Union: Flüchtlingsfrage muss Chefsache werden

Berlin – Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat den Bund zu mehr Anstrengungen aufgerufen, um den Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine zu bewältigen. „Die Bundesregierung muss endlich in den Aktionsmodus wechseln, eine konsequente Registrierung und Verteilung in Europa organisieren, den Schutz von Frauen und Kindern garantieren und die Integration ermöglichen“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt der Rheinischen Post.
„Durch die mangelnde Handlungsbereitschaft der Bundesregierung droht bei steigenden Flüchtlingszahlen schnell der Kontrollverlust.“ Deutschland brauche schnellstens ein koordiniertes Flüchtlingsmanagement. „Unser Land muss darauf vorbereitet werden, dass binnen kürzester Zeit eine große Zahl an Menschen auf der Flucht aus der Ukraine aufgenommen werden“, sagte Dobrindt.
Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hält Prognosen, wonach eine Million Menschen aus der Ukraine nach Deutschland kommen, für zu niedrig. „Ich erwarte ein Vielfaches dessen für Deutschland. Deshalb müssen wir uns auch wesentlich besser vorbereiten“, sagte der CDU-Politiker der Bild-Zeitung (heute). Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse das Thema „endlich zur Chefsache“ machen.
Auch Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) fordert eine schnellere und bessere Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Nötig sei ein „ministeriumsübergreifender nationaler Krisenstab im Kanzleramt“, sagte Göring-Eckardt der Bild am Sonntag. Dort könnten alle Fragen von der Unterbringung bis zur Versorgung und Kinderbetreuung geklärt werden. „Wir brauchen eine Flüchtlingskoordination, bei der alle Fäden, auch die Abstimmung mit den Bundesländern, zusammenlaufen.“
Die Politik müsse jetzt „schnell staatliche Strukturen hochfahren und für eine bessere Verteilung sorgen“, mahnte die Grünen-Politikerin an. Die Koalition müsse zudem mehr Geld für Deutschkurse zur Verfügung stellen. „Da braucht es zügig mehr Personal und mehr Geld. Das wird Teil der Haushaltsverhandlungen nächste Woche“, so die Ankündigung.
Insbesondere der Zugang der Flüchtlinge zu medizinischer und psychologischer Versorgung müsse verbessert werden: „Bundesweit müssen Gesundheitskarten an die Menschen verteilt werden, mit denen sie unbürokratisch zum Arzt und Psychologen gehen können.“ Es brauche einen umfassenden Krankenschutz.
Angesichts der voraussichtlich steigenden Zahlen an Flüchtlingen und möglicherweise auch Kriegsverletzten sei man „derzeit nicht so aufgestellt, wie wir es sein müssten“, sagte jüngst der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Entsprechende Beschlüsse der Bund-Länder-Runde fehlten noch, so die Kritik.
Tatsächlich lägen noch keine sicheren Zahlen vor, wie viele ukrainische Flüchtlinge derzeit bereits in den Krankenhäusern behandelt würden, erklärte die DKG auf Anfrage der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA). Doch wird eine hohe Belastung der Kliniken befürchtet.
Dies sei nicht zuletzt auch auf die pandemische Lage zurückzuführen: Trotz nach wie vor hoher Inzidenzwerte haben Bund und Länder im neuen Infektionsschutzgesetz beschlossen, die Coronamaßnahmen seit gestern weitgehend aufzuheben. Lediglich an der Maskenpflicht wird weiterhin größtenteils festgehalten. Die DKG warnt nun vor einer Doppelbelastung durch Corona und Flüchtlinge.
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine wurden bis gestern in Deutschland mehr als 218.000 Kriegsflüchtlinge registriert. Die tatsächliche Zahl dürfte aber deutlich höher sein, weil es im Regelfall keine festen Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen gibt und Ukrainer zudem ohne Visum einreisen dürfen. Nicht erfasst wird außerdem, wie viele der Geflüchteten womöglich von Deutschland aus weiterreisen zu Freunden oder Verwandten in anderen Staaten.
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze will aus der Ukraine geflüchtete Frauen gezielt unterstützen. „Diese Frauen haben oft Schlimmes erlebt und stehen jetzt in einem fremden Land vor Fragen, auf die sich keine von ihnen vorbereiten konnte“, sagte die SPD-Politikerin der Augsburger Allgemeinen. Schulze kündigte an, das Aktionsnetzwerk Frauen auf der Flucht auch für Frauen und Mädchen aus der Ukraine zu öffnen und Fördermittel für Hilfsprojekte von Frauenorganisationen bereitzustellen.
Der Deutsche Kinderschutzbund appellierte an die Kommunen, die Situation der Jüngsten besonders zu berücksichtigen. Die Kinder und ihre Mütter brauchten zuerst Sicherheit, ein Mindestmaß an Privatsphäre, Orte zum Spielen und Betreuer, „die traumasensibel mit ihnen umgehen“, sagte der Präsident der Organisation, Heinz Hilgers, der Rheinischen Post. Auch hätten die Kinder ein Recht auf Bildung, arbeitende Mütter bräuchten eine Kinderbetreuung.
Außenministerin Annalena Baerbock will sich beim Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister für eine EU-weite Verteilung der Flüchtlinge einsetzen. „Es werden viele viele weitere Menschen kommen. Wir werden von der europäischen Außengrenze verteilen müssen“, sagte die Grünen-Politikerin gestern in Hannover, wo sie eine Notunterkunft für Geflüchtete besucht hatte. „Jedes Land in Europa muss Menschen aufnehmen“, forderte Baerbock.
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