Post COVID: Fraglicher Zusammenhang mit Vordiagnosen
Berlin – Beinahe 96 Prozent der im 4. Quartal 2021 kassenärztlich behandelten Patienten mit einem Post-COVID-Syndrom hatten im Jahr zuvor Hilfe bei niedergelassenen Ärzten gesucht. Darauf weisen Ergebnisse einer aktuellen Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) hin.
Die häufigsten Gründe für den Arztbesuch im Jahr 2020 waren demnach Rückenschmerzen (42 Prozent), akute Infektionen der Atemwege (38 Prozent). Es folgten essenzielle Hypertonie (35 Prozent), Fettstoffwechselstörungen (24 Prozent), somatoforme Störungen (20 Prozent) sowie depressive Episoden (19 Prozent).
„Es handelt sich bei einigen Besuchsgründen im Vorjahr nicht um Vorerkrankungen im eigentlichen Sinne“, schränkte Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, die Ergebnisse auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes (DÄ) ein.
Die Zi-Auswertung bezieht sich auf vertragsärztliche Abrechnungsdaten von mehr als 170.000 gesetzlich Krankenversicherten für das 4. Quartal 2021. Die Versicherten hatten ein Post-COVID-Syndrom, das mit der Abrechnungsnummer U09.9! verschlüsselt worden war.
Die Daten bestätigen Ergebnisse einer früheren, im Deutschen Ärzteblatt (2022, DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0134) veröffentlichten Zi-Analyse, die auf den Abrechnungsdaten der Kassenärzte für das 2. Quartal 2021 basierte.
Dabei handelte es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, in die Daten von fast 161.000 von Post-COVID-Betroffenen und etwa 321.000 Kontrollen einflossen. Die Kontrollen waren im 2. Quartal 2021 ebenfalls kassenärztlich versorgt worden, hatten aber weder Post-COVID- noch COVID-19-Erkrankung in der Vorgeschichte.
„Wir ziehen aus dem Vergleich der Patientenkohorten mit und ohne Post COVID den Schluss, dass die genannten (Vor-)Erkrankungen deutlich häufiger in der Post-COVID-Kohorte vertreten sind als in der Allgemeinbevölkerung (Kontrolle)“, sagte Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender des Zi, dem DÄ auf Nachfrage.
Diese Diagnosen könnten somit als Risikofaktoren für einen ungünstigeren Verlauf nach einer SARS-CoV-2-Infektion wirken. Allerdings hätten sie nicht spezifisch untersucht, so von Stillfried weiter, welche Diagnosekombinationen oder welche Dauer der Vorerkrankungen mit besonders schweren Verläufen von Post COVID verbunden seien.
In Studie eher Junge, Gesunde mit Long COVID
Daten allein anhand von dem Codierungssystem zu erheben sieht Christian Mardin kritisch. Er forscht am Universitätsklinikum Erlangen zur Diagnose und Therapie von Long COVID. „Häufig werden Codes verwendet, die nicht das volle Krankheitsbild wiedergeben, sondern dem am ehesten nahekommen“, sagte er dem DÄ.
Die Personen, die Mardin in seiner Studie betreut, seien zudem eher selten vorerkrankt: „Die Patientinnen und Patienten, die wir sehen, sind jung, sportlich und aktiv und waren vorher gesund.“
Das könne aber auch ein Bias sein, weil sich gerade diejenigen bei melden würden, die zum einen dazu in der Lage seien und zum anderen von den Beschwerden aus dem Leben gerissen würden, schränkte der leitende Oberarzt der Augenklinik ein.
Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien an der Median-Rehabilitationsklinik in Heiligendamm, weist in einem Bericht im Focus zudem darauf hin, dass Long COVID bei einigen Personen auch fehldiagnostiziert sein könnte: „Die Diagnose von Long COVID ist sehr schwierig und viele Ärzte haben wenig Erfahrung damit.“
Keine Daten zu Krankenhausfällen
Weiterhin fehlen in der Zi-Auswertung die Daten zu Krankenhausfällen und privatversicherten Personen. Auf die Frage des DÄ, wie sich die fehlenden Daten in der Analyse auswirken könnten, antwortete von Stillfried: „Es wäre gut, unsere Daten auf der Ebene der Versichertenpseudonyme mit Abrechnungsdaten der Krankenhäuser zusammenführen zu können.“
So ließe sich erkennen, „ob Krankenhausbehandlungen in der Akutphase besondere Effekte auf die Post-COVID-Symptomatik haben.“ Es wäre interessant herauszufinden, ob die stationäre Behandlung während der Post-COVID-Phase die haus- und fachärztliche Versorgung ergänzt. Eventuell würde dann ein höherer Anteil schwerer Verläufe festgestellt werden.
Es könne aber auch sein, dass sich die Therapie im Krankenhaus nur auf diejenigen begrenzt, die bereits den Zi-Daten zufolge als schwere Fälle identifiziert worden sind. Die Daten der privat Versicherten dürften, so von Stillfried, keine zusätzlichen Erkenntnisse bringen.
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