Markteinführung von Lecanemab: Neue Alzheimertherapie erfordert umfangreiche Diagnostik und Betreuung

Berlin – Mit der Markteinführung von Lecanemab zur Behandlung der frühen Alzheimerdemenz steht ab Montag ein Medikament zur Verfügung, welches das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen kann. Allerdings erfordert die Indikationsstellung und die Betreuung der Patienten unter Lecanemab einen hohen Aufwand in neurologischen und anderen Praxen. Diesen zusätzlichen Aufwand hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) jetzt umrissen.
„Es müssen regulierende Einschränkungen auf die Leistungsmenge beseitigt und eine auskömmliche Vergütung der Praxen gewährleistet sein, damit dem Interesse der Patientinnen und Patienten, die viel Hoffnung in die Behandlung mit Lecanemab legen, im Versorgungsalltag auch entsprochen werden kann“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried.
Die Zi-Arbeitsgruppe beginnt die Berechnung auf Grundlage der Zahl neu diagnostizierter Patienten mit Demenz oder leichter kognitiver Beeinträchtigung. Dies waren im Jahr 2023 rund 460.000.
Im ersten Schritt der Modellierung schloss die Arbeitsgruppe Personen aus, die Antikoagulanzien einnehmen, da für diese Gruppe eine Behandlung mit Lecanemab kontraindiziert ist. Nach diesem Ausschluss verbleiben rund 303.600 potenziell geeignete Patientinnen und Patienten.
Sie benötigen zunächst standardisierte diagnostische Verfahren bei Demenzverdacht sowie den Nachweis einer Alzheimererkrankung mittels Lumbalpunktion. „Verglichen mit den bisherigen Fallzahlen in der Diagnostik führt diese Entwicklung zu einer voraussichtlich deutlichen Ausweitung der erbrachten kassenärztlichen Leistungen, insbesondere in den Fachrichtungen Neurologie und Psychiatrie“, hieß es aus dem Zi.
Von den 303.600 infrage kommenden Patienten entfallen rund zwei Drittel auf die Alzheimerdemenz, was rund 202.400 Personen entspricht. Für diese Patientengruppe ist zusätzlich ein Bluttest zur Bestimmung des ApoE4-Gens erforderlich.
Das Vorliegen der homozygoten ApoE4-Genvariante ist eine Kontraindikation für die Behandlung mit Lecanemab. Das Zi-Team kommt so letztlich auf eine Zahl von rund 73.000 potenziellen Patienten pro Jahr, für die eine Therapie mit Lecanemab infrage kommt.
Die regelmäßige Verabreichung von Lecanemab an diese Patienten sowie die nötigen Kontrollen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) zur Überwachung möglicher Nebenwirkungen führen dem Zi zufolge ebenfalls zu einem erheblichen Anstieg der benötigten Leistungen.
Gedächtnisambulanzen vorbereitet, aber Finanzierung nicht vollends geklärt
So fordert der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), Peter Berlit, eine ausreichende Vergütung auch für Kassenpatienten: „Damit Arztpraxen und Gedächtnisambulanzen, die Kassenpatienten behandeln, die Therapie auch angemessen vergütet bekommen, benötigt es eine Richtlinie für eine ambulante spezialärztliche Versorgung (ASV)." Entsprechende Anträge seien eingereicht.
Thomas Duning, Neurologie am Klinikum Bremen Ost, gab ebenfalls zu Bedenken, dass die Refinanzierung der aufwendigen Diagnostik neu strukturiert werden müsse. Aufgrund knapper Ressourcen im ambulanten Bereich geht Duning davon aus, dass es schwierig sein könnte für Patienten, denen das Präparat wahrscheinlich helfen würde, die Therapie tatsächlich zu erhalten. „Für niedergelassene Kollegen, die jetzt schon lange Wartezeiten haben, ist die aufwendige Diagnostik vor der Therapie und die komplexe Infusionstherapie kaum durchführbar."
Frank Jessen, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Arbeitsgruppe Klinische Demenzforschung, Uniklinik Köln, und Kooperations-Einheit Köln, Deutsches Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), sieht die Krankenhausambulanzen dagegen gut aufgestellt, gibt jedoch einschränkend zu bedenken: „Für die Diagnostik und Behandlung müssen ausreichend Magnetresonanztomografie(MRT)- und Infusionsplätze sowie Personal zur Verfügung stehen und das ist in jedem Zentrum unterschiedlich.“
Der Psychiater vermutet, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) festlegen wird, dass nur mit der Alzheimerdemenz vertraute Ärztinnen und Ärzte die Therapie mit Lecanemab durchführen dürfen. Diese seien verpflichtet, die Patienten in einem Register der Herstellerfirma einzutragen.
Die Gedächtnisambulanz am Universitätsklinikum Bonn hat bereits Ende 2024, als eine Zulassung absehbar war, mit den Vorbereitungen begonnen: „In unserer Gedächtnisambulanz wurden alle Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer Eignung nach den genannten und weiteren Kriterien geprüft und über ihr Interesse an der Behandlung befragt", berichtete Klaus Fliesbach vom DZNE Bonn und dem Universitätsklinikum Bonn.
Allerdings betonte auch Fliesbach den Aufwand der Behandlung, bei der Patienten alle 14 Tage während der mehrstündigen Infusion überwacht werden müssen: „Aufgrund dieses hohen Aufwands wird es nicht möglich sein, unbegrenzt viele Patienten gleichzeitig zu behandeln.“ Wie diese Infusionen abgerechnet werden, sei ebenfalls noch nicht vollständig geklärt.
Neben den aufwändigen Diagnoseverfahren, MRT-Kontrollen und dem Personalaufwand, hat auch das Medikament selbst seinen Preis. Laut Deutscher Alzheimer Gesellschaft belaufen sich die jährlichen Behandlungskosten in den USA aktuell auf knapp 25.000 Euro. Wie hoch der Preis in Deutschland sein wird, ist noch nicht abschließend geregelt.
„Der Preis für das Medikament wurde von dem Hersteller festgelegt. Nun wird das AMNOG-Verfahren anlaufen, durch das kommendes Jahr der abschließende Preis feststehen wird", erläuterte Jessen.
Lecanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der seit April 2025 in der Europäischen Union zur Behandlung der frühen Alzheimerdemenz beziehungsweise einer leichten kognitiven Störung (MCI) zugelassen ist.
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