AkdÄ-Vorsitzender Mühlbauer: Geld nicht für überflüssige Arzneimittel verschwenden

Berlin – Der neue Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Bernd Mühlbauer, will einen Schwerpunkt seiner Arbeit auf das Thema Arzneimittelkosten legen. „Wir stehen vor großen Aufgaben: Bei den jährlichen Arzneimittelkosten der gesetzlichen Krankenversicherung kratzen wir mittlerweile an der 60-Milliarden-Euro-Grenze“, sagte Mühlbauer nach seiner Wahl zum AkdÄ-Vorsitzenden am vergangenen Freitag bei der Mitgliederversammlung der Kommission in Berlin.
„Und was für Arzneimittel ausgegeben wird, fehlt an anderer Stelle im System. Ich sehe es unter anderem als Aufgabe der AkdÄ an, Klarheit darüber zu schaffen, dass die Mittel endlich sind und dass wir das Geld nur für Medikamente ausgeben dürfen, die einen wirklichen Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten haben. Für Überflüssiges dürfen wir keine Mittel verschwenden.“
Zudem betonte Mühlbauer, wie wichtig ihm die Unabhängigkeit der AkdÄ ist. „Bis in die 1990er-Jahre hinein war mir als jungem Arzt nicht klar, was die AkdÄ macht. Ihre Tätigkeit hatte keine Bedeutung für meine ärztliche Arbeit“, berichtete er.
„Das änderte sich unter dem Vorsitz zunächst von Bruno Müller-Oerlinghausen und später von Wolf-Dieter Ludwig: Die AkdÄ wurde in dieser Zeit zu einem wichtigen Gremium, dessen Empfehlungen und Publikationen tatsächlich Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit hatten. Diese Tradition möchte ich zusammen mit dem neuen Vorstand und allen Mitgliedern der AkdÄ fortsetzen. Wir werden mit Verve dafür kämpfen, dass die Tätigkeit der AkdÄ unabhängig bleibt und von der Ärzteschaft auch als unabhängig wahrgenommen wird.“
Viele Stellungnahmen zu neuen Arzneimitteln
Der scheidende Vorsitzende der AkdÄ, Wolf-Dieter Ludwig, berichtete zuvor auf der Mitgliederversammlung von den vielfältigen Tätigkeiten, die die ehrenamtlichen Mitglieder der Kommission mit der Geschäftsstelle im vergangenen Jahr ausführten. Neben der Mitarbeit an Leitlinien, der Durchführung unabhängiger Fortbildungsveranstaltungen oder der Arbeit im Bereich Arzneimitteltherapiesicherheit zählt dazu insbesondere auch das Schreiben von Stellungnahmen im Rahmen des AMNOG-Prozesses.
So verfassten die Mitglieder der AkdÄ im laufenden Jahr 23 Stellungnahmen im Rahmen der frühen Nutzenbewertung neuer Arzneimittel. Seit Beginn des AMNOG-Verfahrens im Jahr 2011 waren es 263 Stellungnahmen.
Ludwig wies darauf hin, dass es bei der frühen Nutzenbewertung eine hohe Übereinstimmung zwischen der Beurteilung der AkdÄ und der folgenden Beurteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gebe. Das zeige, wie wichtig die Mitarbeit der AkdÄ im AMNOG-Prozess sei – auch, um die Bewertungen des G-BA zu stärken. Denn es kämen weiterhin viele Arzneimittel neu auf den Markt, für die kein Zusatznutzen belegt sei.
Mit Stand 1. April 2024 liegt der Anteil der Medikamente, bei denen das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) keinen belegten Zusatznutzen feststellte, bei 61%, hielt der Leiter des Instituts, Thomas Kaiser, Ende vergangener Woche fest, als er bei einem wissenschaftlichen Symposium eine Zwischenbilanz zu 13 Jahren AMNOG zog.
