Politik

Vertrauliche Erstattungspreise: Klüngelei-Vorwürfe gegen Bundesregierung verdichten sich

  • Dienstag, 15. Oktober 2024

Berlin – Die Vorwürfe gegen die Bundesregierung, bei der Einführung vertraulicher Erstattungspreise einen unlauteren Deal mit dem Pharmakonzern Eli Lilly eingegangen zu sein, verdichten sich. Die Linke fordert Aufklärung.

Einer Recherche von Süddeutscher Zeitung (SZ), NDR, WDR und der Journalistengenossenchaft „Investigate Europe“ zufolge soll die Einführung vertraulicher Erstattungspreise durch das Medizinforschungsgesetz (MFG) eine Gegenleistung der Bundesregierung für eine Milliardeninvestition von Eli Lilly im rheinland-pfälzischen Alzey sein.

Der Vorwurf stand bereits im Raum, als sich das MFG noch im parlamentarischen Verfahren befand. „Eigentlich sollten wir hier keine Gesetze für einzelne Unternehmen machen, aber die Ampel tut das. Wir reden hier von einer Lex Lilly“, erklärte die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler im Juni bei der ersten Lesung des Gesetzes im Bundestag.

Ihr Fraktionskollege Ateş Gürpınar warf Lauterbach bei der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag einen Monat später ebenfalls vor, mit dem Vorhaben in Wirklichkeit Wünschen eines einzelnen Pharmakon­zerns gefolgt zu sein. „Das hat nichts mit dem Unternehmen Eli Lilly zu tun“, beteuerte Lauterbach damals.

Unterlagen, die der Rechercheverbund nach dem Informationsfreiheitsgesetz eingeklagt und nun vom Bundes­gesundheitsministerium (BMG) erhalten hat, lassen den Fall allerdings in einem anderen Licht erscheinen.

So habe das für die Versorgung mit neuen Arzneimitteln zuständige Referat 117 im BMG schon Mitte Septem­ber vergangenen Jahres festgehalten, es könne „dem CEO von Eli Lilly Dave Ricks mitgeteilt werden, dass das BMG dem Wunsch von Eli Lilly nachkommt und im Rahmen des MFG plant, vertrauliche Rabatte für den Her­stellerpreis zu ermöglichen“, zitiert die SZ aus den Dokumenten.

Demnach gehe aus Notizen von Abteilungsleiter Thomas Müller hervor, dass der Konzern unmissverständlich klargestellt habe, dass er seine Investitionszusage über rund 2,3 Milliarden Euro für das Werk in Alzey an die Zusage der Bundesregierung bezüglich der vertraulichen Erstattungspreise knüpfe. Im November 2023 sei auch Lauterbach selbst noch einmal ein Vermerk vorgelegt worden sein, der das bestätigte.

Tatsächlich war das Vorhaben auch innerhalb der Regierungsfraktionen von Beginn an umstritten. Insbeson­dere die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta hatte sich vehement gegen vertrauliche Erstattungs­preise ausgesprochen und erklärt, sie wolle deren Streichung aus dem Gesetzentwurf erreichen. Schon damals war es dem Vernehmen nach das Bundeskanzleramt, das sich dafür einsetzte, die Regelung beizubehalten.

Die nun von der SZ zitierten Dokumente stützen diese Auffassung. In ihnen werde immer wieder darauf ver­wiesen, dass es schon früh Gespräche zwischen Konzern und Kanzleramt gegeben habe. Neben drei Gesprä­chen zwischen Staatssekretär Jörg Kukies und CEO David Ricks soll dazu auch ein Telefonat zwischen Ricks und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zählen.

Das Kanzleramt habe sich auf Anfrage nicht dazu äußern wollen. Das BMG erkläre, dass Lauterbach keine Ver­merke bekannt seien, „in denen er sich Eli Lilly gegenüber zu diesem Thema geäußert hätte“. Die Haltung des Konzerns habe „für ihn persönlich“ keine Rolle bei der Entwicklung der Pharmastrategie gespielt.

Bei der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag hatte sich Lauterbach gegen die Vorwürfe vertei­digt, indem er darauf verwies, das Konzept der vertraulichen Erstatt­ungspreise sei bereits im Rahmen der Pharmastrategie der Bundesregierung entwickelt worden, an der keine Unternehmen beteiligt gewesen seien.

