Vermischtes

Wie Social Media die Hirnentwicklung beeinflusst

  • Freitag, 6. Januar 2023
/Andrey Popov, stock.adobe.com
/Andrey Popov, stock.adobe.com

Chapel Hill/North Carolina – Jugendliche, die häufig in den sozialen Netzwerken unterwegs sind, zeigten in einer Langzeitstudie in der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) eine verstärkte Aktivierung von bestimmten Hirnarealen im Gehirn.

Die in JAMA Pediatrics (2023; DOI: 10.1001/jamapediatrics.2022.4924) vor­gestellten Ergebnisse zeigen, dass die häufige Nutzung zumindest einen „Trainingseffekt“ im Gehirn er­zielt. Ob er von Dauer ist und ob dies Vor- oder Nachteile für die Teenager hat, ist unklar.

So gut wie alle Jugendlichen, die ein Smartphone besitzen (und das ist heute praktisch jeder) nutzen die so­zi­alen Netzwerke. In Umfragen gaben 78 % der 13- bis 17-Jährigen an, mindestens stündlich ihre Accounts zu checken, 46 % meinten, sie seien „fast ständig“ auf Abruf, um neue Mitteilungen zu lesen und zu reagieren.

Frühere Studien haben gezeigt, dass die „Likes“, die sie auf Facebook, Instagram und Co. erhalten oder auch nicht erhalten, sich auf das psychische Wohlbefinden auswirken.

Die Studienlage ist nach einer Übersicht in Cureus (2020; DOI: 10.7759/cureus.8627) nicht eindeutig. Es scheint aber eine Assoziation zwischen der häu­figen Nutzung und Depressionen zu geben, wobei unklar ist, ob die ver­mehrte Nutzung die Ursache oder die Folge der psychischen Probleme ist.

Ein Team um Eva Telzer von der Universität von North Carolina in Chapel Hill hat die Auswirkungen auf die Hirnaktivität von 178 Jugendlichen untersucht. Bei den Teenagern wurde im Alter von 12 bis 15 Jahren 3-mal eine fMRT durchgeführt.

Die Untersuchung kann anhand einer veränderten Durchblutung erkennen, welche Hirnareale bei bestimmten Aufgaben aktiviert werden. Bei den Jugendlichen bestand die Aufgabe darin, auf bestimmte Symbole („cue“) zu reagieren, die ihnen gezeigt wurden, während sie in der Röhre des MRT lagen.

Bei dem „Social Incentive Delay“-Test kam es auf eine rasche Reaktion an. Diese wurde mit einem freundli­chen Gesicht belohnt, dass ihnen nach dem Drücken eines Knopfes auf einem Display gezeigt wurde.

Wenn sie zu langsam waren, sahen sie ein mürrisches Gesicht. Teilweise wurden sie aber auch für eine rasche Reak­tion mit einem mürrischen Gesicht bestraft. Der Test sollte die Erfolge und Frustrationen nachstellen, die sich bei der Nutzung von sozialen Medien einstellen können.

Die Forscher interessierten sich vor allem für die Reaktionen in Hirnregionen, die an Motivation (z. B. ventra­les Striatum), affektive Aufmerksamkeit/Salienz (z. B. posteriore Insula und Amygdala) und kognitiven Kon­troll­netzwerken (z. B. dorsolateraler präfrontaler Cortex) beteiligt sind.

Die jetzt vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die Hirnaktivität, genauer gesagt die Reaktion auf den „So­cial Incentive Delay“-Test, im Verlauf der 3 Jahre veränderte. Interessanterweise wiesen Jugendliche mit einer häufigen Nutzung der sozialen Medien bei der ersten fRMT eine verminderte Aktivierung in Amygdala, poste­riorer Insula, ventralem Striatum und dorsolateralem präfrontalem Cortex auf.

Bei der letzten Untersuchung hatte sich die Situation umgekehrt. Alle genannten Hirnregionen wurden jetzt vermehrt aktiviert, wenn die Jugendlichen mit häufiger Social-Media-Nutzung den Test im fMRT durchführ­ten.

Die häufige Nutzung der sozialen Netzwerke in der frühen Adoleszenz scheint die Empfindlichkeit des Ge­hirns gegenüber sozialen Belohnungen und Bestrafungen zu verändern, schließt Telzer aus den Ergebnissen. Welche Auswirkungen dies auf die Psyche und das Verhalten der Jugendlichen hat, wurde in der Studie nicht unter­sucht.

Damit bleibt offen, ob die Veränderungen den Jugendlichen schaden oder vielleicht sogar nutzen. Es ist auch unklar, ob die Veränderungen von Dauer sind, ob sich also die „Verdrahtung“ des Gehirns in der für die Per­sön­lichkeitsentwicklung wichtigen Phase dauerhaft verändert hat, oder ob es sich nur um einen Trainings­effekt handelt, der sich zurückbildet, wenn die Jugendlichen irgendwann das Interesse an den sozialen Me­dien verlieren.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung