„Wir können nicht hochspezialisierte Zentren von einer Leistungserbringung abhalten“
Bad Oeynhausen – Seit Anfang Februar können Krankenhäuser mithilfe eines Softwareprogramms prüfen, in welche neuen Leistungsgruppen ihre bislang erbrachten stationären Falle einsortiert würden.
Bereits heute nutzen Kliniken die sogenannten Grouper, um stationäre Fälle nach dem diagnosebezogenen Fallpauschalensystem (DRG) abzurechnen. Für die Umsetzung der Krankenhausreform und die künftige Planung und Abrechnung nach den Leistungsgruppen braucht es hingegen eine überarbeitete Version, die seit kurzem zur Verfügung steht. In NRW besteht zudem die Sondersituation, dass Kliniken die Erkenntnisse des Groupers mit den bereits erteilten Leistungsgruppen im Rahmen des neuen NRW-Krankenhausplan vergleichen können.
Diese Analysen sind für die Kliniken wichtig, um zu erkennen, auf welche Leistungsgruppen sie sich bewerben sollten. In den ersten Bundesländern beginnt innerhalb der nächsten Tage bereits die Beantragungsphase für die Kliniken, in den meisten Ländern können die Kliniken entsprechende Wünsche ab dem Sommer abgeben.
Zur Erinnerung: Die Krankenhausreform sieht erstmalig die Einführung von zunächst 65 bundesweiten Leistungsgruppen vor. Darin sind konkrete Vorgaben zu Personalausstattung, aber auch zur technischen Infrastruktur enthalten. Nur wer die entsprechenden Vorgaben erfüllt, darf zugehörige Leistungen ab 2027 auch anbieten. Welche Kliniken welche Leistungsgruppen künftig erbringen sollen, sollen die Bundesländer für ihre neue Krankenhausplanung entscheiden. Diese Regelungen sieht das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) vor.
Welche Erkenntnisse eine Fachklinik aus diesen ersten Analysen gewonnen hat, erläutert Karin Overlack, Geschäftsführerin des Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.

5 Fragen an Karin Overlack, Geschäftsführerin beim Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen
Was ist Ihnen bei der Analyse der an Ihrem Standort erbrachten Fälle mit dem neuen Leistungsgruppen-Grouper aufgefallen?
Im Gegensatz zum NRW-Leistungsgruppengrouper werden im bundesweiten Grouper auch die internistischen speziellen Leistungsgruppen mit Fallzahlen beplant. Das ist für uns insbesondere für die Endokrinologie und Diabetologie wichtig. Ich hatte darüber hinaus erwartet, dass die neuen fünf Leistungsgruppen, die zusätzlich zu den NRW-Leistungsgruppen hinzukommen, ebenfalls mit Fällen beplant werden.
Das ist aber beispielsweise bei der Intensivmedizin nicht der Fall. Dies erscheint meines Erachtens sinnvoll, denn es ist für uns schwierig, intensivmedizinische Fälle von der Herzchirurgie abzugrenzen. Denn jeder herzchirurgische Fall landet nach der Operation auf der Intensivstation. Ich kann mir deshalb vorstellen, dass das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) diese Gruppe leer lassen wollte, weil die Zuordnung keinen Sinn ergibt.
Welche Ergebnisse haben Sie überrascht?
Um im Sinne der Krankenhausreform eine Fachklinik zu bleiben, muss man 80 Prozent seiner Leistung in maximal vier Leistungsgruppen erbringen. Das können wir aber nicht. 20 Prozent unserer Leistungen werden dem neuen Leistungsgruppengrouper zufolge allein schon in die Leistungsgruppen Allgemeine Innere Medizin und in Allgemeine Chirurgie fallen. Darüber hinaus kommen noch weitere Leistungsgruppen hinzu und damit würden wir in dieser Logik den Status einer Fachklinik verlieren.
Weiter beunruhigt mich, dass von uns erbrachte Leistungen in Leistungsgruppen sortiert werden, die wir im Planungsverfahren in NRW weder beantragt noch zugeteilt bekommen haben. Ein Beispiel ist der perinatale Schwerpunkt, dort werden nunmehr Fälle von neugeborenen Kindern einsortiert, die wir derzeit in der Kinderkardiologie versorgen.
Das Gesamtvolumen der Fälle, die in Leistungsgruppen einsortiert werden, die ich im NRW-System weder beantragt noch bekommen habe, liegt bei knapp einer Million Euro. Für diese Fälle hätten wir aber in Zukunft sowohl ein Leistungserbringungs- als auch ein Abrechnungsverbot, können uns aus der Versorgung dieser Fälle aber nicht zurückziehen, nicht zuletzt, weil wir vorab gar nicht ganz genau wissen, in welche Leistungsgruppe ein solcher Fall nach Abschluss unserer Behandlung fallen wird.
