Ukraine: Mehr medizinische Hilfe nötig, Ärzte richten Hilfsfonds ein

Brüssel – Die medizinische Hilfe für die Ukraine muss dringend ausgebaut werden. Die Europäische Union (EU) brachte gestern daher mehr Hilfen auf den Weg – und Ärzteverbände richteten gemeinsam einen Hilfsfonds ein.
Zwar würden bereits Ausrüstung, Medikamente, Betten und vieles mehr in die Ukraine und ihre Nachbarländer geschickt, sagte EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides gestern nach einer Videokonferenz der Gesundheitsminister der EU. „Aber es wird noch viel mehr medizinische Hilfe benötigt.“
Bislang gebe es Zusagen für mehr als 10.000 Betten in Krankenhäusern von EU-Staaten. Diese sollen etwa für Kinder, für Neugeborene und ihre Mütter, Krebspatienten oder Menschen mit Verbrennungen zur Verfügung stehen. Diese Woche seien bereits die ersten Patienten von Polen nach Italien verlegt worden. „Wir gehen davon aus, dass weitere Verlegungen folgen werden“, so die EU-Politikerin.
Um den Transfer von vor dem Krieg geflohenen Ukrainern in europäische Krankenhäuser zu regeln, sollen an den Grenzen zwischen der EU und der Ukraine Gesundheitseinrichtungen entstehen, in denen der Gesundheitszustand der Menschen geprüft wird.
In dieser Woche seien bereits „erste Pädiatriepatienten von Polen nach Italien verlegt“ worden, sagte Kyriakides. Seit Beginn des Konflikts hat Italien mehrere dutzend kranke ukrainische Kinder aufgenommen, darunter mindestens 24 in der norditalienischen Region Lombardei und 13 im Piemont, wie die örtlichen Behörden mitteilten.
In Frankreich könnten die ersten Patienten aus der Ukraine „bis zum Ende der Woche“ eintreffen, je nach Bedarf, sagte Véran. Die Entsendung von medizinischem und pflegerischem Personal in die Grenzländer sei hingegen nicht vorgesehen. Die EU schicke aber Medikamente und medizinische Ausrüstung, um „den Druck auf die Krankenhäuser an den Grenzen zu verringern“.
Auch Ärzteorganisationen in Deutschland haben bereits in Eigenregie eine Reihe von Angeboten auf den Weg gebracht. Dabei geht es unter anderem um Hilfe für Dialysepatienten oder auch krebskranke Kinder.
Nach einem dringenden Appell des ukrainischen Ärzteverbandes wurde jetzt auch ein „Ukraine Medical Help Fund“ von dem Weltärztebund (WMA), dem Ständigen Ausschuss der Europäischen Ärzte (CPME) und dem Europäischen Forum der Ärzteverbände (EFMA) ins Leben gerufen, wie die drei Organisationen mitteilten.
Ziel sei es, die ukrainischen Kollegen und die nationalen Ärzteverbände in den Nachbarländern zu unterstützen, die sich in der sich verschärfenden humanitären Krise engagieren.
„Die intensive militärische Eskalation hat zu Verlusten an Menschenleben, Verletzungen und der Vertreibung von über einer Million Flüchtlingen in die Nachbarländer geführt“, schreiben WMA, CPME und EFMA. Krankenhäuser und medizinische Einrichtungen seien schwer beschädigt worden und es mangele an allen medizinischen Gütern.
„Wir appellieren an Sie, den Fonds für medizinische Hilfe in der Ukraine mit einer Spende zu unterstützen“, so die Organisationen. Hauptzweck des Fonds ist es, Transport und Verteilung medizinischer Güter – Medikamente, medizinische medizinische Produkte, Spezialnahrung und andere Hilfsmittel für die Gesundheitsversorgung – für die Ukraine zu organisieren.
Das soll in Kooperation mit dem Ukrainischen Ärzteverband, Mitglieds- und Partnerorganisationen in der Ukraine und aus den Nachbarländern, darunter die Polnische Ärzte- und Zahnärztekammer oder auch die Slowakische Ärztekammer, erfolgen.
Ein Teil der Mittel kann für die medizinische Hilfe für Flüchtlinge verwendet werden, falls die Gesundheitssysteme der Empfängerländer überfordert sind, heißt es in der Mitteilung weiter. Wenn andere Hilfsorganisationen besseren Zugang zu den Menschen in der Ukraine haben, können die Mittel auch weitergegeben werden.
