Zuviel Besserwisserei bei Pandemiediskussion

Brüssel – Für mehr Besonnenheit bei der Diskussion um die COVID-19-Pandemie und die Impfstoffe hat sich heute der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Peter Liese, ausgesprochen. Vor der Presse beklagte er derzeit viele „schrille Töne, einseitige Verurteilungen und Besserwisserei“.
„Ich habe große Hochachtung vor den Entscheidungsträgern, insbesondere in der Bundesregierung“, sagte er. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kanzleramtsminister Helge Braun und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn machten einen guten Job. Trotzdem gebe es viel Kritik, aber wenige konkrete Vorschläge.
„Es gibt kein Land auf der Welt, das es geschafft hat, Risikopersonen zu schützen, wenn in der Gesamtbevölkerung so ein großes Infektionsgeschehen ist wie derzeit in Deutschland“, betonte der Arzt. „Deswegen heißt Schutz der Risikopersonen zunächst einmal, das Infektionsgeschehen nach unten zu bringen.“
Generell gelte es jetzt nach vorne zu schauen, insbesondere auf die Impfungen gegen COVID-19. Aber auch hier mahnte Liese zu mehr Sachlichkeit und Geduld: „Ich gehe nach wie vor davon aus, dass der Impfstoff noch dieses Jahr zugelassen wird und in Deutschland ab Januar verimpft werden kann“, erklärte er.
Es sei jedoch vernünftig, in der EU nicht wie in Großbritannien eine Notfallzulassung mit weniger hohen Anforderungen durchzuführen, sondern ein ordentliches Verfahren bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) abzuwarten, so der Arzt. Die schnellere Zulassung in den USA und Großbritannien sei politisch gewollt und habe nichts mit der Qualität der jeweiligen Behörde zu tun, so der CDU-Europaabgeordnete.
Der Umfang und die Tiefe der Daten beim Verfahren der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) seien größer als beim Notfallverfahren, so der Arzt. Auf die EMA sollte nach seiner Ansicht kein Druck ausgeübt werden. „Die europäische Zulassung ist meiner Ansicht nach aus drei Gründen besser und bietet mehr Sicherheit“, erläuterte er.
Haftung der Unternehmen vorgesehen
Erstens habe die Firma Biontech ihm versichert, dass die Art und Weise der Daten, die sie der EMA habe vorlegen müssen, umfassender sei. Zweitens sehe die europäische Zulassung eine Haftung der Unternehmen vor. „Das ist bei einer Notfallzulassung nicht der Fall. Obwohl ich großes Vertrauen in Biontech habe, ist es doch menschlich, dass man noch genauer hinschaut, wenn man selber haftet und nicht der Staat“, so Liese.
Auch wenn die britische Behörde eine hohe Qualität habe, sei es drittens gut, wenn viele Länder gemeinsam auf die Daten schauen würden. „Dann finden sie möglicherweise Hinweise, die eine Behörde alleine nicht findet.“ Es sei gerechtfertigt, sich zwei oder drei Wochen länger Zeit zu lassen, um ein höheres Maß an Sicherheit zu bekommen, erklärte der Europaabgeordnete.
Die sorgfältigere Prüfung des Biontech-Impfstoffes durch die EMA werde nicht dazu führen, dass bis zum Frühjahr in Deutschland weniger Menschen geimpft würden als in Großbritannien, betonte Liese. Sobald der Impfstoff die bedingte Zulassung erhalte, beginne die Auslieferung für Deutschland und die anderen EU-Staaten. „Wir gehen davon aus, dass Millionen von Bürgern in der EU im ersten Quartal 2021 geimpft werden, wenn wir dieses Jahr die behördliche Zulassung erhalten“, so Liese.
Die Europäische Kommission arbeite diesbezüglich unter Hochdruck: „Normalerweise hat sie 67 Tage Zeit, eine Zulassungsempfehlung der EMA zu bewerten und die formale Zulassung zu erteilen. Die Kommission hat mir aber versichert, dass dies in diesem Falle in wenigen Stunden passieren wird. Allein das zeigt, dass alle auf Hochtouren arbeiten“, so Liese.
Bezüglich der Pandemiebekämpfung lohne sich aber auch ein Blick in das Land, dass in der EU zurzeit die niedrigsten Infektionszahlen habe, nämlich auf Irland, so der Arzt. Irland hatte im Oktober deutlich höhere Zahlen pro Kopf der Bevölkerung als Deutschland (7-Tage-Inzidenz für Irland am 22. Oktober: 165). In der Zeit sei Irland jedoch konstant unter 50 pro 100.000 Einwohner gewesen, so Liese, und zwar ohne dass die Schulen geschlossen waren oder eine komplette Ausgangssperre verhängt wurde.
Zielführend war aus Sicht des Arztes ein grundsätzliches Verbot von privaten Besuchen, eine Beschränkung der Belegung im Öffentlichen Nahverkehr auf 25 Prozent, eine grundsätzliche Verpflichtung zum Homeoffice für alle, die das in irgendeiner Weise realisieren können sowie eine Maskenpflicht für Schüler ab 13 Jahren in den Schulen und eine absolute Vorschrift, mindestens einen Meter Abstand zu halten.
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