Politik

Verbände legen Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung von Schwangerschafts­abbrüchen vor

  • Donnerstag, 17. Oktober 2024
/dpa, Jens Büttner
/dpa, Jens Büttner

Berlin – Der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs soll fallen und ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche rechtmäßig und straffrei werden, wenn er auf Verlangen der Schwangeren und durch Ärzte erfolgt. Dies sieht ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vor, den heute 26 zivilgesellschaftliche Fachverbände vorlegten.

Schwangere, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, sollen ihm zufolge durch verbesserte Beratung und medizinische Versorgung unterstützt und geschützt werden. Die die bisherige Beratungspflicht soll jedoch abgeschafft werden.

„Wir fordern den Bundeskanzler, die Bundesministerinnen und Bundesminister und die Bundestagsabgeord­neten aller demokratischen Parteien auf, den Schwangerschaftsabbruch noch in dieser Legislaturperiode neu zu regeln“, betonten die Verbände heute vor der Presse.

Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs verboten. Er bleibt aber bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nach einer Pflichtberatung straffrei.

Der Gesetzentwurf der Organisationen sieht nun vor, im Paragrafen 218 nur noch Abbrüche unter Strafe zu stellen, die ohne Einwilligung der Schwangeren vorgenommen werden. Außerdem soll es strafbar sein, eine Frau zu nötigen, ihre Schwangerschaft fortzusetzen.

Auch ein späterer Abbruch soll weiterhin rechtswidrig sein – es sei denn, es droht „Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“.

Alle anderen Fragen, wie die Voraussetzungen zur Durchführung eines rechtmäßigen Schwangerschaftsab­bruchs und ärztliche Pflichtverletzungen sollen außerhalb des Strafrechts, im Schwangerschaftskonfliktge­setz, geregelt werden.

Den Gesetzentwurf sehen die Verbände als Impuls für eine längst fällige Gesetzesreform. Dabei verwiesen sie auf die Arbeit der von der Ampelregierung eingesetzte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, die bereits im Frühjahr empfohlen hatte, das Abtreibungsrecht zu liberalisieren.

In der Koalition herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, wie mit den Empfehlungen umgegangen werden soll. Während Grüne und SPD eine Liberalisierung unterstützen, äußerte die FDP bislang noch Skepsis.

Federführend wurde der heute von den Verbänden vorgelegte Gesetzentwurf auch von den an der Kommis­sion beteiligten Juristinnen Liane Wörner, Maria Wersig und Friederike Wapler erstellt. Er stehe im Einklang mit Grundgesetz, Menschenrechten und internationaler Gesundheitsevidenz und sehe eine vollständige Ab­schaffung aller Zugangshürden zum Schwangerschaftsabbruch, wie Wartefristen, vor, erläuterten sie.

Beratung soll den Betroffenen jederzeit offenstehen und rechtlich gewährleistet sein, jedoch nicht länger ver­pflichtend sein. „Mit der Einführung eines Rechtsanspruchs auf psychosoziale Beratung für Schwangere statt der bisherigen Pflichtberatung setzt der Entwurf auf Unterstützung statt Zwang. Das ist ein Paradigmen­wech­sel“, stellte Wersig fest.

Grundsätzlich basierten die vorgeschlagenen Regelungen auf den Empfehlungen der Kommission, internatio­naler Menschenrechtsgremien und internationaler Gesundheitsleitlinien und berücksichtigen die verfas­sungs­­gerichtliche Rechtsprechung, betonten die Juristinnen weiter.

„Eine ungewollte Schwangerschaft betrifft Freiheit und Selbstbestimmung, körperliche Unversehrtheit und Gesundheit und die Intimsphäre der Schwangeren“, so Wapler. „Alle diese Güter stehen unter dem Schutz der Grundrechte. Gesetze, die den Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch beschränken, können nur mit ge­wichtigen Gründen von Verfassungsrang gerechtfertigt werden.“

Der Gesetzentwurf rücke die eigenverantwortliche Entscheidung der Schwangeren in den Mittelpunkt und verankere das Recht Schwangerer, ohne Zwang zu entscheiden, welche Beratungsangebote und medizini­schen Leistungen sie in Anspruch nehmen wollen.

