Ärzte sollen bei Prävention von Demenz stärker mitwirken

Berlin – Um das Risiko für eine Demenzerkrankung zu senken, sollte mit der Prävention schon in den mittleren Lebensjahren begonnen werden. Dafür sollen auch Ärzte sorgen und ihre Patienten verstärkt informieren und beraten, empfahlen Fachleute in Berlin im Vorfeld der Demenzwoche.
„Es ist wichtig, ein Bewusstsein für die Notwendigkeit und Wirksamkeit von Demenzprävention in der Bevölkerung zu schaffen“, sagte Swen Staarck, Vorsitzender der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. „Man sollte nicht erst mit der Diagnose oder im Alter beginnen, sondern schon in den jungen oder zumindest in den mittleren Jahren“.
Die Lancet-Kommission zu Intervention und Prävention von Demenz habe vergangenes Jahr 14 beeinflussbare Risikofaktoren für Demenzerkrankungen benannt. Bluthochdruck, Übergewicht, Alkoholkonsum, Diabetes, Depressionen, Bewegungsmangel, Schädel-Hirn-Verletzungen und Rauchen erhöhten das Risiko demnach um ein bis drei Prozent, so Staarck.
Bei hohen Cholesterinwerten und Hörverlust beziehungsweise unbehandelten Hörproblemen, die das Gehirn belasteten, sei das Risiko für eine Demenzerkrankung immerhin um sieben Prozent höher. „Das ist schon eine relativ hohe Zahl. Wenn man diese beiden Dinge schon im mittleren Lebensalter in den Griff bekommt, sinkt die Risikowahrscheinlichkeit schon um 14 Prozent“, erklärte Staarck. Eine wichtige Rolle spielten auch soziale Kontakte.
Wenn die von der Lancet-Kommission bestimmten Risikofaktoren alle vermieden würden, könnte die Zahl der Demenzen um bis zu 45 Prozent reduziert werden. „45 Prozent zu erreichen ist schwierig bis unmöglich. Aber auch 20 Prozent machen bei rund 400 000 Neuerkrankungen im Jahr schon eine signifikante Zahl aus“, betonte der Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft.
„Wir wünschen uns mehr Information zu dem Thema und auch mehr Sensibilität von den Ärzten“, so Staarck. Es sei wichtig, dass sie das Thema immer wieder ins Gespräch brächten und darüber aufklärten, was die Patienten persönlich tun könnten, um ihr Risiko zu senken.
„Leider wird dieses Potential von Ärztinnen und Ärzten häufig unterschätzt. In unseren Gesprächen am Alzheimer-Telefon erleben wird, dass Beratung zu diesem Thema kaum erfolgt. Hier sind dringend ein größeres Bewusstsein und auch eine breitere Information der Bevölkerung erforderlich“, mahnte Staarck.
Auch die nicht medikamentösen Therapien, die in der aktualisierten S3-Leitlinie Demenzen empfohlen werden, würden von der Ärzteschaft noch zu wenig verordnet, erklärte Michael Rapp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie.
Kognitive Stimulation, körperliche Aktivität, Ergo- und Musiktherapie seien Maßnahmen, „die durch die Hausärzte und die Fachärzte noch viel zu wenig umgesetzt werden“. Hier bestehe noch ein großes Versorgungsdefizit.
„Wir würden uns einen Versorgungsgrad von 50 bis 70 Prozent wünschen“, so Rapp. „Dafür braucht es aus unserer Sicht neben den Schulungen für die Kolleginnen und Kollegen auch Kampagnen für die Angehörigen“. Nicht medikamentöse Therapien müssten publiker werden, damit sie auch von Angehörigen eingefordert und schließlich umgesetzt werden könnten.
„Sie sind alle geeignet, um das Fortschreiten einer Demenz im beginnenden Stadium zu verringern und sie sind leitliniengerecht anwendbar“, unterstrich er. Weiterhin besteht Rapp zufolge das Problem, dass die Demenzdiagnostik oft unvollständig ist. Es gebe einen hohen Anteil reversibler Demenzursachen wie zum Beispiel Schilddrüsenerkrankungen oder Veränderungen im Vitaminstoffwechsel.
„Die Demenzursache kann dann behandelt werden und verschwindet wieder“, so der Gerontopsychiater. Das betreffe immerhin sieben bis 15 Prozent aller Demenzkranken und mache Fallzahlen von 20.000 bis 30.000 Patienten pro Jahr aus. „Diese Erkrankungsfälle könnten wir bei einer flächendeckenden Diagnostik jedes Jahr vermeiden“, sagte er.
Angesichts der gerade alternden geburtenstarken Jahrgänge komme auch der frühen Diagnostik, bei der eine spezifische Demenzursache identifiziert wird, eine zentrale Bedeutung zu, erklärte Rapp.
Weiteres Thema war der Einsatz moderner Immuntherapien wie Lecanemab, die angesichts der Nebenwirkungen allerdings nur körperlich gesunden und jüngeren Patienten zugutekommen würden, so Rapp. „Das Gros der Betroffenen wird aber 75 Jahre und älter sein“, sagte er. „Für diese Gruppe werden neben den schon länger zugelassenen Medikamenten in erster Linie nicht medikamentöse Verfahren die Pflegelast verringern helfen“.
Wichtig ist es dem Alterspsychiater zufolge, dass jeder Patient spätestens in der fünften Lebensdekade eine gezielte hausärztliche Versorgung habe und Werte regelmäßig untersucht würden. Dies setze auf einer persönlichen Ebene an, für die erst einmal jeder selbst verantwortlich sei.
„Dass individuelle Faktoren das Risiko für Demenz stark erhöhen, muss den Menschen bewusst sein“, sagte er. Deshalb sei es auch nicht nur Aufgabe der Ärztinnen und Ärzte, ihre Patienten darauf hinzuweisen. Denn auch wenn sie dafür zuständig seien, entsprechende Diagnostiken zu initiieren, blieben viele Überweisungen, etwa zum Neurologen oder für die Ergotherapie, auch mal in der Schublade der Patienten liegen, manchmal werde eine Behandlung auch abgelehnt.
Es sei daher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auf die Risiken von Demenz aufmerksam zu machen und die Bevölkerung in dieser Hinsicht zu sensibilisieren, sagte Rapp.
In Deutschland leben derzeit mehr als 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Ungefähr zwei Drittel davon, etwa 1,2 Millionen, haben Alzheimer. Im Jahr 2023 erkrankten etwa 445 000 Menschen im Alter von über 65 Jahren neu an einer Demenz. Wegen der älter werdenden Bevölkerung wächst die Zahl der Betroffenen - das Alter ist der größte Risikofaktor für Demenz.
Der Weltalzheimertag soll alljährlich am 21. September mit zahlreichen Aktionen auf die Situation von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen aufmerksam machen. In diesem Jahr stand er unter dem Motto „Demenz - Mensch sein und bleiben“.
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