer und Peter Frank, eröffnet die mündliche Verhandlung über AfD-Klagen zu Bundestagsausschüssen. /picture alliance, Uli Deck

Karlsruhe – Zum ersten Mal hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) heute mit Fragen der Wahl und Abwahl von Vorsitzenden in Bundestagsausschüssen befasst. Das höchste deutsche Gericht will klären, ob Mitwir­kungs- und Teilhaberechte der AfD-Fraktion aus dem Grundgesetz die Geschäftsautonomie des Bun­destags einschränken. Ein Urteil sollte in Karlsruhe heute noch nicht fallen. Es wird meist einige Monate nach der Verhandlung verkündet.

Insbesondere wollen sich die Karlsruher Richter und Richterinnen ein „genaueres Bild von der bisherigen parlamentarischen Praxis und Tradition“ machen, wie Vize-Gerichtspräsidentin Doris König sagte. Sie betonte, die AfD-Fraktion moniere den „Bruch einer jahrzehntelangen Parlamentspraxis“.

Denn üblicherweise werde vorab geklärt, welcher Ausschuss von welcher Fraktion geführt werde – und an­schließend die benannte Person ohne Widerspruch ernannt. Da dies nicht geschehen sei, poche die AfD auf eine faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung. Dort sei geregelt, dass die Ausschüsse ihre Vor­sitzenden „bestimmen“ (Az. 2 BvE 10/21).

Die Antragsgegner – der Bundestag, dessen Präsidentin und die betroffenen Ausschüsse – sind König zufolge hingegen der Auffassung, die Anträge seien teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet. Die AfD-Frak­tion habe nach deren Argumentation keinen Anspruch auf unmittelbare Entsendung eines Ausschussvorsit­zenden. Auch die Möglichkeit zur Abwahl eines Vorsitzenden sei durch das Demokratieprinzip unmittelbar geboten.

Der seit Jahren schwelende Streit um die Vorsitze in verschiedenen Bundestagsausschüssen wird damit seit heute vor dem höchsten deutschen Gericht ausgetragen. Ganz konkret geht es um eine Abwahl, nämlich die des AfD-Politikers Stephan Brandner vom Vorsitz des Rechtsaus­schusses 2019, und mehrere Nichtwahlen von AfD-Kandidaten zu Ausschussvorsitzenden nach der Bundes­tagswahl 2021 (Az. 2 BvE 1/20 und 2 BvE 10/21). Auch im Gesundheitsausschuss fielen die AfD-Kandidaten regelhaft durch.

Die Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse spielen eine wichtige Rolle im parlamentarischen Alltag. Sie be­reiten die Ausschusssitzungen vor, berufen sie ein und leiten sie. Gemeinhin würden sie auch als „kleine Par­lamentspräsidenten“ bezeichnet, berichtete der Berliner Juraprofessor Sven Hölscheidt in der Verhandlung.

Im Kern geht es um die Frage, ob allen Fraktionen Vorsitze in Ausschüssen zustehen oder ob die Ausschüsse per Wahl auch anders entscheiden können. Die parlamentarische Geschäftsordnung sieht vor, dass die Aus­schüsse die Vorsitzenden und ihre Stellvertreter nach den Vereinbarungen im Ältestenrat bestimmen. In den vergangenen Jahrzehnten klappte das meistens.

Wenn sich die Fraktionen nach einer Bundestagswahl aber nicht einigen können, kommt das sogenannte Zugriffsverfahren zum Tragen. Dann dürfen die Fraktionen reihum, der Größe nach, auf die Ausschussvorsitze zugreifen. Die Abwahl von Ausschussvorsitzenden ist in der Geschäftsordnung nicht geregelt.

Die Abwahl Brandners im November 2019 war dann auch ein in der Geschichte der Bundesrepublik bislang einmaliger Vorgang. Vorangegangen waren ihm Äußerungen Brandners in sozialen Netzwerken, die für Empö­rung sorgten und als antisemitisch wahrgenommen wurden. So nannte er das Bundesverdienstkreuz für den Sänger Udo Lindenberg einen „Judaslohn“.

