Vermischtes

„Für die Patientinnen und Patienten ist die Intensivmedizin sicherer geworden“

  • Freitag, 9. August 2024

Berlin – Mit dem Innovationsfondsprojekt „Enhanced Recovery after Intensive Care“ (ERIC) wurden die Quali­tätsindikatoren der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) in die Patientenversorgung getragen.

Über eine E-Health-Plattform wurden dabei auch die nachsorgenden Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte in die Behandlung mit einbezogen. Im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt () erklärt die Leiterin des Projekts, Claudia Spies von der Charité, was aus den Projektergebnissen geworden ist und wie der Innovationsfonds dabei hilft, Wissenschaft und Versorgung zu verbinden.

Claudia Spies, Ärztliche Centrumsleitung CC 7, Direktorin Klinik für Anästhesiologie m.S. operative Intensivmedizin an der Charité Berlin. /Charité – Universitätsmedizin Berlin
Claudia Spies, Ärztliche Centrumsleitung CC 7, Direktorin Klinik für Anästhesiologie m.S. operative Intensivmedizin an der Charité Berlin. /Charité – Universitätsmedizin Berlin

5 Fragen an Claudia Spies, Direktorin der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Charité

Frau Professor Spies, worin ging es in dem Projekt ERIC?
Evidenzbasierte Medizin in Form von zum Beispiel Leitlinien verfüg­bar zu machen, ist eine Sache. Diese Erkenntnisse aber in der Praxis zu implementieren, ist ein anderes und weitaus herausfordernderes Unterfangen. In dem Projekt ERIC haben wir eine E-Health-Plattform geschaffen, über die Krankenhäuser unterschiedlicher Größe zu­sammengeschlossen wurden.

Täglich erhielten die in das Projekt eingeschlossenen Intensivpatien­tinnen und -patienten eine telemedizinische Visite durch erfahrene Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte, in der die Einhaltung der acht Qualitätsindikatoren der DIVI erfasst wurde.

Drei und sechs Monate nach ihrer Entlassung erhielten die Patienten in Kooperation mit ihren Hausärztinnen und Hausärzten eine Nach­sorge bei Organschäden und möglichen Langzeitbeeinträchtigungen im Hinblick auf ihre mentale Gesundheit, ihre Kognition, ihre Mobili­tät und Kraft sowie ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität.

Welche Ergebnisse haben Sie in dem Projekt erzielt?
Im Ergebnis zeigte sich, dass die Televisite die Adhärenz von sieben der acht Qualitätsindikatoren signifikant steigerte, unter anderem bei den Indikatoren „Management von Sedierung, Analgesie und Delir“ und „Früh­zeitige Entwöhnung von einer invasiven Beatmung“.

Mit ERIC haben wir mit einem telemedizinischen Netzwerk einen Katalysator für evidenzbasierte Medizin geschaffen. Es ist uns gelungen, die multiprofessionellen intensivmedizinischen Qualitätsindikatoren der DIVI in der Routineversorgung zu implementieren und gleichzeitig eine starke Netzwerkstruktur in einer Versor­gungsregion aufzubauen, die nachhaltig ist und die auch in Krisensituationen Stabilität geben kann.

Das konnten wir während der COVID-19-Pandemie zeigen: ERIC hat sich über das Projekt „SAVE-Berlin@Co­vid-19“ schnell entwickelt. Wir haben ein Instrument geliefert, das nützlich ist, im Falle von COVID-19 Leben rettete, relevante Ressourcenallokationen ermöglichte und das in der Versorgungslandschaft einen echten Mehrwert bietet.

In welcher Weise sind die Erkenntnisse aus dem Projekt Teil der Patientenversorgung in Deutschland geworden?
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Erkenntnisse aus ERIC genutzt, um seine Zentrumsregelung zu erweitern. Krankenhäuser, die als intensivmedizinische Kompetenz- und Koordinierungszentren neben der Patientenversorgung besondere Aufgaben wahrnehmen, können dafür jetzt finanzielle Zuschläge erhalten.

