Warnungen vor Regressrisiko und Bürokratiezuwachs durch Medizinforschungsgesetz

Berlin – Der Bundestag hat das Medizinforschungsgesetzes (MFG) abgesegnet. Auch heute gab es daran heftige Kritik. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnte vor einem „enorm steigenden Regressrisiko“ für Ärzte. Auch die Krankenkassen zeigten sich unzufrieden mit einigen zentralen Inhalten des Gesetzes.
Dabei stößt sich die KBV vor allem an den umstrittenen Vorhaben, für neu eingeführte Arzneimittel vertrauliche Erstattungspreise zu ermöglichen. Bereits im Vorfeld war von vielen Seiten – unter anderem den Krankenkassen sowie dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) – kritisiert worden, dass Ärzte dann nicht mehr dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgen könnten.
Schließlich würden vertrauliche Erstattungspreise nicht mehr in den Praxisverwaltungssystemen ausgewiesen, sodass Niedergelassene nicht mehr ohne Weiteres beurteilen könnten, ob ein betreffendes Arzneimittel teurer oder günstiger als die Alternative ohne vertraulichen Erstattungsbetrag sei.
Dem soll nun begegnet werden, indem den Anbietern von Primärsystemen die Vorgabe gemacht wird, Informationen und Hinweise aufzunehmen, die den Verordnenden ermöglichen, die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels mit vertraulichem Erstattungspreis einzuschätzen, ohne die konkrete Summe zu kennen. Wie genau das geschehen soll, wird im Gesetzestext jedoch nicht ausgeführt.
„Ein solches Vorhaben ist realitätsfern, belastet einseitig die Praxen mit einem höheren Regressrisiko und zusätzlichem bürokratischen Aufwand“, kritisieren nun die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner. „Die Verantwortung für die Vereinbarung von nutzenorientierten und damit wirtschaftlichen Erstattungspreisen liegt ausschließlich bei den pharmazeutischen Unternehmen und den Krankenkassen, nicht bei den verordnenden Ärztinnen und Ärzten.“
Zudem sei der zu erwartende Zeitverzug „völlig unzweckmäßig“. Denn die Rahmenvorgaben Arzneimittel seien jeweils jährlich bis zum 30. September eines Kalenderjahres zu vereinbaren. Die entsprechenden Wirtschaftlichkeitshinweise müssten danach durch die Softwareanbieter in die Verordnungssoftware übernommen werden, was wiederum mit einer Umsetzungsdauer von drei bis sechs Monaten verbunden sei.
„Es entsteht also eine erhebliche zeitliche Lücke, bis die entsprechenden Informationen beim einzelnen Arzt angekommen sind. Damit steigt das Regressrisiko enorm“, warnte der KBV-Vorstand. „Es ist inakzeptabel, dass der Zielkonflikt zwischen Stärkung des Pharmastandorts Deutschland einerseits und Stabilisierung der Arzneimittelausgaben andererseits auf dem Rücken der Vertragsärzte ausgetragen wird. Es darf nicht sein, dass die ohnehin schlechten Rahmenbedingungen noch einmal verschärft werden.“
Auch auf Ärzte in Krankenhäusern könnten zusätzliche Belastungen zukommen, kritisiert wiederum der Marburger Bund. Denn eine Änderung im Krankenhausentgeltgesetzes durch das MFG sieht vor, dass Daten zum ärztlichen Personal zukünftig von den Krankenhäusern auch gegliedert nach den Leistungsgruppen zu übermitteln sind.
Die Folge seien umfangreiche Datenlieferungsverpflichtungen für die Krankenhäuser, die eine minutengenaue Dokumentation der ärztlichen Tätigkeiten erforderlich machten. „Das ist absurd, demotivierend und raubt den Ärztinnen und Ärzten noch mehr Zeit für ihre Patienten“, kritisiert die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna.
Eine Verpflichtung der Krankenhäuser, die ärztlichen Tätigkeiten prozentual auf die Leistungsgruppen zu verteilen, sei mit modernen Formen der Teamarbeit verschiedener Berufsgruppen und medizinischen Fachdisziplinen nicht zu vereinbaren. „Der administrative Aufwand einer detaillierten zeitlichen Zuordnung ärztlicher Arbeit zu Leistungsgruppen ist völlig unverhältnismäßig und steht in klarem Widerspruch zum Versprechen der Regierungskoalition und des Bundesgesundheitsministers, die bürokratische Belastung der Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus abzubauen“, erklärt Johna.