„Die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs führt zu rechtlicher Unsicherheit, stigmatisiert Betrof­fene und behindert den Zugang zu notwendigen medizinischen Leistungen“, so Wörner. Die Beibehaltung des Status quo schränke die reproduktiven Grund- und Persönlichkeitsrechte von Frauen – und nur von Frauen – ein und bedinge damit Diskriminierungen.

Festgeschrieben werden mit dem Entwurf auch die Rechtsansprüche Schwangerer auf Beratung und Versor­gung sowie auf Sprachmittlung bei der Beratung. Verankert ist zudem die Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten sowie Fachkräften in der medizinischen und geburtshilflichen Versorgung, Schwangere auf professio­nelle Beratungsangebote hinzuweisen.

Der Sicherstellungsauftrag der Länder in Bezug auf die Anerkennung und öffentliche Förderung von Bera­tungs­stellen und das Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwanger­schafts­abbrüchen soll bestehen bleiben.

Krankenhäuser sollen die Durchführung von Schwangerschafts­abbrüchen anbieten müssen. Möglich soll es jedoch auch weiterhin für Ärztinnen und Ärzte sein, die Vor­nahme eines Schwangerschaftsabbruchs aus persönlichen Gründen zu verweigern.

„Die Legalisierung von Abbrüchen, wie der Gesetzesentwurf sie vorschlägt, ist unabdingbar für eine Verbesse­rung der medizinischen Versorgung und der ärztlichen Aus- und Weiterbildung“, betonte Alicia Baier, Vorstand Doctors for Choice Germany. Für Ärztinnen und Ärzte sowie für die Schwangeren sei es höchste Zeit, dass Ab­brüche Teil der regulären Gesundheitsversorgung würden.

Auch in der gestrigen Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Bundestag hatten Mitglieder der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin die in ihrem Ab­schlussbericht enthaltene Forderung zur Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch verteidigt und die politische Umsetzung angemahnt.

In der Diskussion im Ausschuss hatten die Koalitionsfraktionen betont, dass sie hinter den Ergebnissen des Abschlussberichts stünden und sich für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stark machten.

Denn die aktuelle Gesetzesgrundlage stehe dem Selbstbestimmungsrecht der Frauen entgegen. Dies unter­strich auch die Gruppe Die Linke. Heftige Kritik kam dagegen von der CDU/CSU-Fraktion und der AfD-Frak­tion, die der Kommission vorwarfen, nicht unabhängig gearbeitet, sondern „gewünschte Ergebnisse“ geliefert zu haben.

Widerspruch zu dem vorgeschlagenen Entwurf kam heute auch von katholischer Seite. Die Vorgaben im Straf­rechtsparagrafen 218 sollten beibehalten werden, erklärte die Deutsche Bischofskonferenz.

Bei einer Regelung außerhalb des Strafrechts bestehe die erhebliche Sorge, dass damit der Anspruch auf gleichen Schutz von ungeborenem wie geborenem menschlichen Leben aufgegeben werde, so die Bischöfe. Auch der Deutsche Caritasverband lehnte eine grundlegende Änderung des Abtreibungsrechts ab.

Die 26 zivilgesellschaftliche Fachverbände verweisen auf internationale Erfahrungen: „Andere Länder haben es vorgemacht: Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert, liberalisiert und als Gesundheitsleistung anerkannt“, erklärte Sina Tonk von Terre des Femmes.

Deutschland müsse diesem Beispiel noch in dieser Legislaturperiode folgen – der vorgelegte Gesetzentwurf zeige, wie es gehen könne. „Damit wäre ein großer Schritt in Richtung Geschlechtergerechtigkeit und für Frauenrechte in Deutschland getan.“

ER

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung