Wie Social Media die Hirnentwicklung beeinflusst

Chapel Hill/North Carolina – Jugendliche, die häufig in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, zeigten in einer Langzeitstudie in der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) eine verstärkte Aktivierung von bestimmten Hirnarealen im Gehirn.
Die in JAMA Pediatrics (2023; DOI: 10.1001/jamapediatrics.2022.4924) vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass die häufige Nutzung zumindest einen „Trainingseffekt“ im Gehirn erzielt. Ob er von Dauer ist und ob dies Vor- oder Nachteile für die Teenager hat, ist unklar.
So gut wie alle Jugendlichen, die ein Smartphone besitzen (und das ist heute praktisch jeder) nutzen die sozialen Netzwerke. In Umfragen gaben 78 % der 13- bis 17-Jährigen an, mindestens stündlich ihre Accounts zu checken, 46 % meinten, sie seien „fast ständig“ auf Abruf, um neue Mitteilungen zu lesen und zu reagieren.
Frühere Studien haben gezeigt, dass die „Likes“, die sie auf Facebook, Instagram und Co. erhalten oder auch nicht erhalten, sich auf das psychische Wohlbefinden auswirken.
Die Studienlage ist nach einer Übersicht in Cureus (2020; DOI: 10.7759/cureus.8627) nicht eindeutig. Es scheint aber eine Assoziation zwischen der häufigen Nutzung und Depressionen zu geben, wobei unklar ist, ob die vermehrte Nutzung die Ursache oder die Folge der psychischen Probleme ist.
Ein Team um Eva Telzer von der Universität von North Carolina in Chapel Hill hat die Auswirkungen auf die Hirnaktivität von 178 Jugendlichen untersucht. Bei den Teenagern wurde im Alter von 12 bis 15 Jahren 3-mal eine fMRT durchgeführt.
Die Untersuchung kann anhand einer veränderten Durchblutung erkennen, welche Hirnareale bei bestimmten Aufgaben aktiviert werden. Bei den Jugendlichen bestand die Aufgabe darin, auf bestimmte Symbole („cue“) zu reagieren, die ihnen gezeigt wurden, während sie in der Röhre des MRT lagen.
Bei dem „Social Incentive Delay“-Test kam es auf eine rasche Reaktion an. Diese wurde mit einem freundlichen Gesicht belohnt, dass ihnen nach dem Drücken eines Knopfes auf einem Display gezeigt wurde.
Wenn sie zu langsam waren, sahen sie ein mürrisches Gesicht. Teilweise wurden sie aber auch für eine rasche Reaktion mit einem mürrischen Gesicht bestraft. Der Test sollte die Erfolge und Frustrationen nachstellen, die sich bei der Nutzung von sozialen Medien einstellen können.
Die Forscher interessierten sich vor allem für die Reaktionen in Hirnregionen, die an Motivation (z. B. ventrales Striatum), affektive Aufmerksamkeit/Salienz (z. B. posteriore Insula und Amygdala) und kognitiven Kontrollnetzwerken (z. B. dorsolateraler präfrontaler Cortex) beteiligt sind.
Die jetzt vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die Hirnaktivität, genauer gesagt die Reaktion auf den „Social Incentive Delay“-Test, im Verlauf der 3 Jahre veränderte. Interessanterweise wiesen Jugendliche mit einer häufigen Nutzung der sozialen Medien bei der ersten fRMT eine verminderte Aktivierung in Amygdala, posteriorer Insula, ventralem Striatum und dorsolateralem präfrontalem Cortex auf.
Bei der letzten Untersuchung hatte sich die Situation umgekehrt. Alle genannten Hirnregionen wurden jetzt vermehrt aktiviert, wenn die Jugendlichen mit häufiger Social-Media-Nutzung den Test im fMRT durchführten.
Die häufige Nutzung der sozialen Netzwerke in der frühen Adoleszenz scheint die Empfindlichkeit des Gehirns gegenüber sozialen Belohnungen und Bestrafungen zu verändern, schließt Telzer aus den Ergebnissen. Welche Auswirkungen dies auf die Psyche und das Verhalten der Jugendlichen hat, wurde in der Studie nicht untersucht.
Damit bleibt offen, ob die Veränderungen den Jugendlichen schaden oder vielleicht sogar nutzen. Es ist auch unklar, ob die Veränderungen von Dauer sind, ob sich also die „Verdrahtung“ des Gehirns in der für die Persönlichkeitsentwicklung wichtigen Phase dauerhaft verändert hat, oder ob es sich nur um einen Trainingseffekt handelt, der sich zurückbildet, wenn die Jugendlichen irgendwann das Interesse an den sozialen Medien verlieren.
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