Vermischtes

Krankenhäuser des Maßregelvollzugs überbelegt, Patienten unterversorgt

  • Freitag, 31. Januar 2025
Blick auf eines der Gebäude vom Krankenhaus-Maßregelvollzug für als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank eingestufte Straftäter auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. /picture alliance, Jörg Carstensen
Blick auf eines der Gebäude vom Krankenhaus-Maßregelvollzug für als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank eingestufte Straftäter auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. /picture alliance, Jörg Carstensen

Berlin – Zu viele Pateinten, zu wenig Ressourcen. So lässt sich kurz die Situation im Maßregelvollzug in Deutsch­land beschreiben. Besonders dramatisch ist die Situation in Berlin, wo die psychiatrischen Krankenhäuser des Maßregelvollzugs aktuell keine Patienten mehr aufnehmen können.

Um Perspektiven zu diskutieren, lud deshalb gestern die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Expertinnen und Experten zu einer Veranstaltung mit dem Titel „Problemfall Maßregelvollzug“ ein.

Einer Umfrage des DGPPN-Referats Forensische Psychiatrie von 2023 zufolge berichten 68 Prozent der psychia­trischen Krankenhäuser des Maßregelvollzugs in Deutschland von einer Überbelegung, ein Drittel von einer deutlichen Überbelegung.

Insgesamt gibt es 78 solcher Einrichtungen. Dort sind demnach rund 10.000 psychisch kranke und suchtkranke Straftäterinnen und Straftäter nach Paragraf 63 und Paragraf 64 Strafgesetzbuch (StGB) untergebracht, Tendenz steigend. An der Umfrage beteiligt haben sich 45 Einrichtungen. Das berichtete Jutta Muysers von dem DGPPN-Referat und Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik Langenfeld.

„Erforderliche Therapien können in fast 60 Prozent der Einrichtungen aus finanziellen oder personellen Gründen nicht angeboten werden. In vielen Kliniken werden zusätzliche Betten in die Zimmer gestellt, Therapie- und Versorgungsräume werden als Patientenzimmer genutzt“, berichtete Muysers.

In der Hälfte der Kliniken würden Patienten aus Personalmangel nachts eingeschlossen. Diese Situation der Überfüllung führe zu einer steigenden Anzahl an Übergriffen, von denen ein Drittel der befragten Kliniken berichtete.

Fast jeder fünfte psychisch kranke Straftäter verbringe länger als zehn Jahre in einer Einrichtung des Maßregel­vollzugs. Als Gründe dafür nannte Muysers bleibende Gefährlichkeit, Therapieresistenz aber auch fehlende An­schlusswohnformen. Ein Drittel der Patienten der befragten Kliniken habe einen Migrationshintergrund; acht Prozent hatten bei der Aufnahme kein Deutschkenntnisse, was die Therapie zusätzlich erschwere.

Es sei sehr schwer Mitarbeiter zu finden, insbesondere auch Ärzte. Der Um­frage zufolge versorgen im Durch­schnitt nur 4,5 Ärzte rund 100 Patienten. Kompensiert werden Muysers zufolge Ärztestellen vermehrt durch Psychologinnen und Psychologen: hier kommen 4,7 auf 100 Patienten.

„Wir von der DGPPN fordern deshalb ausreichende räumliche und personelle Ressourcen, was nur mit einer auskömmlichen Finanzierung möglich ist“, sagte Muysers. Die Rahmenbedingungen Kliniken der einzelnen Bundesländer müssten aneinander angeglichen werden, in Bezug auf die Größe der Stationen, die Ausstattung von Therapieräumen sowie die Personalausstattung. „Wir fordern eine Expertenkommission zur Zukunft des Maßregelvollzugs auf Bundesebene“, so die Psychiaterin.

Besonders dramatisch ist die Situation in Berlin, wo in den beiden Krankenhäusern des Maßregelvollzugs in Reinickendorf und Buch 622 Patienten (zehn Prozent) auf 549 Betten kommen, also mit 73 Personen überbelegt sind, so dass keine neuen Patienten mehr aufgenommen werden können.

„Die Kliniken stehen unter sehr großem Druck“, sagte die neue Leiterin des Berliner Maßregelvollzugs Julia Krebs, die seit Jahresanfang im Dienst ist, und die Zahlen präsentierte. Der vorherige Chefarzt, Sven Reiners, hatte im April 2024 „aus Gewissensgründen“ gekündigt.

Aufgrund der Überbelegung würden Betten und Matratzen in alle zur Verfügung stehenden Zimmer gebracht – Belegung gehe aktuell vor Sicherheit und Therapie, berichtete Krebs. Vier Stationen seien aktuell mit mehr als 40 Betten gefüllt; im Bundesdurchschnitt gelten 30 Betten pro Station als zu viel. Zudem seien in Berlin die Gebäu­de der Krankenhäuser sehr alt, so dass wegen Sanierungsbedarf immer wieder Räume nicht genutzt werden könnten.

„Wir haben in Berlin kein funktionierendes Krankenhaus des Maßregelvollzugs mehr – und das Problem ist seit Jahren bekannt. Wir brauchen hier dringend eine Lösung“, sagte der Präsident der Ärztekammer Berlin, Peter Bobbert.

Nur noch die Hälfte alle Ärztestellen sei besetzt, so dass die Kliniken eigentlich geschlossen werden müssten. Und das liege nicht daran, dass die forensische Psychiatrie für Ärzte so unattraktiv sei, das Fachgebiet sei hoch­interessant.

„Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen für das Personal, und wir brauchen einen Plan und einen verläss­lichen Zeitplan für den Bau neuer Kliniken. Es muss sofort gehandelt werden“, forderte Bobbert.

PB

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