In weiteren 8% war der Zusatznutzen demnach nicht quantifizierbar, in weiteren 2% gering. Die Veranstaltung wurde von der Bundesärztekammer zu Ehren des scheidenden ÄkdÄ-Vorsitzenden Ludwig ausgerichtet. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
Mehr Evidenzgenerierung gefordert
Als großes Problem benannte Kaiser fehlende Studiendaten zu wichtigen versorgungsrelevanten Fragen. Diese seien schließlich nicht deckungsgleich mit den für die Zulassung maßgeblichen Fragen, etwa zur Wirkung des Arzneimittels und den Nebenwirkungen.
„Wir sehen hier, dass es eine starke und kontinuierliche und sich nicht ändernde Konzentration auf die Anforderungen der Zulassung gibt“, sagte Kaiser. Hersteller begründeten zum Beispiel auf Nachfragen, warum es keine direkten Vergleiche mit verfügbaren Wirkstoffen gegeben habe, dass die Studiendesigns von Zulassungsbehörden akzeptiert worden seien.
Wenn man nun über ein „AMNOG 2.0“ spreche, so sei es entscheidend, dass man mehr Einfluss auf die Evidenzgenerierung bekomme, betonte Kaiser. Es gehe nicht um die absolut perfekte Studie, sondern um gut und schnell durchführbare Studien. Man müsse sich um das Thema kümmern. „Wir können das nicht den anderen überlassen.“
Zentrale Errungenschaft für das AMNOG sei die Transparenz, betonte Kaiser. „Die Hersteller müssen alle Ergebnisse, alle Studienberichte, alle Studienprotokolle einreichen.“ Man habe, unter anderem am IQWiG, somit eine unterschiedliche Datenbasis im Vergleich zu vielen anderen.
Damit ließen sich weitere Erkenntnisse gewinnen und eine kritische Betrachtung auch hochrangig publizierter Studien werde möglich. Trotz des Informationsgewinns sei die verfügbare Evidenz aus dem AMNOG-Verfahren allerdings in Leitlinien relativ selten berücksichtigt worden, hielt Kaiser zu einer Untersuchung fest. „Es ist eigentlich ein Drama“, dass dieser Erkenntnisschatz nicht systematisch herangezogen worden sei.
Skepsis beim Blick auf Preise von Onkologika
Speziell mit Onkologika setzte sich Claudia Wild, Geschäftsführerin des Austrian Institute for Health Technology Assessment (Wien), das unter anderem die Wirksamkeit und Sicherheit (neuer) Krebsmedikamente bewertet, kritisch auseinander.
Sie warf angesichts der im europäischen Vergleich sehr hohen Ausgaben für diese Medikamente in Österreich und Deutschland die Frage auf, ob dies für eine besonders gute Versorgung oder für einen verantwortungslosen Umgang mit Mitteln stehe.
In beiden Ländern beginne die Nachfrage bereits vor der Zulassung und es gebe einen sehr zeitigen Zugang, sagte Wild. Auch wenn sich Medizin seit jeher die Aura von Innovation gebe, sei nicht alles innovativ, was auf den Markt komme. Vielmehr gebe es zunächst sehr viel Nichtwissen zum Zeitpunkt der Zulassung.
Man müsse sich zudem klar machen, dass die großen Ressourcen, die man in hochpreisige Onkologika stecke, an anderer Stelle, bei anderen Patienten fehlen können. Wild fordert zudem, dass transparenter werden müsse, welchen Anteil öffentliche Fördergelder an der Entwicklung neuer Onkologika haben.
Zur Lage in Österreich berichtete Wild, dass es bisher je nach Bundesland sehr individuelle Vorgehen bei der Krebstherapie gebe – nur teilweise evidenzbasiert - und sich daher ein Patiententourismus entwickelt habe. Nun sei man einem Wendepunkt angelangt: Seit September gebe es eine nationale Arzneimittelkommission, die zu einer neuen Kultur führen könne.
