Vermischtes

Dokuserie „Charité intensiv“ gibt Einblick auf Coronastation

  • Donnerstag, 8. April 2021
Ärzte und Pflegekräfte arbeiten auf der Coronaintensivstation der Charité am Bett einer jungen Patientin. /picture alliance, DOCDAYS Productions/rbb, Carl Gierstorfer
Ärzte und Pflegekräfte arbeiten auf der Coronaintensivstation der Charité am Bett einer jungen Patientin. /picture alliance, DOCDAYS Productions/rbb, Carl Gierstorfer

Berlin – Auf Station 43 der Charité – Universitätsmedizin Berlin werden Patienten mit COVID-19 behan­delt, die besonders schwer erkrankt sind. Alltag und Herausforderungen für Ärzte und Pflege­per­­sonal auf der Intensivstation zeigt nun eine neue Dokumentationsreihe des rbb. Regisseur Carl Giers­torfer hat die Arbeit von Weihnachten 2020 bis Mitte März dieses Jahres begleitet.

Als Level-1-Klinik steuert die Charité berlinweit die Belegung der Intensivbetten und versorgt die schwersten Fälle. Seit Beginn der Pandemie wurden mehr als 2.800 Patienten mit COVID-19 stationär an der Charité behandelt – davon mehr als 1.380 teilweise oder ausschließlich im Intensivbereich. Von den intensivmedizinisch betreuten Patienten sind rund 35 Prozent während ihres stationären Auf­enthaltes verstorben.

„Die Dokumentation zeigt den lebensbedrohlichen Kern der Pandemie, mit dem wir seit mittlerweile mehr als einem Jahr täglich konfrontiert sind“, sagte Kai-Uwe Eckardt, Direktor der Klinik für Nephrolo­gie und Internistische Intensivmedizin sowie Koordinator der COVID-19-Intensivversorgung.

Viele Pa­tien­ten könnten trotz aller Möglichkeiten der modernen Intensivmedizin nicht gerettet werden. Der Film beschönige dies nicht. „Wir befürchten, dass die dritte Welle noch schlimmer wird, als wir es im Januar erlebt haben. Damals waren wir bereits in der Nähe unserer Kapazitätsgrenze“, so Eckardt.

Die Warnung kommt nicht ohne Grund. Die Charité kündigte heute an, künftig wieder den übrigen Klinik­betrieb stark einzuschränken. Ab kommender Woche würden Mitarbeiter wieder vermehrt in COVID-19-Bereichen eingesetzt, planbare Eingriffe würden zurückgefahren, teilte der für die Krankenversorgung zuständige Vorstand Martin Kreis mit. „Wir rechnen mit einer erneut starken Arbeitsbelastung unserer Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte.“ Notfälle und zeitkritische Eingriffe sollen von der Regelung vorerst ausgenommen bleiben.

Kreis betonte, die Dokumentation sollte allen eine Warnung sein, die Gefährlichkeit der Pandemie nicht zu unterschätzen. „Die aktuelle Infektionsdynamik muss dringend gebremst werden, um eine Überforde­rung zu verhindern“, mahnte er.

In der Dokuserie zeigt Gierstorfer das Schicksal der Betroffenen auf unaufgeregte Weise. Lange Kamera­einstellungen, ruhige Berichte von Medizinern und Pflegekräften, wenig Musik. Auch gibt es keinen Off-Kommentar. Die Szenen von Station 43 sprechen für sich.

Andere Kliniken rufen in der Charité an, wenn sie mit der Behandlung ihrer Patienten nicht weiterkom­men. Jedoch bringt COVID-19 auch das Charite-Team an seine Grenzen. In der ersten Welle vor einem Jahr sei man innerhalb kurzer Zeit mit mehr Todesfällen konfrontiert gewesen als sonst in einem ganzen Jahr, sagte Intensivmedizinerin Sarah Kamel. „Die Schublade ist irgendwann voll. Irgendwann ist es zu viel, was man gesehen hat.“

Einen Bruchteil davon sieht nun auch das Fernsehpublikum. Wie die Klinikmitarbeiter ihre Schutzklei­dung anlegen, wie sie kranke Menschen in die Bauchlage drehen, weil so die Lunge „besser belüftet“ wird, wie Patienten nach überstandener Krankheit mit Physio- und Atemtherapeuten arbeiten. Es fehlten die Bilder, um das Ausmaß der Coronakatastrophe zu begreifen, hieß es zuletzt oft.

Die Toten würden auf Zahlen reduziert, im Gegensatz zu Kriegen oder Naturkatastrophen gebe es wenig Einblick in das Leid. Hier bekommt der Zuschauer eine Ahnung davon, wie schwer diese Erkrankung ist: Auch jüngere Patienten kann sie so heftig erwischen, dass es nach mehreren Wochen an Beatmungsge­rä­ten eine Kraftanstrengung bedeutet, den eigenen Vornamen zu flüstern oder für eine halbe Minute zu stehen.

Manchmal ist nur das Rascheln der Kleidung zu hören, kurze Absprachen der behandelnden Fachkräfte, das Surren der Geräte. Immer wieder Pieptöne, die alarmierend wirken. Weil man sie als medizinischer Laie nicht deuten kann? „Das Piepen stresst“, sagte Nele Schönfelder. Sie hat vor kurzem die Ausbildung zur Intensivpflegerin abgeschlossen. Auf diese Situation sei sie nicht vorbereitet worden, sagte sie.

An Weihnachten, erzählt Schönfelder auch, seien ihr diese Erfahrungen erst richtig bewusst geworden. Der Pfarrer habe über Coronatote und ihre Angehörigen gesprochen. Solche Momente zum Innehalten brauche sie, denn im Alltag sei es zu belastend, zu realisieren, dass wieder jemand gestorben ist, denn man vorher gepflegt hatte.

Der Raum für Trauer fehlt, bestätigt Psychologin Laurence Erdur. Wenn vom wellenförmigen Verlauf der Pandemie die Rede ist, habe dieses Bild für die Intensivstationen einen anderen Anstrich: Mit der Welle, die über die Teams hereinbricht, werden Tod und Sterben allgegenwärtig. „Man schwimmt nur noch mit“, erklärte Erdur. Auch draußen geht Corona weiter, eine Trennung zwischen Arbeit und Zuhause sei für medizinisches Personal also kaum noch möglich.

Betroffene, die COVID-19 überstanden haben, beschreiben, wie sich die Beatmung anfühlt. Sie schildern Gefühle von Panik, Kontrollverlust, Albträume, in denen sie angekettet sind und sich nicht rühren könn­en. Ersticken fühle sich an wie ertrinken, heißt es. Auch müsse es beängstigend sein, in einem unbe­kann­ten Krankenhausbett aufzuwachen, sagte Psychologin Erdur, umgeben von Fremden, die man in ihrer Schutzkleidung kaum erkennen kann.

Dennoch jammert in dieser beeindruckenden Serie niemand. Pflegekräfte und Ärzte nicht, auch Patien­ten und Angehörige von Verstorbenen nicht. Offenbar hat jeder seine Strategie, um mit der Belastung umzugehen. Kollegen weinten häufiger, weil ihnen das Schicksal von Patienten nahegehe, erklärte der Me­diziner Alexander Schröder. Würde er selbst diese Erfahrungen vertiefen, dann würde er wahrschein­lich kaputtgehen.

kna/dpa/may

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