Natur-Apotheke Regenwald: Schimpansen nehmen Heilpflanzen zu sich

Oxford – Kranke oder verletzte Schimpansen fressen in freier Wildbahn womöglich gezielt antibakteriell wirkende und entzündungshemmende Pflanzen. So konnte ein internationales Forschungsteam durch Beobachtungen vor Ort und spätere Laboruntersuchungen zeigen, dass die Tiere Baum- und Kräuterteile konsumieren, die nachweislich pharmakologische Wirkung haben.
Freilebende Schimpansen (Pan troglodytes) ernähren sich von einer Vielzahl unterschiedlicher Pflanzen. Viele der verspeisten Gewächse dienen dabei der Energiezufuhr und haben einen hohen Nährwert. Bei einigen nährstoffarmen Pflanzen werde hingegen vermutet, dass sie gesundheitsfördernd wirken und den Tieren helfen, sich gegen Krankheitserreger zu wehren, schreibt eine Gruppe um Elodie Freymann von der Abteilung „Primatenmodelle für Verhaltensevolution“ der Universität Oxford (UK) im Fachblatt PLOS One (2024; DOI: 10.1371/journal.pone.0305219).
Die Forschenden beobachteten zwei Schimpansengruppen im Budongowald, einem Wildschutzgebiet im Nordwesten Ugandas. Dabei achteten sie auf ungewöhnliches Fressverhalten, das sie mit einer Art von Selbstbehandlung in Verbindung brachten. Von den entsprechenden Pflanzen nahm das Team Proben mit.
Die Forschenden sammelten so Teile von neun Bäumen und vier Kräuterpflanzen und untersuchten diese in Laboren der Hochschule Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern. Aus jeder Probe wurden Auszüge mit drei verschiedenen Lösungsmitteln erstellt und diese anschließend auf antibakterielle und antientzündliche Wirkung untersucht. „Die pharmakologischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass Budongo-Schimpansen mehrere Pflanzenarten mit starken medizinischen Eigenschaften konsumieren“, heißt es in der Studie.
Von 53 getesteten Auszügen zeigten 45 (88 Prozent) eine wachstumshemmende Wirkung von mehr als 40 Prozent bei einer Wirkstoffkonzentration von 256 µg/mL. Die meisten davon (41) waren auch in dosisabhängigen Experimenten wirksam.
Der Auszug mit dem Lösungsmittel n-Hexan von totem Holz eines Baumes aus der Familie der Hundsgiftgewächse (Alstonia boonei) zeigte die stärkste antibakterielle Wirkung gegen Staphylococcus aureus (mittlere inhibitorische Konzentration IC50: 16 μg/mL; minimale Hemm-Konzentration MIC: 32 μg/mL) und Enterococcus faecium (IC50: 16 μg/mL; MIC: >256 μg/mL).
Alstonia boonei wird in einigen ländlichen ostafrikanischen Dörfern auch als Heilpflanze zur Behandlung einer Vielzahl von krankhaften Zuständen verwendet, darunter bakterielle Infektionen, Magen-Darm-Probleme, Schlangenbisse und Asthma.
Der Methanol-Wasser-Auszug von Rinde und Harz des Baumes Khaya anthotheca war besonders wirksam gegen E. faecium (IC50: 16 μg/mL; MIC: 32 μg/mL) and pathogene Escherichia coli (IC50: 16 μg/mL; MIC: 256 μg/mL).
„Wir beobachteten die Aufnahme dieser beiden Pflanzenarten durch stark parasitierte Individuen“, schreiben die Forschenden. Die Rinde von K. anthotheca wurde von Schimpansen aufgesucht, die Zeichen von Infektionen und Verletzungen zeigten. Das Forschungsteam beobachtete zudem, wie ein männlicher Schimpanse mit einer verletzten Hand die Blätter des Farns Christella parasitica suchte und aß, was möglicherweise zur Linderung von Schmerzen und Schwellungen beitrug.
Die Forschenden konnten zeigen, dass jeder dritte Pflanzenextrakt entzündungshemmende Eigenschaften hatte. So zeigten 17 von 51 getesteten Extrakten in einem entsprechenden Assay eine mehr als 50 prozentige Cox-2-Inhibition bei einer Wirkstoffkonzentration von 5 μg/mL.
„Um die Selbstmedikation wild lebender Schimpansen zu untersuchen, muss man wie ein Detektiv vorgehen – man muss multidisziplinäre Beweise sammeln, um einen Fall zusammenzusetzen“, sagte Freymann in einer Mitteilung der Hochschule Neubrandenburg.
Die Gruppe schränkt allerdings ein: „Ob diese Mittel absichtlich als eine Form der therapeutischen Selbstmedikation oder passiv als medizinische Nahrungsmittel konsumiert werden, muss von Fall zu Fall beurteilt werden, auch mit Hilfe von Verhaltensbeobachtungen.“
Die Fachleute fordern, auf dem Gebiet der sogenannten Zoopharmakognosie mehr gemeinsame Studien von Primatologen, Ethnopharmakologen, Parasitologen, Ökologen und Botanikern durchzuführen. „Das würde auch unserer eigenen Spezies zugutekommen und möglicherweise zur Entdeckung neuer Humanarzneimittel zur Bekämpfung des drohenden Problems der zunehmenden Arzneimittelresistenz führen.“ Dafür müsste dem Erhalt der wilden Waldapotheken sowie dem Schutz unserer wilden Cousins dringend Priorität eingeräumt werden.
„Was wäre, wenn wir Menschen von den Schimpansen lernen könnten? Können eines Tages Menschenleben gerettet werden, indem wir dem Beispiel unserer engsten tierischen Verwandten folgen?“, sagte Forschungsgruppenleiter Fabien Schultz von der Hochschule Neubrandenburg laut Mitteilung.
Erst Anfang Mai hatten Forschende in Scientific Reports (2024; DOI: 10.1038/s41598-024-58988-7), von einem Orang-Utan auf Sumatra berichtet, der eine Wunde in seinem Gesicht aktiv mit einer Heilpflanze behandelt hatte. Das Männchen Rakus hatte einige Tage nach einer Verletzung, die es wohl im Kampf mit einem Artgenossen erlitten hatte, Blätter einer Liane abgerissen, darauf herumgekaut und den Saft mehrere Minuten lang wiederholt auf die Gesichtswunde aufgetragen.
Schließlich bedeckte der Affe die Wunde vollständig mit den zerkauten Blättern. Die zur Heilung verwendete Liane (Fibraurea tinctoria) ist für ihre schmerzstillende und fiebersenkende Wirkung bekannt und wird in der traditionellen Medizin zur Behandlung verschiedener Krankheiten wie etwa Malaria eingesetzt.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: