„Wir haben festgestellt, dass wirkliche Entbürokratisierung bei der FDP niemanden interessiert hat“
Berlin – Der neue Bundestag konstituiert sich am 25. März. An diesem neuen Parlament werden 333 Abgeordnete der vorherigen Legislatur nicht mehr teilnehmen, darunter auch einige Gesundheitspolitikerinnen und -politiker.
Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit vier scheidenden Abgeordneten über ihre jeweilige gesundheitspolitische Bilanz der vergangenen Jahre, was sie für ihre Arbeit im Bundestag schon gerne früher gewusst hätten und was nun nach der Zeit in Berlin für sie persönlich folgt.
Die Soziologin Maria Klein-Schmeink (Grüne) saß seit 2009 im Bundestag und ist bei der vergangenen Wahl nicht mehr angetreten. Sie hatte sich in all den Jahren vor allem für die Belange von Patientinnen und Patienten eingesetzt und erklärte, dass sie froh war über eine zuletzt erfolgte Änderung der Ampelregierung im Bereich der Hilfsmittelversorgung.
Für sie gab es politische Höhepunkte immer dann, wenn es mit neuen Regierungen und neuen Koalitionsverträgen los ging. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung von 2021 findet Klein-Schmeink immer noch gut, einige Punkte habe man aber durch das vorzeitige Ende der Ampelregierung nicht mehr umsetzen können. Frustriert zeigte sie sich vor allem über den ehemaligen Koalitionspartner FDP, der Klein-Schmeink zufolge wichtige Vorhaben blockiert hatte.

5 Fragen an Maria Klein-Schmeink (Grüne)
Wie ist es für Sie, nach vielen Jahren den Bundestag zu verlassen?
Ich wäre gerne gegangen mit noch ein paar mehr vorangebrachten Themen, als es durch das vorzeitige Ampelende am Ende gelungen ist. Aber ich bin gerade auch wegen der Krankenhausreform froh, dass wir diese wichtige Strukturreform auf den Weg gebracht haben.
Ganz zum Schluss haben wir mit dem leider nur verkürzten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz zudem eine kleine, aber wichtige Regelung einführen können, für die ich zehn Jahre gekämpft habe und worüber ich richtig glücklich bin. Es handelt sich dabei um die erleichterte Verordnung bei der Hilfsmittelversorgung von Kindern mit schwerer Behinderung. Von diesem Problem habe ich vor zehn Jahren in meinem Wahlkreis in Münster bei einer Veranstaltung einer Organisation gehört, die Eltern von schwerstbehinderten Kindern unterstützt. Dort wurde mir von sehr langen und aufwendigen Verfahren zur Hilfsmittelversorgung berichtet. Jetzt konnten wir umsetzen, dass eine ärztliche Verordnung für ein Hilfsmittel durch ein sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) nicht mehr durch die Krankenkasse oder den Medizinischen Dienst geprüft wird. Das erspart den Familien viel Aufwand.
Damit ist die Geschichte meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete sozusagen rund geworden, weil ich mit einem starken Fokus auf die Patientenorientierung in den Bundestag gestartet bin.
Was war für Sie der jeweils gesundheitspolitische Höhe- und Tiefpunkt in all der Zeit? Was hätte man eher angehen müssen?
Höhepunkte waren für mich die Situationen, in denen man die jeweiligen Koalitionsverträge vorbereitet und verhandelt hat. Damals bei den Verhandlungen der Jamaikakoalition 2017 mit der Union und FDP hatten wir den Gesundheitsteil schon explizit ausverhandelt und dieser wurde dann in den Verhandlungen zwischen Union und SPD fast genauso übernommen.
Den zweiten Koalitionsvertrag mit SPD und FDP finde ich immer noch ausgesprochen gut, wobei bestimmte Dinge in der Ampel, wie etwa eine gerechtere Finanzierung leider von vornherein ausgeschlossen waren. Ansonsten finde ich, dass wir genau die Punkte adressiert haben, die anstanden und teilweise immer noch anstehen. Und der Mut war damals da, überfällige, lange verschleppte grundsätzliche Reformen anzugehen, allen voran in der Krankenhausversorgung. Dabei sind wir durch die Blockaden der FDP und das vorzeitige Ende nicht so weit gekommen wie wir wollten, bei der Notfallversorgung, der Pflege und auch in der ambulanten Versorgung.
Beinahe in allen großen Bereichen von Gesundheit und Pflege standen wir vor den Folgen eines langjährigen Reformstaus. Die Krankenhausreform hatte etwa mindestens zehn Jahre vorher schon der Sachverständigenrat Gesundheit gefordert. Auch die Reform der ambulanten Versorgung war ebenso in mehreren Sachverständigengutachten angemahnt worden.
Zudem war die Reform der Notfallversorgung überfällig. Diese lag ja schon einmal in der Zeit, als Jens Spahn (CDU) Bundesgesundheitsminister war, vor, wurde aber wieder einkassiert. Daneben ist auch eine Neuordnung der Berufsgruppen, vor allem eine größere Selbständigkeit der nicht-ärztlichen Berufe mehr als überfällig. Insofern kann man sagen, dass wir es mit einem unglaublichen Reformstau zu tun hatten.
Ich kann mich zudem gut daran erinnern, wie wir vor gut vier Jahren über die Finanzierung der Krankenkassen informiert worden sind. Das Bundesgesundheitsministerium hatte – ähnlich wie es jetzt die neue Koalition ebenfalls erwartet – eine große Finanzierungslücke für die Zukunft feststellen müssen. Darauf haben wir im Koalitionsvertrag mit vernünftigen Lösungsvorschlägen reagiert. Vereinbarungen, an die sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) aber auch Olaf Scholz (SPD) leider nicht gebunden fühlten. Das wäre eine sehr große Entlastung für das System gewesen und hätte uns die krassen Beitragssprünge zur Jahreswende erspart.
Welchen Rat geben Sie Ihren gesundheitspolitischen Nachfolgerinnen und Nachfolgern im Bundestag mit? Was hätten Sie zudem gerne von Beginn Ihrer Zeit im Bundestag gewusst?
Ich würde ihnen raten, sowohl bei der Finanzierung des Systems dranzubleiben sowie tragfähige Konzepte anstelle von radikalen Oppositionsvorschlägen vorzulegen. Wichtig ist die solidarische Finanzierung und die Patientenorientierung im Blick zu behalten. Dass die Linke etwa die Bürgerversicherung als Lösung für alles verkaufen will, ist nicht sehr differenziert und tragfähig. Stattdessen müssen jeweilige Möglichkeiten sehr genau ausbuchstabiert und aufgezeigt werden, auch um tragfähige Gegenmodelle zu haben. Dies fehlte meiner Ansicht nach auch im Wahlkampf.
Gefährlich wird es, wenn dem ganzen System der Gesundheitsversorgung eine Finanzkrise droht, da hatten wir einiges noch von Jens Spahn geerbt und mit der FDP war eine Auflösung der Probleme nicht möglich. Mich hat zudem richtig empört, dass die FDP sogar noch die Anhebung des Pflegebeitragssatzes nach dem Bruch der Ampelregierung sabotiert hatte. Damit hat sie sich einer Lösung verweigert, die in der Realität einfach nötig war und wozu der Gesetzgeber per Gesetz aufgefordert war, etwas zu tun. Stattdessen hat die FDP eine Radikalreform gefordert, aber keinen Vorschlag geliefert, wie dieser funktionsfähig sein kann.
Ich habe zudem die ersten vier Jahre im Bundestag gebraucht, um das Gesundheitssystem in seiner ganzen Komplexität zu verstehen. Erst dann ist man eigentlich in der Lage, auch Vorschläge zu machen, die diese Komplexität reduzieren können. Ich würde den neuen Abgeordneten deshalb raten, sich das Gesundheitssystem genau daraufhin anzuschauen. Schon wegen des Fachkräftemangels müssen wir da durchforsten.
Wir hatten viele Ideen zur Entbürokratisierung gesammelt und alle Verbände gebeten, uns Vorschläge zu liefern. Die sind wir dann durchgegangen und haben geprüft, welche man umsetzen kann. Dabei haben wir festgestellt, dass wirkliche Entbürokratisierung bei der FDP dann niemanden interessiert hat. Die FDP hatte das vielmehr als Leistungskürzungen verstanden. Das war für mich ebenfalls eine große Ernüchterung.
Wen wünschen Sie sich als nächsten Bundesgesundheitsminister/nächste Bundesgesundheitsministerin? Bzw. wer könnte es Ihrer Meinung nach realistisch werden?
Das kann ich schwer einschätzen, weil es in diesem Fall um die CDU und SPD geht. Ich glaube, dass die CDU sich schwer täte einen Karl Lauterbach als Bundesgesundheitsminister zu akzeptieren. Aber auch gut möglich, dass die CDU das Ressort Gesundheit wegen der absehbar großen Herausforderungen beispielsweise nicht haben will.
Bei der SPD würde ich deshalb entweder auf Bärbel Bas oder auf Lauterbach tippen, bei der Union könnte die CSU Klaus Holetschek ins Spiel bringen. Wie man aber mit dem größten Kritiker der Krankenhausreform weiterkommen will, weiß ich auch nicht. Holetschek müsste dann zeigen, wie es sonst gehen soll. Da müsste jemand vom Saulus zum Paulus werden.
Wünschen würde ich mir für das Amt Janosch Dahmen, aber er steht ja leider nicht zur Debatte.
Was planen Sie nach dem Ende der Zeit als Abgeordnete zu machen? Wollen Sie sich weiter gesundheitspolitisch engagieren und wenn ja, in welcher Form?
Ich werde mich gemeinsam mit meinem Mann nach dem Ende meiner Zeit im Bundestag erstmal vor allem um zwei pflegebedürftige Verwandte kümmern. Ehrenamtlich möchte ich im Bereich der Patientenorientierung weiter arbeiten. Ich engagiere mich schon längere Zeit in den Bereichen Sozialpsychiatrie und Hospizarbeit ehrenamtlich, das werde ich weiterverfolgen. Ich möchte mich zudem für verschiedene patientenorientierte Anliegen einsetzen und mich an einem Netzwerk beteiligen, in dem es um die Grundlagen von sozialer Selbstverwaltung im Gesundheitsbereich geht.
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