Zu diesen Aufgaben zählen vor allem Fallkonferenzen mit anderen Krankenhäusern per Videoübertragung und die Erfüllung einer Mentorenfunktion für diese Häuser inklusive fallunabhängiger Qualitätszirkel sowie Fort- und Weiterbildungsangeboten. Das ist eine sehr positive Entwicklung, über die unser ganzes Team sehr dankbar ist.

Für Patientinnen und Patienten ist Intensivmedizin dadurch sicherer geworden. In einem Netzwerk behandelt zu werden, bietet zum einen den Vorteil, dass man auf Ressourcen und das Wissen von mehr Expertinnen und Experten zurückgreifen kann. Zum anderen ist es so, dass sich alle teilnehmenden Stationen auch hinsichtlich der Umsetzung von evidenzbasierten Standards weiterentwickeln – da schließe ich unsere eigenen Teams ein.

Translational und transformational können so erfolgversprechende Innovationen zur Verbesserung der Patien­tenversorgung schneller in die Routine implementiert werden. Das hat neben dem individualmedizinischen Nutzen auch einen Gruppennutzen für alle Patientinnen und Patienten, die dort behandelt werden. Für Kolle­ginnen und Kollegen bietet das Vorhandensein ebenso Vorteile: zum Beispiel ein niederschwelliges Zweitmei­nungsverfahren, Fallkonferenzen und strukturierte Visiten.

Dass ERIC den Weg in eine Routinefinanzierung gefunden hat, liegt neben den positiven Ergebnissen, die wir gefunden haben, auch am politischen und gestalterischen Willen von den Entscheidungsträgern beim G-BA und der Unterstützung, die wir von allen Seiten erfahren haben. Über die Intensivzentrumsregelung sind die Erkenntnisse in jedem Fall in der Patientenversorgung in Deutschland angekommen beziehungsweise: Es ist ein Weg geschaffen worden, mit dem man die Ergebnisse in die Fläche tragen kann. Ob das geschieht, werden die nächsten Jahre zeigen.

Wie sollte es aus Ihrer Sicht bei der Umsetzung von ERIC in die Versorgung weitergehen?
Während der Pandemie haben wir gesehen, dass die Akzeptanz von Versorgungsformen immer dann beson­ders hoch ist, wenn es einen gesetzlichen Rahmen gibt und eine Zusammenarbeit mit Anreizen versehen ist.

Vernetzung, wie in ERIC und anderen Projekten vorgeschlagen und umgesetzt, hat zweifelsohne einen positi­ven Effekt auf die Versorgung, der in einem intersektoralen, multiprofessionellen und interdisziplinären An­satz nachgewiesen werden kann.

Es wäre meines Erachtens nun wichtig, dass sich dies auch in der Leistungsvergütung widerspiegelt, indem finanzielle Anreize für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit positivem Outcome für Patientinnen und Patienten gesetzt werden.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Einfluss, den der Innovationsfonds auf die Verbesserung der Versorgungs­qualität in Deutschland hat?
Der Innovationsfonds bietet Versorgungsforscherinnen und -forschern eine Plattform. Der Fonds ist das erste Instrument, das Versorgungsgestaltung und Wissenschaft direkt verknüpft. Damit wird der Geschwindigkeit des Zuwachses an Wissen Rechnung getragen, das sich zurzeit alle drei Monate verdoppelt, sowie der Im­ple­mentierung dieses Wissens in die Routine. Daher ist sehr zu begrüßen, dass der Innovationsfonds verstetigt wurde.

Letztlich ist klar, dass es neben den wissenschaftlichen Erkenntnissen immer einen politischen Willen braucht, um neue Versorgungsformen zu implementieren. Im Idealfall – wie bei ERIC – können erfolgreiche Projekte aus den Innovationsfonds und politische Aktivitäten dabei Hand in Hand gehen. Damit wird man vermutlich an vielen Stellen den besten Effekt für Patientinnen und Patienten im Sinne einer qualitativ höchstwertigen Versorgung erreichen können.

fos

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