Wir können aber nicht hochspezialisierte Zentren von einer Leistungserbringungs- und damit Abrechnungsmöglichkeit durch die Leistungsgruppensystematik abhalten, insbesondere nicht, wenn es klare Leistungen des Kerngeschäfts betrifft. Das ist auch vom Gesetzgeber nicht so gewollt, läuft jetzt in der Praxis aber darauf hinaus.“
Gab es weitere Erkenntnisse, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Wir führen vorbereitende Operationen auf große Aortenbogenoperationen durch. Das sind fast die größten Operationen, die wir in der Leistungsgruppe Herzchirurgie machen. Die Vorbereitungsoperationen werden aber in eine andere, von uns nicht erwartete Leistungsgruppe einsortiert, konkret in den Bereich der Eingriffe an der Halsschlagader.
Für das Gros der sogenannten Carotis-Eingriffe fühlen wir uns nicht zuständig, da wir weder über die Leistungsgruppe Neurologie noch Neurochirurgie verfügen, die medizinisch sinnvoll sind, um Komplikationen der „eigentlichen“ Leistungsgruppe der Carotis-Eingriffe zu versorgen. Nun stehen wir vor dem Dilemma, das einige wenige Fälle herzchirurgischer Vorbereitungs-Operationen quasi aus unserer Sicht in die „falsche“ Leistungsgruppe fallen, da der neue Grouper diese Leistungsgruppe ansteuert.
Das zeigt eine Benachteiligung von Kliniken, die nicht alle Leistungsgruppen oder zumindest einen großen Anteil von Leistungsgruppen beantragen wollen. Eine Herzchirurgie an einer Uniklinik würde genau diese Fälle identisch wie wir komplett in der Herzchirurgie behandeln, hätte aber trotzdem vermutlich die benötigte Leistungsgruppe und damit die Möglichkeit, diese Leistung weiter zu erbringen und abzurechnen. Dieses Thema müssen wir dringend angehen.
Wie bewerten Sie den Mechanismus der geplanten Zuordnung der Fälle in die Leistungsgruppen?
Ich bin davon ausgegangen, dass jeder Fall ganz eindeutig einer Leistungsgruppe zugeordnet wird. Das ist aber nicht so. Wenn man sich das Definitionshandbuch des neuen Groupers anschaut, dann laufen die Fälle durch verschiedene Filtermechanismen.
Zuerst wird geprüft, welche Diagnosen oder OPS-Codes dahinterliegen. Wenn die Fälle nach dieser Logik nicht herausgefiltert werden, wird danach sortiert, in welcher Fachabteilung der Fall am längsten behandelt worden ist. Das ist für mich überraschend. Denn damit landen Fälle der gleichen DRG zum Teil in ganz unterschiedlichen Leistungsgruppen.
Den Kliniken wird damit die Möglichkeit eingeräumt, sozusagen „smart“ zu ordnen und Fälle in gewünschte Leistungsgruppen zu steuern. Das wird glaube ich vor allem relevant für die Leistungsgruppe der Diabetologie. Es könnte einerseits passieren, dass nach den sehr harten Strukturkriterien der Leistungsgruppenzuteilung kaum Krankenhäuser übrigbleiben, die die komplexe Diabetologie und Endokrinologie formal ausweisen können.
Die Logik der Leistungsgruppen-Ansteuerung über die Fachabteilung mit der längsten Verweildauer ermöglicht es aber offenbar, Schlupflöcher zu finden. So bieten sich vermutlich Möglichkeiten unveränderter Leistungserbringung durch Diabetesspezialkliniken, aber zugleich kann eine weitere Konzentration von Diabetologien umgangen werden. Dies widerspricht dem eigentlichen Ziel des KHVVG. Gleichzeitig hat das InEK dadurch in der Diabetologie sehr smart einen ungewollten Komplettkahlschlag verhindert.
Wie beurteilen Sie die geplante Verknüpfung der Leistungsgruppen mit der Vergütungsreform und den neuen Vorhaltepauschalen?
Die Kopplung der Vergütung an die Leistungsgruppen ist meiner Ansicht nach schwierig. Man wird sehen müssen, was die nächste Bundesregierung damit machen wird. Die Regierung wird prüfen müssen, ob in bestimmten Gebieten ein entsprechender Kahlschlag gewollt ist oder ob im Sinne der Patientinnen und Patienten extra Lösungen gerade für Fachkliniken gefunden werden müssen – auch wenn diese Lösungen für mehr Bürokratie sorgen können.
Denn wenn ich bereits einige Probleme bei der Zuteilung der Leistungsgruppen finde, dann haben andere Kliniken auch mit Herausforderungen zu kämpfen. Wir sollten uns deshalb die Zeit nehmen, über diese Systematik nochmal in Ruhe nachdenken zu können, um am Ende nicht mit zu vielen Kollateralschäden konfrontiert zu sein.
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