Kindercerealien enthalten zu viel Zucker

Berlin – 99 Prozent der speziell an Kinder gerichteten Cerealien wie Müslis und Cornflakes überschreiten beim Zuckergehalt die Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 15 Gramm Zucker pro 100 Gramm. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analye der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die der AOK-Bundesverband in Auftrag gegeben hat. Bei der Testung von Frühstückcerealien allgemein – also nicht nur jener für Kinder – ermittelten die Forscher in 73 Prozent zu hohe Zuckerwerte.
Die GfK wertete für die Studie das Kaufverhalten von 30.000 Haushalten in Deutschland aus und bestimmte den Zuckergehalt von über 1.400 Produkten. Angesichts der Ergebnisse gaben die Marktforscher der Studie den Titel „Süß, süßer, Frühstück“.
Die GfK und der AOK-Bundesverband haben die Studienergebnisse mit den Zuckeranteilen aller getesteten Produkte im Internet veröffentlicht. Den höchsten Zuckerwert fanden die Marktforscher in dem Produkt „Kellogs Smacks“ – es enthält offenbar 43 Gramm Zucker pro 100 Gramm des Produktes.
„Wir müssen den Zuckergehalt in Fertigprodukten, Softdrinks und Frühstückscerealien dringend reduzieren, um die jüngere Generation vor Adipositas und anderen ernährungsbedingten Krankheiten zu schützen“, sagte Sigrid Peter, Vizepräsidentin des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).
Politische Konsequenzen notwendig
Der AOK-Bundesverband fordert angesichts der Studienergebnisse schnelle politische Konsequenzen. „Der Zuckergehalt in Frühstückscerealien ist erschreckend hoch, speziell in Kinderprodukten. Vor diesem Hintergrund erscheinen die mit der Lebensmittelindustrie im Rahmen der Nationalen Reduktionsstrategie vereinbarten Ziele geradezu skandalös“, sagte Kai Kolpatzik, Abteilungsleiter Prävention im AOK-Bundesverband. Nötig seien „wirksamere und vor allem verpflichtende Reduktionsziele, die nicht erst in fünf Jahren umgesetzt sind“, so der Präventionsexperte.
Der BVKJ weist daraufhin, dass in Deutschland 15 von 100 Kindern übergewichtig und sechs von 100 adipös seien. „Eine energiedichte Ernährung und der regelmäßige Verzehr von energiedichten verarbeiteten Lebensmittelprodukten (hohe und häufige Zuckerzufuhr) erhöhen das Risiko für Übergewicht und Adipositas.
Damit steigt auch das Risiko für zahlreiche mit Übergewicht assoziierte Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2 und kardiovaskulären Erkrankungen sowie die Entstehung von Zahnkaries. Und sie verursachen geschätzt 145 Milliarden Euro Lebenszeit-Krankheitskosten für die jetzt in Deutschland lebenden übergewichtigen Kinder und Jugendlichen“, sagte Peter.
Kritik an Klöckner
Sie kritisierte, die Ziele des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für weniger Zucker in der Nahrung seien „wenig ambitioniert“. „Sowohl die geplante Zeitspanne bis 2025 für die Reformulierung als auch die angestrebten Zielgrößen sind nicht ausreichend, um wirksame Veränderungen zu erzielen.
Unzureichend ist vor allem die Freiwilligkeit der Maßnahmen“, sagte sie. „Für die Kinder von heute kommen die Maßnahmen viel zu spät. Die Zunahme von Übergewicht und Adipositas wird sich weiter beschleunigen, insbesondere in der Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die aufgrund ihres sozioökonomischen Status ohnehin geringere Gesundheitschancen haben“, so die Pädiaterin.
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) hat bislang auf eine freiwillige Selbstverpflichtung des Industrie gesetzt. Gestern gab sie mit Verweis auf eine Analyse des bundeseigenen Max-Rubner-Instituts (MRI) bekannt, dass diese wirke. Allerdings gebe es weiter Handlungsbedarf, vor allem bei Produkten speziell für Kinder.
Laut MRI-Untersuchung ging der Zuckergehalt bei speziell für Kinder beworbenen Joghurtzubereitungen seit 2016 um 7,4 Prozent zurück. Er ist aber weiter höher als in Produkten, die nicht für Kinder angepriesen werden. „Da muss die Wirtschaft nachsteuern“, sagte Klöckner. Bei Quarkzubereitungen „mit Kinderoptik“ gab es demnach ein Zuckerminus von knapp 18 Prozent.
Bei Erfrischungsgetränken ermittelte das Institut eine Zuckerreduktion von 35 Prozent bei Produkten ausdrücklich für Kinder im Vergleich zu 2018. Bei regulären Limos und Colas fiel das Minus mit 0,2 Gramm pro 100 Milliliter aber nur „sehr gering“ aus. Bei Tiefkühlpizzen, wo vor allem Salz im Blickpunkt steht, ist die Spannweite generell groß – in einer „Pizza Salami“ steckt deutlich mehr als in einer „Margherita“. Insgesamt sei aber „keine statistisch signifikante Verringerung des Salzgehaltes zwischen 2016 und 2019 festgestellt worden“.
Klöckners Zwischenbilanz stieß bei Verbraucherschützern auf Kritik. „Eine Zuckerreduktion von „sehr viel zu viel“ auf „viel zu viel“ ist kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung“, monierte die Verbraucherorganisation Foodwatch. Grünen-Fachpolitikerin Renate Künast sagte, freiwillige Selbstverpflichtungen der Konzerne seien nicht ausreichend im Kampf gegen viel zu süße, salzige und fettige Fertiglebensmittel.
Hintergrund ist eine vom Bundeskabinett Ende 2018 beschlossene „Reduktionsstrategie“. Sie sieht vor, dass Hersteller sich zu schrittweisen Zutaten-Änderungen bis 2025 verpflichten. Meist geht es um weniger Zucker. So soll in Frühstückscerealien für Kinder ein Minus von mindestens 20 Prozent erreicht werden, in gesüßten Kinder-Milchprodukten und in Erfrischungsgetränken von 15 Prozent. Dabei sollen Rezepturen nach und nach umgestellt werden, um beim gewohnten Geschmack für die Kunden abrupte Änderungen zu vermeiden.
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