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Gutachten prognostiziert künftige Versorgungslücken bei HIV

  • Donnerstag, 10. Juli 2025
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Berlin – Patienten mit HIV/Aids werden immer älter und brauchen mehr geriatrische und psychosoziale Versorgungsangebote. Gleichzeitig werden auch die Haus- und Fachärzte in der HIV-Spezialversorgung älter und scheiden aus, so dass einem Mangel entgegengewirkt werden muss. Das sind zwei Empfehlungen aus dem „Gutachten zur Zukunft der medizinischen HIV-Versorgung“ vom IGES-Institut, dessen Ergebnisse heute in Berlin vorgestellt wurden.

„Inzwischen ist aufgrund effektiver medizinischer Therapien die Hälfte der rund 88.500 HIV-Infizierten über 50 Jahre alt und auch die Patienten im Rentenalter haben deutlich zugenommen – im Jahr 2000 waren die meisten Betroffenen unter 40 Jahren“, sagte Björn Jensen von der Deutschen Aids-Gesellschaft (DAIG). Jährlich kämen rund 2.200 Neuinfektionen hinzu.

Rund 95 Prozent der HIV-Infizierten in Deutschland sind Jensen zufolge in Behandlung; der Anteil von HIV-Diagnosen in einem späten Krankheitsstadium bleibe aber „konstant hoch“. „Eine späte Diagnose ist immer mit einem schlechteren Outcome verbunden“, erklärte der Leiter der Spezielle Infektiologie am Universitätsklinikum Düsseldorf.

Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erkranken HIV-Infizierte heutzutage häufiger an chronischen Infektionen, Stoffwechselstörungen und Depressionen, heißt es in dem Gutachten, das IGES-Geschäftsführer Martin Albrecht vorstellte. Diese Unterschiede seien unabhängig von Alter und Geschlecht.

Das IGES-Institut wertete vertragsärztliche Abrechnungsdaten vom Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (Zi), strukturierte Qualitätsberichte der Krankenhäuser, DRG-Statistiken und Daten des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) aus.

Die Untersuchung wurde von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft ambulant tätiger Ärztinnen und Ärzte für Infektionskrankheiten und HIV-Medizin (dagnä), der Deutschen Aids-Stiftung (DAS) und der DAIG in Auftrag gegeben.

HIV-Patienten werden dem Gutachten zufolge überwiegend ambulant versorgt, und zwar zu 80 Prozent von hausärztlichen oder allgemeinmedizinischen Praxen.

„Wir sehen hier zunehmend eine Verschiebung der HIV-Schwerpunktversorgung hin zu größeren, kooperativen Strukturen wie Medizinischen Versorgungszentren und Gemeinschaftspraxen“, betonte Albrecht. Noch aber bilde die Einzelpraxis mit einem Anteil von 40 Prozent die häufigste Praxisform.

Während sich die Zahl der Patienten zwischen 2014 und 2023 laut IGES um circa 38 Prozent erhöhte, stieg die durchschnittliche Zahl der Ärzte pro HIV-Schwerpunktpraxis dagegen nur um 15 Prozent. In den vergangenen zehn Jahren blieb die Zahl der Schwerpunktpraxen mit 200 etwa gleich.

Das IGES-Institut stellte auch starke regionale Unterschiede bei der Versorgung fest: in den Stadtstaaten und Großstädten, besonders in Berlin und Hamburg, gibt es zwar die größten Versorgungskapazitäten, aber auch viele Behandlungsfälle und teils eine Mitversorgung für umliegende Regionen mit wenig Schwerpunktpraxen.

„In der ambulanten HIV-Schwerpunktversorgung drohen deshalb bereits in zehn Jahren Versorgungslücken: mindestens zwölf Prozent und bis zu 26 Prozent der ärztlichen HIV-Spezialisten werden bundesweit fehlen“, prognostizierte der IGES-Geschäftsführer; im Südwesten des Landes sogar bis zu 38 Prozent.

In den ostdeutschen Bundesländern reiße bereits der Wegfall einer Praxis eine erhebliche Lücke, weil dort nur sehr wenige Schwerpunktpraxen existierten.

Um gegenzusteuern, empfiehlt das IGES-Institut eine Förderung des (haus-)ärztlichen Nachwuchses, insbesondere im Bereich der Weiterbildung. Die Förderformen sollten systematisch das Ziel einer Teilnahme an der HIV-Schwerpunktversorgung einbeziehen.

Um eine Ausweitung regionaler Lücken zu verhindern, sollten darüber hinaus telemedizinische Verbundstrukturen mit Konsiliarmöglichkeiten gefördert werden, so dass flächendeckend eine Anbindung an HIV-Schwerpunktpraxen gewährleistet werden könne. Dies vor dem Hintergrund, dass sich die Versorgung zunehmend in größeren Praxen konzentriert.

HIV-Schwerpunktpraxen sollten sich darüber hinaus verstärkt mit geriatrischen Versorgungseinrichtungen vernetzen, etwa in Form von Konsilen oder Qualitätszirkeln. Zudem sollten psychosoziale Fachkräfte durch Kooperation stärker in die Arbeit der Schwerpunktpraxen und -ambulanzen integriert werden.

Das IGES-Institut empfiehlt weiter, die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) als „hochwirksame“ Präventionsmethode weiter zu unterstützen. Die Leistungsdaten der vergangenen Jahre zeigten zwar rückläufige aber weiterhin zweistellige Zuwachsraten.

Schließlich sollte angesichts der Vielzahl an infektiologischen und HIV-Ambulanzen an Krankenhäusern „Transparenz“ darüber hergestellt werden, welchen Anteil diese an der ambulanten Versorgung übernehmen und welche Funktion sie an der Schnittstelle ambulant und stationär übernehmen. Hierfür brauche es geeignete Daten, fordert das IGES-Institut.

PB

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