Vom Arztdasein in Amerika

Das britische Gesundheitssystem aus US-Sicht

  • Dienstag, 14. Juni 2016

Im Rahmen meiner gerontopsychiatrischen Rotation begegnete mir ein Patient, der wegen zunehmender demenzartiger Symptome vorstellig wurde – sein Gedächtnis ließ nach, er wurde lust- und antriebslos, und aus einem ehemals sehr geselligen Mann war ein stiller, in sich gekehrter, vergesslicher und gleichgültiger Mann geworden. Er selber stammte aus dem Südwesten Großbritannienes, also Wales, und hatte auch selbst nach 20 Jahren Aufenthalt in den USA und seiner Heirat mit einer US-Amerikanerin den trotz seiner nur spärlich geäußerten Worte seinen unverkennbaren walisischen Dialekt noch nicht abgelegt.

Was die Ehefrau dann über die medizinische Behandlung in Großbritannien schilderte, klang, wie ich es mittlerweile gewohnt bin zu hören, nämlich wie ein Alptraum: Der erst 30 Jahre alte Sohn war vor einem Jahrzehnt mangels ausreichender Diagnostik und Ärzte an einem Wochenende an einer einfachen Gallenblasenentzündung verstorben.

Die (erste) Ehefrau des Patienten war nach erfolgter Brustabnahme bei Brustkrebs nicht mit Chemotherapie behandelt und dann zwei Jahre später an Hirnmetastasen ver­storben, und dem Patienten selber wäre wohl ein ähnliches Schicksal widerfahren, hätte die amerikanische Zweitfrau ihn nicht „aus der Not heraus“ geheiratet, in die USA geholt und hier einer Behandlung für sein Blutkrebsleiden zugeführt, denn man hatte ihm nur sechs Monate Überlebenszeit in Wales gegeben, und das ist mittlerweile schon zehn Jahre her.

Nun gut, viele US-Amerikaner neigen bekanntermaßen zur Übertreibung, reden mit hohem Pathos- und nicht unbedingt höchstem Wahrheitsgehalt und überschätzen gerne ihr eigenes System. Doch diese Klage höre ich ja auch von britischen Freunden in Großbritannien und eben, wie schon erwähnt, von diversen Freunden, Bekannten, Kollegen und Patienten in den USA seit Jahren.

Als Fazit will ich daher den Rat der Patientenehefrau an meine Leser weitergeben: „Wenn Sie nach Großbritannien gehen, dann sollten Sie unbedingt eine Reisekrankenversicherung haben, die Sie ausfliegt! Wenn Sie das nicht haben, dann zumindest eine Versicherung, die Ihren Sarg mit Ihrem Leichnam zurück nach Hause bringt“.

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