Pharmagroßhandel sieht Schieflage bei Arzneimittelerstattung

Berlin – Der Bundesverband des pharmazeutischen Großhandels (Phagro) beklagt Ungleichgewichte bei der Erstattung von Arzneimitteln. Auch der ausländische Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln belaste die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).
Die Unternehmen des pharmazeutischen Großhandels würden seit Jahren am Rande der Wirtschaftlichkeit arbeiten, erklärt der Verband in einem politischen Forderungspapier anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl.
In seinem sogenannten Skonto-Urteil vom Februar 2024 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) geurteilt, dass gesetzliche Preisuntergrenzen bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln durch den Großhandel nicht durch Skonti oder andere Rabatte unterschritten werden dürften.
Der Gesetzgeber müsse den Großhandelszuschlag von aktuell 73 deshalb unbedingt als Mindestpreis erhalten, fordert der Phagro. Darüber hinaus sei es erforderlich, die Struktur der gesetzlichen Großhandelsvergütung zu überprüfen. Diese sei auf Grundlage von Daten aus dem Jahr 2009 entwickelt worden und gelte seit 2012 unverändert fort.
Allerdings würde erhebliche Strukturveränderungen im Arzneimittelmarkt dazu führen, dass die Handelsspanne mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln stetig sinke, während die Kosten für Energie, Personal und Fremdkapital kontinuierlich stiegen.
So klagte Phagro-Vorstandschef Marcus Freitag gestern in Berlin über die kontinuierlich steigenden Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel. Als er vor 30 Jahren begann, im pharmazeutischen Großhandel zu arbeiten, habe deren Umsatzanteil bei rund drei Prozent gelegen.
Heute seien es um die 40 Prozent. „Es ist schon auffällig, wie sich dieser Bereich entwickelt“, unterstrich er. Konkrete Vorschläge könne er nicht machen, räumte Freitag ein. Was genau regulatorisch zu tun sei, um die Preise und den Anteil dieser Arzneimittel an den GKV-Ausgaben zu senken, müssten Fachleute mit medizinischem Sachverstand beurteilen.
In der Politik habe sich in den vergangenen Jahren eine „sehr hohe Sensibilität“ dafür entwickelt, dass die Preisbildung von Arzneimitteln reformiert werden müsse, damit das System bezahlbar bleibe, beteuerte die grüne Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta demgegenüber. Beitragssteigerungen seien die „alles überwölbende Debatte“ in der Gesundheitspolitik.
Im Arzneimittelbereich müsse man deshalb darüber nachdenken, wie das Preisbildungsverfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) weiterentwickelt werden kann. Dabei müsse künftig Evidenz eine größere Rolle spielen als bisher.
Auch CDU-Gesundheitspolitiker Georg Kippels räumte ein, dass „die Eindämmung des Preiszuwachses strukturell gescheitert“ sei. Er mahnte an, neuartige Preisbildungsmechanismen wie Pay for Performance, bei denen die Vergütung von definierten Erfolgszielen abhängig gemacht wird, künftig stärker zu berücksichtigen.
Demgegenüber stehe die unzureichende Vergütung bei generischen Arzneimitteln, kritisierte der Phagro-Chef Freitag. Bei diesen entstehe zu viel Aufwand für einen zu geringen Ertrag.
Kippels plädierte dafür, neu eingeführte Regelungen der vergangenen Jahre kritisch zu reflektieren. So habe er sich selbst ein Bild davon machen können, dass die Lagerhaltungspflichten für pharmazeutische Unternehmen, die mit dem Arzneimittellieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) eingeführt wurden, großen Kosten verursache, ohne einen spürbaren Nutzen für die Versorgung zu bringen.
Freitag beklagte zudem, dass der pharmazeutische Großhandel und auch die Apotheken gegenüber ausländischen Arzneimittelversendern wie Shop Apotheke oder DocMorris benachteiligt würden. So müsse der Großhandel strenge gesetzliche Lager- und Transportbedingungen (GDP) erfüllen, während die in den Niederlanden ansässigen Versandapotheken Arzneimittel per Post versenden.
Zudem belaste dies unnötig die GKV, da bei der Erstattung der versendeten Arzneimittel Beitragsgelder ins Ausland überwiesen würden und damit der hiesigen Besteuerung entzogen würden. Der Forderung nach einem Verbot des Versands verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Ausland erteilte Piechotta eine Absage. „Ich erkenne die Probleme im Bereich der Versandapotheken, bin aber gegen ein Verbot“, sagte sie.
Innerhalb Europas müsse man sich dem Wettbewerb stellen, die Gebote der Planungs- und Rechtssicherheit sprächen dagegen, Wettbewerbern per Gesetz die Geschäftsgrundlage zu entziehen. Auch Kippels reagierte verhalten auf die Forderung. Zwar teile er die Einschätzung des Phagro prinzipiell und spreche sich auch dafür aus, das Thema noch einmal auf die Tagesordnung zu nehmen.
Allerdings sei ein solches Verbot europarechtlich nur sehr schwer umzusetzen, „weil in Europa alles über das Wirtschaftsrecht läuft“, wie er sagte. Das in der Apothekenbranche berüchtigte Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Oktober 2016, das die deutsche Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel als nicht verbindlich für ausländische Anbieter einstufte, belege das.
Ein solches Verbot müsste also „wasserdicht über das Gesundheits- und Sozialrecht laufen“, erklärte er. Das wiederum sei ein schwieriges Unterfangen, das mit viel Fingerspitzengefühl angegangen werden müsste.
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