Angesichts hoher Arzneimittelkosten sähen sich auch andere Länder zum Handeln veranlasst, schilderte die Juristin und Medizinerin Kerstin Noëlle Vokinger (Universität Zürich und Harvard Medical School). In der Schweiz gebe es einen Runden Tisch zum Thema Kostendämpfung. Ziel sind Maßnahmen, um ab 2026 pro Jahr rund 300 Millionen Franken einzusparen.
Und in den USA, wo seit Jahrzehnten große Intransparenz bei Arzneimittelpreisen herrsche, gibt es aus Vokingers Sicht immerhin einen Schritt in die richtige Richtung: Preisverhandlungen für zehn wichtige Medikamente, was zunächst aber nur über das Medicare-Programm versicherte Patientinnen und Patienten betreffe.
Angesichts der Wiederwahl des Republikaners Donald Trump zum US-Präsidenten sei aber offen, ob es diesbezüglich nicht doch wieder zu einem Rückschritt komme, sagte die Wissenschaftlerin.
Kritik an Geheimrabatten
Mit Blick auf das hierzulande im Sommer verabschiedete Medizinforschungsgesetz und die Debatte um die Einführung vertraulicher Erstattungspreise sagte Vokinger, Deutschland habe sich angesichts des massiven Drucks aus der Industrie aus ihrer Sicht noch sehr gut geschlagen. An der ursprünglichen Fassung hatte es noch Nachbesserungen gegeben, außerdem ist das Verfahren zunächst bis Sommer 2028 befristet.
Vokiner sprach sich dafür aus, Geheimrabatte, die es in der Schweiz schon länger gebe, hierzulande nicht weiter zu verankern. Sie seien ein „großes Problem“ und man drohe dadurch, die Kontrolle über die Kosten zu verlieren. Deutschland als wichtiges Referenzland für die Preisfestsetzung trage auch Verantwortung für zahlreiche weitere Länder.
Durch Geheimrabatte werde auch das Recht auf Transparenz verletzt, sagte Vokinger. Ein weiteres Problem entstehe auch für Ärztinnen und Ärzte und deren Verpflichtung, das Prinzip der Wirtschaftlichkeit einzuhalten: Ohne Kenntnis der Preise könne die Wahl zwischen zu verschreibenden Medikamenten aber gar nicht oder schwierig zu treffen sein.
Als einen möglichen Lösungsansatz für die Problematik hoher Kosten und oft ungewissen Nutzens stellte Vokinger die Idee eines Preisabschlags bei einer Evidenzlücke vor. Dabei könnte der Preis im Fall eines Nutzennachweises nachträglich nach oben korrigiert werden, auch als Anreiz für die Durchführung entsprechender Studien. Ein weiterer denkbarer Ansatz sei eine stärkere Verknüpfung von Nutzen und Preis, was aber eine schwierige ethische Diskussion sei, etwa wenn es um Fragen wie den Wert eines Lebensjahres gehe, sagte die Wissenschaftlerin.
Arzneimittel für Osteuropa
Der scheidende ÄkdÄ-Vorsitzende Ludwig berichtete zudem über die „Novel Medicines Platform“, eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die unter anderem zum Ziel hat, für die Versorgung wichtige Arzneimittel auch in den osteuropäischen Ländern zugänglich zu machen. „Heute sind viele neue Arzneimittel, vor allem auch zur Behandlung von Krebserkrankungen, in osteuropäischen Ländern nicht verfügbar, während sie in reichen Ländern wie Deutschland längst auf dem Markt sind. Das ist auch aus ethischer Sicht sehr ungerecht“, betonte Ludwig.
„Die WHO möchte diese offensichtliche Ungerechtigkeit beseitigen und mit ihren Maßnahmen erreichen, dass alle Patienten Zugang in Europa zu neuen Arzneimitteln mit gesichertem Nutzen und zu fairen Preisen erhalten.“ Derzeit würden im Rahmen dieser Initiative konkrete Maßnahmen formuliert, um diese Ziele zu erreichen.
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