Es sei objektiv schlicht unmöglich, das ärztliche Personal Leistungsgruppen zuzuordnen, die dem einzelnen Krankenhaus noch gar nicht bekannt sein könnten, weil sie erst noch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Krankenhausreform zu beschließen seien, kritisiert sie. „Solche Vorgaben haben keinen Mehrwert für die Qualität der Patientenversorgung – sie schaden ihr, weil sie unnötig viel Zeit in Anspruch nehmen, die dann in der Versorgung der Patienten fehlt.“
Die Krankenkassen kritisierten vor allem die durch das Gesetz mutmaßlich steigenden Arzneimittelausgaben. „Wir haben nichts gegen eine staatliche Wirtschaftsförderung. Aber wir lehnen es ab, dass sich die Bundesregierung diese Förderung aus den Beitragsmitteln der GKV finanzieren lässt“, erklärte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis. „Steigende Beiträge für die Supermarktkassiererin und den Lkw-Fahrer, um letztlich höhere Gewinne der Pharmaindustrie zu finanzieren, halten wir für keine gute Gesundheitspolitik.“
Eine der sogenannten AMNOG-Leitplanken, die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) eingeführt wurde und Grenzen für die Erstattungspreise bei fehlendem oder geringem Zusatznutzen vorsieht, soll bei Arzneimitteln ausgesetzt werden, an deren klinischer Prüfung mindestens fünf Prozent Probanden aus Deutschland teilgenommen haben.
Dies und die vertraulichen Erstattungspreise verteuerten die Versorgung, ohne sie zu verbessern, kritisierte Stoff-Ahnis. Zudem drohe mit dem Rückerstattungsmechanismus bei den Erstattungspreisen ein erheblicher zusätzlicher Bürokratieaufbau.
Auch der AOK-Bundesverband warnte vor steigenden Kosten für die Beitragszahler. Die Ausnahmen von der AMNOG-Leitplanke würden Arzneimittel unverhältnismäßig verteuern und diese Verteuerung könne durch die vertraulichen Erstattungspreise auch noch verschleiert werden, kritisierte die Vorstandsvorsitzende Carola Reimann.
„Das macht angesichts der Milliarden an Beitragsgeldern, die hier zugunsten einer Branche mit überdurchschnittlichen Renditen unter dem Label der Standortförderung ausgegeben werden, einigermaßen fassungslos“, erklärt sie. „Statt die Bezahlbarkeit der Versorgung für die Versicherten im Blick zu behalten, wurden Firmeninteressen und Standortfragen höher gewertet. Und angesichts fehlender Finanzierungsmöglichkeiten lagert die Politik die Wirtschaftsförderung an die GKV aus.“
Zufriedener zeigt sich hingegen Franz Knieps, der Vorsitzende des BKK-Dachverbands. „Die Nachbesserungen am Medizinforschungsgesetz sind ein wichtiger Teilerfolg, der zeigt, dass es keine breite Akzeptanz für vertrauliche Erstattungsbeträgen gibt“, erklärte er. Das sei dem Engagement und der Hartnäckigkeit einiger weniger Bundestagsabgeordneter zu verdanken.
„Dass die Arzneimittelhersteller noch immer die Geheimhaltungskarte ziehen können, ist vor allem eine Frage der Gesichtswahrung für die Bundesregierung“, erklärte Knieps weiter. Die Hürden für die Vertraulichkeit seien nun so hoch, dass sie in der Praxis wohl keine große Rolle spielen werde. Es würde ihn nicht wundern, wenn die Regelung nach Ablauf der Geltungsdauer „sang- und klanglos wieder verschwindet“.
Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) wiederum zeigt sich größtenteils zufrieden mit dem Gesetz. Es sei das bislang wichtigste Ergebnis der Pharmastrategie der Bundesregierung, erklärte vfa-Präsident Han Steutel: „Die Regierung zeigt, dass sie auf die forschende Pharmaindustrie als Schlüsselbranche setzt. Denn mit dem Gesetz werden die Rahmenbedingungen für die Arzneimittelentwicklung in Deutschland deutlich verbessert.“
Dass das Gesetz für die Ausnahme von der AMNOG-Leitplanke einen mindestens fünfprozentigen deutschen Anteil an internationalen Studienprogrammen vorsieht, sei zwar nachvollziehbar. Allerdings sei es für die Unternehmen eine zu ambitionierte Zielvorgabe, die sie nicht rückwirkend erfüllen könnten. Das erfordere einen mehrjährigen Vorlauf.
„Damit das nicht zwischenzeitlich weitere Medikamente vom Markt fernhält, sollten die jüngsten Eingriffe in die Preisfindung von Arzneimitteln – die sogenannten Rabattregelungen der Leitplanken – für mindestens drei Jahre ganz ausgesetzt werden“, forderte Steutel.
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