Nach Angaben von WMA, CPME und EMFA hat der Japanische Ärzteverband mehr als 770.000 Euro gespendet. Die französische Ärztekammer hat 150.000 Euro zugesagt. Diese Beiträge hätten es ermöglicht, eine erste Lieferung medizinischer Güter in die Ukraine zusammenzustellen, hieß es.
Neuesten Berichten zufolge bleibt die Lage in der Ukraine weiter sehr angespannt. Nach Angaben des ukrainischen Präsidialamts sind gestern rund 29.000 Menschen aus mehreren von russischen Truppen belagerten Städten in Sicherheit gebracht worden.
Zuvor hatte der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamts, Kyrylo Tymoschenko, bekanntgegeben, dass rund 20.000 Menschen die umkämpfte Hafenstadt Mariupol über einen „humanitären Korridor“ verlassen konnten.
Allerdings sind nachwievor rund 300.000 Menschen in der Stadt ohne Wasser, Strom oder Lebensmittelnachschub gefangen. Flüchtlinge beschreiben katastrophalen Zustände in Mariupol: Die Menschen seien gezwungen, ungefiltertes Wasser aus einem Fluss zu trinken.
In einem Krankenhaus von Mariupol warf die Ukraine russichen Streitkräften eine Geiselnahme von rund 400 Zivilisten vor. „Und jetzt wird aus dem Krankenhaus heraus geschossen“, sagte Vizeregierungschefin Iryna Wereschtschuk in einer Videobotschaft.
Der Gouverneur der Region, Pawlo Kyrylenko, erklärte, dass die russischen Streitkräfte die Angestellten eines Krankenhauses in Mariupol und 400 Anwohner als „Geiseln“ in der Einrichtung festhielten. Das twitterte auch die Journalistin Anastasia Magazova, die einmal bei der Deutschen Welle gearbeitet hat.
Zuvor hatte bereits die Hilfsorganisation Media Initiative for Human Rights entsprechende Vorwürfe erhoben. Von russischer Seite gab es zunächst keine Stellungnahme. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Mariupol liegt etwa 55 Kilometer von der russischen Grenze und 85 Kilometer von der Separatistenhochburg Donezk entfernt. Es ist die größte Stadt zwischen der von Russland annektierten Krim-Halbinsel und den pro-russischen Separatistengebieten, die sich noch in der Hand der ukrainischen Regierung befindet.
Die Eroberung der Stadt mit einst 450.000 Einwohnern wäre ein Wendepunkt in der russischen Invasion der Ukraine, da sie eine Landverbindung zwischen den beiden Gebieten herstellen und die Ukraine vom Asowschen Meer abschneiden würde. Nach UN-Angaben sind mittlerweile mehr als drei Millionen Menschen vor dem russischen Angriffskrieg aus der Ukraine geflohen. Dazu kommen Millionen Binnenflüchtlinge.
Auf eine Evakuierung können Zivilisten aus umkämpften Städten und Dörfern nach Angaben aus Kiew nicht unbedingt hoffen. „Die Frage humanitärer Korridore für Isjum und Mariupol ist offen. Es ist derzeit unmöglich, Menschen dort gefahrlos herauszuholen“, sagte Wereschtschuk. „Wege für die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten in eroberte Städte werden ausgearbeitet.“
Rotkreuz-Chef Peter Maurer reiste nach Kiew. Er sei für fünf Tage vor Ort, um sich für besseren Zugang für humanitäre Organisationen und einen größeren Schutz der Zivilbevölkerung einzusetzen, teilte das Internationale Komitee vom Roten Kreuz in Genf mit.
Die Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew sind zäh, doch sie gehen auch heute weiter. In Brüssel beraten die Verteidigungsminister der Nato-Staaten. Ein Ende des Kriegs in der Ukraine ist weiter nicht in Sicht. Die russische Armee verzeichnet offenbar schwere Verluste.
Die Vereinten Nationen warnten heute auch vor den Folgen des Krieges für die Menschen in der Ukraine. Im Falle einer andauernden Invasion könnten in der Ukraine nach ersten Schätzungen in den kommenden zwölf Monaten rund 90 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen sein. Eine anhaltende russische Invasion könnte das Land wirtschaftlich in diesem Zeitraum um fast zwei Jahrzehnte zurückwerfen, teilte das UN-Entwicklungsprogramms UNDP mit. „Jeder Tag, den der Frieden auf sich warten lässt, beschleunigt den freien Fall in die Armut für die Ukraine“, warnten die UN.
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