Die Pharmastrategie hat die Bundesregierung jedoch erst Mitte Dezember 2023 beschlossen, also nach den zitierten Vermerken. Auch im September 2023 lag erst ein noch nicht abgestimmter Entwurf der Strategie vor.

Laut SZ geht nun aus den Dokumenten hervor, dass auch die Beamten des BMG davor gewarnt haben, die Er­möglichung vertraulicher Erstattungsbeträge führe „zu erheblichen Problemen“ und voraussichtlich zu Mehr­kosten. Zudem habe auch „ein Großteil der pharmazeutischen Industrie“ das Vorhaben „nicht als zentrale Maß­nahme“ betrachtet.

Für Eli Lilly könnte das anders sein. Im Werk in Alzey soll der GLP-1-Rezeptor-Agonist Tirzepatid, Markenname Mounjaro, produziert werden. Zur Behand­lung von Diabetes mellitus Typ 2 ist dieser in der gesetzlichen Kran­kenversicherung erstattungsfähig, als Abnehmmittel hingegen nicht.

Da der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Tirzepatid im Mai überwiegend keinen Zusatznutzen bescheinigt hat, muss Eli Lilly damit rechnen, im Verfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) einen hohen Rabatt gewähren zu müssen.

Nach dieser Logik würde der Konzern von den vertraulichen Preisen profitieren, indem Selbstzahler, die Moun­jaro als Abnehmpräparat nutzen wollen, nicht erfahren würden, wie hoch der von ihnen entrichtete Preis im Vergleich zu den Erstattungspreisen der GKV ist.

Piechotta und andere Abgeordnete hatten zwar keinen Verzicht auf die vertraulichen Erstattungspreise er­reicht, über Änderungsanträge aber immerhin Nachschärfungen durchsetzen können. Einem Dokument, aus dem die SZ zitiert, zufolge habe das BMG bereits im November 2023 erklärt, die Regelung aufgrund des öffentlichen Widerstands einschränken zu wollen.

Dabei solle sie allerdings für „Arzneimittel, die aufgrund von Lifestyle-Indikationen nur teilweise erstattungs­fähig sind“, beibehalten werden. Damit „wäre sichergestellt, dass die Zusage gegenüber Lilly eingehalten wür­de, da Mounjaro darunterfallen würde“, heißt es weiter.

Die Linke sieht sich in ihren Vorwürfen bestätigt. „Wir haben von Anfang an vor der Lex Lilly gewarnt“, erklärte die Bundestagsabgeordnete Vogler. Der Versuch der Pharmalobby, sich über vertrauliche Rabatte in Deutsch­land zu bereichern, gefährde die Preisstabilität von Arzneimitteln nicht nur bei uns, sondern in ganz Europa.

„Es ist völlig inakzeptabel, dass der Bundeskanzler und sein Kabinett offenbar bereit waren, zentrale Prinzipien der Preisregulierung zu opfern. Jetzt muss alles auf den Tisch“, so Vogler.

So müssten nicht nur die Unterlagen aus dem BMG veröffentlicht werden, sondern vor allem die aus dem Kanzleramt. Die Öffentlichkeit habe ein Recht darauf, zu erfahren, welche Absprachen hinter verschlossenen Türen getroffen wurden. „Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass diese Gesetzesänderung auf Wunsch von Eli Lilly zustande kam, müssen sofort Konsequenzen gezogen werden“, fordert sie.

Parlamentarierinnen aus den Regierungsfraktionen verteidigten das Vorgehen im Gesetz klar: „Die Vertraulichkeit ist an exakte Bedingungen geknüpft. Und die Forderungen kamen nicht nur von einer Firma, sondern auch von vielen mittelständischen Unternehmen", sagte die FDP-Gesundheitsexpertin Christine Aschenberg-Dugnus auf dem Kassengipfel heute in Berlin. Maria Klein-Schmeink, in der Grünen-Fraktion im Bundestag verantwortlich für Gesundheitspolitik, erklärte auf der Veranstaltung: „Wir Parlamentarier nehmen uns die Freiheit, Gesetze zu ändern. Und besonders die nun kritisierte Passage haben wir deutlich geändert und an klare Bedingungen gebunden."

lau

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