Er selbst sagte dazu in Karlsruhe, dass er sich als Privatperson geäußert habe und die Tweets, die „in die Öffentlichkeit gezerrt“ worden seien, nichts mit seiner Tätigkeit im Rechtsausschuss zu tun gehabt hätten.

Andere Bundestagsabgeordnete berichteten, dass das Vertrauen des Ausschusses in ihn auch durch Auftritte verloren gegangen sei, zu denen er als Ausschussvorsitzender eingeladen worden sei, bei denen er sich aber parteipolitisch geäußert habe.

Vertrauen war überhaupt das zentrale Stichwort bei der Befragung der als Sachverständige geladenen Abge­ordneten. Irene Mihalic von den Grünen betonte ebenso wie Stephan Thomae von der FDP, wie wichtig das Vertrauen in den Ausschussvorsitzenden sei. Dieser führe im Grunde die Entscheidungen des Ausschusses aus, sagte Mihalic. Die Fraktionen müssten darauf vertrauen können, dass er das auch tue.

Beide berichteten außerdem davon, dass auch die Außenwirkung eines Ausschussvorsitzenden wichtig sei. Wenn er explizit als Vorsitzender auftrete, dürfe er nicht den Eindruck erwecken, nur für eine Fraktion zu sprechen. Es dürfe kein Schaden für das Amt entstehen.

Nach der Bundestagswahl 2021 hatte es ein weiteres Novum im Parlament gegeben. Nachdem die Fraktionen im Zugriffsverfahren Anspruch auf verschiedene Ausschussvorsitze erhoben hatten, wurde in jedem Ausschuss eine geheime Wahl beantragt.

Die drei Kandidaten der AfD für die Vorsitze im Innen-, Gesundheits- und Ent­wicklungsausschuss fielen dabei durch. Die Ausschüsse werden seitdem vorläufig von den stellvertretenden Vorsitzenden geleitet. Das sei eine „gravierende Änderung der bisherigen Praxis“, sagte Experte Hölscheidt. Wenn es keine Möglich­keit zur Einigung gebe, sei es in einer Demokratie seiner Auffassung nach aber schlüssig, eine Wahl abzuhal­ten.

Ein wichtiger Streitpunkt in der Verhandlung war nun die sogenannte Spiegelbildlichkeit. Demnach sollen Aus­schüsse ein verkleinertes Abbild des Bundestags sein. Das gelte für die gesamte Arbeitsebene, argumen­tierte der Bevollmächtigte der AfD-Fraktion, Michael Elicker.

Er leitete den Anspruch auf Ausschussvorsitze von den Minderheitenrechten im Bundestag ab. Der Opposition müssten Kontrollrechte zur Verfügung stehen, um die Demokratie "richtig zum Laufen zu bringen", argumen­tierte er.

Die Bevollmächtigte des Bundestags, Sophie Schönberger, hält den Grundsatz der Spiegelbildlichkeit dagegen für nicht anwendbar. Der Vorsitz eines Ausschusses sei eben keine Arbeit des Plenums als Kollektiv, sondern eher Verwaltungsarbeit. Wenn Ausschüsse mit Vorsitzenden arbeiten müssten, zu denen „das Vertrauens­ver­hältnis massiv zerstört“ sei, wäre die Funktionsfähigkeit des Bundestags deutlich eingeschränkt, sagte sie.

Die AfD-Fraktion sieht unter anderem ihr Recht auf Gleichbehandlung und auf effektive Opposition verletzt. „Wir warten mit großer Spannung das Verfahren ab und die Entscheidung des Gerichts“, sagte Fraktions- und Parteichefin Alice Weidel gestern in Berlin. „Wir sind im siebten Jahr hier im Deutschen Bundestag und uns werden wichtige Positionen und Sitze vorenthalten. Das ist ein Betrug an Millionen von Wählern.“

Wie wichtig ihr die Frage ist, zeigte sich auch vor einer Woche im Gesundheitsausschuss: Der AfD-Abgeord­nete Kay-Uwe Ziegler provozierte einen Eklat, als er den Platz der amtierenden Ausschussvorsitzenden ein­nahm und Anspruch auf die Sitzungsleitung erhob. Die anderen Abgeordneten boykottierten die Sitzung, bis Ziegler den Platz wieder aufgab.

dpa/afp

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