Bewegungsmangel und Einsamkeit mögliche Themen für Gesundheitsziele

Berlin – Nach der Erarbeitung von zehn nationalen Gesundheitszielen seit dem Jahr 2000 befindet sich der dahinterstehende Kooperationsverbund in einem Transformationsprozess. Über das künftige Vorgehen von gesundheitsziele.de tauschten sich Fachleute bei einer Konferenz bei der Bundesärztekammer (BÄK) aus.
Aktuell stehen demnach Bewegungsförderung und Reduzierung von Einsamkeit als neue Themen auf der Agenda. Ob sie aber in Gesundheitszielen münden werden oder in anderweitigen Maßnahmen, ist derzeit offen.
Den bisherigen Prozess immer weiterzuführen, bringe nichts, erläuterte Thomas Altgeld von der Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen Bremen. Man sei dabei, die bestehenden Strukturen zu überprüfen und zu schauen, wo es eine Neuaufstellung brauche.
Hinter gesundheitsziele.de steht ein Netzwerk mit mehr als 140 Organisationen des deutschen Gesundheitswesens. Das Projekt war zunächst als Modellprojekt des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) entstanden. Inzwischen wird es von Organisationen des Gesundheitswesens und der Sozialversicherung getragen.
„Wir brauchen erst einmal eine Selbstverständigung mit den Akteuren in diesem Feld: Wo soll es hingehen?“, sagte Altgeld. Neu sei beispielsweise der Blick auf Themen, die über die bisherigen Gesundheitsziele hinausgehen. Mehr Veranstaltungen und eine breitere ministerielle Basis würden angestrebt, außerdem wolle man den Health-In-All-Policies-Ansatz weiter denken.
Zwei neue Themen in Bearbeitung
Eine Arbeitsgruppe zum Thema Bewegungsförderung sei zum Ergebnis gekommen, dass es „überdeutlich“ eine Notwendigkeit für ein nationales Gesundheitsziel gebe, sagte Stefan Lachenmayr, Referent beim Deutschen Olympischen Sportbund.
Konkrete Defizite seien identifiziert, an denen man anknüpfen könnte. „Die Vorarbeiten sind getan“, sagte Lachenmayr. „Jetzt braucht es politischen Willen und die Finanzierung, um in die Umsetzung zu kommen.“
Bei der Einsamkeit, zu dem die Bundesregierung bereits eine Strategie beschlossen hat, könnte es möglicherweise auf Maßnahmen jenseits von Gesundheitszielen hinauslaufen. Eine Adhoc-Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit dem Thema.
Ziel sei zunächst „ein kleines knackiges Papier“ mit Befunden, das in ein neues Gesundheitszieleformat eingespeist werden solle, berichtete Johannes Klein-Heßling von der Bundespsychotherapeutenkammer. Hintergrund ist, dass die Gruppe hinsichtlich der Reduzierung von Einsamkeit große Schnittmengen mit bestehenden Gesundheitszielen (Aufwachsen, Depressionen und Altern) gefunden habe.
Den Nutzen für andere Politikbereiche herausstellen
In der Diskussion über Perspektiven für Gesundheitsziele sagte Silke Heinemann aus dem BMG, sie fände (nach dem Beispiel Österreichs) gesundheitliche Chancengleichheit wichtig, „wenn wir sagen, wir müssen an die großen Themen ran und breite Bevölkerungsgruppen erreichen“.
Generell gelte für die Gesundheitsförderung: Wenn man Gesundheit für alle Politikbereiche übersetzen wolle, müsse man verstehen, was der Mehrwert für die anderen Politikbereiche sei. Diese müssten lernen, was sie davon hätten. „Das ist unsere Übersetzungsleistung“, betonte Heinemann.
Für einen Ausbau der Kommunikation plädierte Ulrike Elsner vom Verband der Ersatzkassen. Viele gute Informationen gelangten bisher nicht in die Fläche. Peter Langenberg von der BÄK warf auch die Frage auf, ob es noch die Zukunft sei, Gesundheitsziele als dicke Bücher zu schreiben. Womöglich müsse man kommunikativ noch andere Wege finden.
Langenberg appellierte, dass ein neues Präventionsgesetz noch viel stärker dem Health-In-All-Policies-Gedanken verpflichtet sein müsse. Auch Maßnahmen mit gesamtgesellschaftlichem Benefit müssten deutlich gemacht werden, damit klar werde, dass sich entsprechende Investitionen lohnen.
Erfolge etwa beim Eindämmen des Rauchens
Mehrere der Teilnehmenden würdigten die bisher erarbeiteten Gesundheitsziele. Einer der größten Erfolge sei die Verschränkung von Verhaltens- und Verhältnisprävention bei Tabak gewesen, sagte Altgeld mit Blick auf höhere Besteuerung, Werbebeschränkungen und Maßnahmen auf individueller Ebene zum Einschränken des Konsums. „Es ist ein Novum gewesen, es auf diese Weise zu machen.“
Früher sei etwa auch die Patientenbeteiligung, beispielsweise an einem Tisch mit Leistungserbringern und Kostenträgern, nicht die Regel gewesen, sagte Altgeld über die Verdienste. „Wir haben es geschafft, frühzeitig Themen zu setzen.“
Dass es bei der Umsetzung der Ziele bei allen Mitwirkenden keine Verbindlichkeit in der Umsetzung gebe, sei einer der Misserfolge, sagte Altgeld. Zudem sei es bei der Bekämpfung des Alkoholkonsums 2015 nicht gelungen, den Erfolg vom Thema Tabak zu wiederholen.
Aktionsplan zu Gesundheit und Geburt
Die Arbeitsgruppe zum schon verabschiedeten Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ läuft weiter. Es ist das erste, das durch einen im Sommer verabschiedeten Aktionsplan des BMG unterlegt wurde. Diesen wertete Birgit Cobbers aus dem BMG als einen „schrittchenweisen Fortschritt“.
Sie berichtete unter anderem, dass das Ziel auch in Paragraf 20 des Sozialgesetzbuchs 5 (SGB) aufgenommen werden sollte, dies aber durch den Bruch der Ampelkoalition in dieser Legislaturperiode wohl zu vertagen sei. Auch die vorgesehene ärztliche Ausbildung sei „leider ein Punkt, der jetzt dem Koalitionsbruch zum Opfer fällt".
„Wir freuen uns aber sehr, dass wir das IQWiG bereits beauftragt haben, jetzt neue Entscheidungshilfen im Kontext Geburt zu erarbeiten", sagte Cobbers. Ende 2026 sollen diese demnach fertig werden. Aktuell laufe außerdem die Erarbeitung von Qualitätskriterien für Hebammenkreißsäle durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (bis Juni 2025).
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: