Ruf nach konsequenterem Coronalockdown

Düsseldorf – Ärzte in Deutschland haben sich erneut für härtere Konsequenzen in der Coronakrise und einen konsequenten Lockdown ausgesprochen. „Lockerungen führen dazu, dass die Menschen zu viele Kontakte haben“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Ute Teichert, der Rheinischen Post.
Verbunden mit hohen Fallzahlen werde die Nachverfolgbarkeit für die Gesundheitsämter „schwierig bis unmöglich“, so Teichert weiter. „Und wenn wir die Kontakte von Infizierten nicht nachverfolgen können, dann gerät die Pandemie vollends außer Kontrolle.“
Die Impfungen könnten die dritte Welle, inmitten der man sich befinde, noch nicht brechen, betonte sie. Die Fallzahlen zu senken sei daher entscheidend. Dies sei nur mit einem konsequenten Lockdown machbar. Außerdem fehle in den Gesundheitsämtern weiterhin Fachpersonal.
Parallel zum Lockdown müssten zudem Konzepte entwickelt werden, wie mit einer Test- und Impfstrategie sowie mit Apps zur digitalen Nachverfolgung Lockerungen möglich seien – „aber erst, wenn die Fallzahlen unten sind“.
Angesichts der steigenden Coronainfektionszahlen mahnte auch der Berliner Virologe Christian Drosten schärfere Maßnahmen an. „Ich glaube, es wird nicht ohne einen neuen Lockdown gehen, um diese Dynamik, die sich jetzt ohne jeden Zweifel eingestellt hat, noch einmal zu verzögern“, sagte der Charité-Wissenschaftler gestern im Podcast „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info.
Die Situation sei leider „sehr ernst und sehr kompliziert“. Deutschland habe viel an Gelegenheiten verpasst, die Werkzeuge zu optimieren. „Ich habe das Gefühl, dass wir eigentlich im Moment immer noch die gleichen Werkzeuge benutzen müssen, die wir schon in der ersten Welle benutzt haben.“
Klar sei, das die Kontakte reduziert werden müssten – dazu zählten der Privatbereich, der Erziehungs- und Bildungsbereich sowie die Arbeitsstätten. „Da gibt es viele wissenschaftliche Beiträge, die jetzt auch auf Deutschland bezogen sind.“ Es sei falsch, wenn gesagt werde, man wisse ja noch gar nicht, wo das Virus übertragen wird, so Drosten.
Die Vorhersage der Modelle für die dritte Coronawelle sei leider durch die Natur noch überschritten worden, sagte Drosten. Sie habe früher begonnen als die Modelle das vorausgesagt hätten. Noch in dieser Woche werde die Zahl der Nachweise der britischen Variante B.1.1.7 über 90 Prozent erreichen. „Das ist natürlich alles andere als beruhigend.“ Die Variante B.1.1.7 sei eindeutig krankmachender und auch tödlicher als das Ursprungsvirus.
„Es ist nicht zu erwarten, dass wir jetzt irgendwie einen vollkommenen Wirkungsverlust der Impfungen haben oder dass wir einen strategischen Fehler machen, wenn wir die jetzigen Impfstoffe verwenden“, betonte Drosten angesichts weiterer Coronavarianten. Das heiße dennoch nicht, dass die Impfstoffe nicht verbesserbar seien. „Ich rechne damit, dass wir wahrscheinlich so ab Herbst schon die ersten zugelassenen Updateimpfstoffe haben.“
Die Gesundheitsämter haben dem Robert-Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 17.051 Coronaneuinfektionen gemeldet. Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 249 neue Todesfälle verzeichnet. Das geht aus Zahlen des RKI von heute hervor. Vor genau einer Woche hatte das RKI binnen eines Tages 15 813 Neuinfektionen und 248 neue Todesfälle verzeichnet.
Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag bundesweit bei 132,3 – und damit etwas unter dem Niveau des Vortags (135,2).
Der bundesweite Sieben-Tage-R-Wert lag laut RKI-Lagebericht von gestern Abend bei 1,01 (Vortag: 1,10). Das bedeutet, dass 100 Infizierte rechnerisch 101 weitere Menschen anstecken. Der Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen vor 8 bis 16 Tagen ab. Liegt er für längere Zeit unter 1, flaut das Infektionsgeschehen ab; liegt er anhaltend darüber, steigen die Fallzahlen.
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