Vermischtes

Umweltagentur: 400.000 Todesfälle wegen Luftverschmutzung in Europa

  • Mittwoch, 16. Oktober 2019
Autos fahren in Köln an der Messstation Clevischer Ring des Landesumweltamtes vorbei. /picture alliance
Autos fahren in Köln an der Messstation Clevischer Ring des Landesumweltamtes vorbei. /picture alliance

Kopenhagen – Trotz einer Verbesserung der Luftqualität in Europa führt die anhaltende Luftverschmutzung weiterhin jährlich zu Hunderttausenden vorzeitigen Todesfällen auf dem Kontinent. Wie die Europäische Umweltagentur (EEA) in Kopenhagen mitteilte, starben im Jahr 2016 rund 400.000 Menschen in der EU vorzeitig, weil sie Feinstaub ausgesetzt waren. Auch Stickstoffdioxid (NO2) und Ozon führte zu vorzeitigen Todesfällen.

Beinahe alle in Städten lebende Europäer seien einer Luftbelastung ausgesetzt, die über die empfohlenen Werte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hinausgehe, urteilte die Behörde in ihrem heute veröffentlichten Jahresbericht zur Luftqualität in Europa.

In dem Report führt die EEA detailliert auf, wie viele Menschen in jedem einzelnen Land wegen einer Exposition gegenüber Feinstaub, Stickstoffdioxid NO2 und Ozon vorzeitig sterben und wie viele verlorene Lebensjahre (YLL) wegen eben dieser Exposition zu Buche schlagen. Demzufolge sterben in den 41 Ländern 412.000 Menschen vorzeitig wegen der Feinstaub-PM2.5-Belastung, 71.000 Menschen wegen NO2 und 15.100 Menschen wegen Ozon. In verlorenen Lebensjahren YLL ausgedrückt gehen in den 41 Ländern wegen Feinstaub-PM2.5-Belastung 4,223 Millionen Lebensjahre verloren, wegen NO2 707.000 Lebensjahre und wegen Ozon 160.000 Lebensjahre.

Die EEA spricht in der Summe von etwa 400.000 vorzeitigen Todesfällen. Sie verweist darauf, dass die Zahlen der drei Schadstoffe nicht einfach addiert werden können, da es zu Überlappungseffekten kommt. So betrage diese Überlappung allein bei der Betrachtung der Auswirkungen von Feinstaub PM2.5 und NO2 bis zu 30 Prozent.

Der Bericht der EEA zeigt aber auch: verbindliche Regeln und lokale Messungen verbessern an vielen Orten die Qualität der Luft. So ist gegenüber den Vorjahren ein Rückgang sowohl bei den vorzeitigen Todesfällen als auch bei den verlorenen Lebensjahren zu beobachten. Zusätzlich liefert der Bericht einen Einblick, wie die Ökosysteme, insbesondere die Vegetation, durch die Schadstoffe betroffen sind.

Kein positiver Trend in Osteuropa

Vor allem im westlichen und südlichen Europa hätten die Emissionen etwas abgenommen, wogegen die Konzentrationen in Osteuropa nach wie vor sehr hoch sei, resumiert Tamara Schikowski von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Wenn man sich die einzelnen Schadstoffe anschaut, kann man erkennen, dass in Westeuropa die Grenzwerte für PM10 und auch PM2.5 meistens eingehalten werden, bei Stickstoffdioxid kann man auch einen Rückgang beobachten.“ In Osteuropa seien vor allem die Schadstoffekonzentrationen aus der Kohleverbrennung (SO2 und Benzo(a)pyren) nach wie vor sehr hoch, wie auch die Feinstaubkonzentrationen, führt sie weiter aus. „Dies liegt vor allem an der veralteten Fahrzeugflotte und auch an den veralteten Kohlekraftwerken in diesen Ländern“, erklärt die Arbeitsgruppenleiterin Umweltepidemiologie von Lunge, Gehirn und Hautalterung, IUF – Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung.

Für EEA-Direktor Hans Bruyninckx ist es an der Zeit, die Veränderungen in den Bereichen Energie, Lebensmittel und Transport zu beschleunigen. „Europa hat jetzt eine einmalige Gelegenheit, um eine ambitionierte Agenda aufzustellen, mit der die systematischen Ursachen von Umweltbelastungen und Luftverschmutzung angegangen werden.“

Schikowski appelliert an die Politik, insbesondere die osteuropäischen Länder verstärkt zu unterstützen, damit auch sie strengere Maßnahmen einführen. „Diese Schadstoffe werden bei bestimmten Wetterbedingungen auch in andere Länder Europas getragen, wobei hier besonders Skandinavien, aber auch Deutschland, betroffen sind.“

Feinstaub-Grenzwerte der EU in der Kritik

Kritik an den Grenzwerten der EU kommt zudem aus der Schweiz. Denn im Falle des Feinstaubs (PM2.5) liegen – trotz steter Abnahme – die Werte hingegen bei 69 Prozent der Messstationen über dem WHO-Jahresrichtwert von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. „Seit Jahren weigert sich die EU, diesen Richtwert gesetzlich zu verankern. Stattdessen hat die EU für den Feinstaub den von Lobbyisten propagierten – viel zu hohen – Jahresmittelwert von 25 Mikrogramm pro Kubikmeter in der Direktive verankert – auch heute noch“, sagt Nino Künzli, Stellvertretender Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Instituts und Leiter der Abteilung Ausbildung und Training, Schweizerisches Tropen- und Public Health-Institut (Swiss TPH) in Basel.

Diese ‚Zielvorgabe‘ würde zwar nur an sieben Prozent aller Stationen überschritten. „Als Ziel ist dieser Wert jedoch untauglich. Er trägt der Gesundheit der Bevölkerung keine Rechnung.“ Wäre die Luftreinhaltepolitik der EU schon vor 20 Jahren den Forderungen der Wissenschaft gefolgt, lägen heute auch die Feinstaub-Belastungen tiefer, ist Künzli überzeugt.

Auch die Sprecherin für Umweltpolitik von den Grünen, Bettina Hoffmann, hält die Feinstaubwerte für ein „gravierendes Gesundheitsrisiko“: „Maßstab für eine gute Luftqualität in Deutschland müssen die Grenzwert-Empfehlungen der WHO sein.“ Die Bundesregierung tue zu wenig für saubere Luft. „Das im Mai 2019 beschlossene Luftreinhalteprogramm der Bundesregierung ist zu sehr auf Kante genäht. Sollte nur eine Maßnahme verzögert oder eingeschränkt umgesetzt werden, bleibt kein Spielraum, um die Emissionen in dem Maße zu senken, wie die Bundesregierung es mit den anderen EU-Ländern verabredet hat“, warnt Hoffmann.

dpa/gie

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