Vermischtes

Sanitätsdienst erarbeitet Szenarien zur Landesverteidigung

  • Montag, 2. Juni 2025
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Berlin – Die Bundeswehr will ihre Koordination und Zusammenarbeit mit dem zivilen Gesundheitswesen verbessern. Auf einem Symposium in Berlin erörterte sie dazu heute unter anderem mit Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlicher Bundesvereinigungen (KBV) und Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) Fragen der Zusammenarbeit im Bündnis- und Verteidigungsfall.

Dem Symposium unter Leitung des Befehlshabers des Zentralen Sanitätsdienstes und Wehrmedizinischen Beraters des Bundesverteidigungsministers, Generaloberstabsarzt Ralf Hoffmann, befasste sich dazu mit dem schwersten denkbaren Szenario, dem Fall der Landesverteidigung.

„Auch wenn das sehr unwahrscheinlich ist, ist es sehr wichtig, dass wir uns auf diese Entwicklung vorbereiten“, erklärte Hoffmann. Zentral sei es, Strukturen und Netzwerke aufzubauen, um eine reibungslose Koordination im Ernstfall sicherzustellen.

„Ich bin mir bewusst, dass der Sanitätsdienst eine sehr überschaubare Entität ist“, betonte er. Es sei daher klar, dass im Krisen- oder Kriegsfall das zivile Gesundheitswesen einen großen Teil der Last würde tragen müssen. Dafür müssten dringend Vorbereitungen getroffen werden.

Denn auch wenn es nicht zum Äußersten kommen müsse, sei bereits jetzt eine grundlegende sicherheitspolitische Wende spürbar, erklärte Generalstabsarzt Almut Nolte, stellvertretende Befehlshaberin und Stabschefin des Zentralen Sanitätsdiensts der Bundeswehr: „Ein Leben in Freiheit und Sicherheit ist leider keine Selbstverständlichkeit mehr.“

Bereits heute befinde sich Deutschland auf einer Eskalationsskala in der ersten von vier Phasen. Hybride Aktionen unter versuchter Verschleierung der Urheberschaft seien bereits heute an der Tagesordnung und reichten von gezielter Desinformation über Cyberattacken und versuchte Sabotage bis zur Spionage mittels Drohnen.

Bereits jetzt müsse potenziell mit Auswirkungen auf das Gesundheitswesen gerechnet werden, beispielsweise durch Cyberangriffe auf Krankenhäuser, Hackerattacken auf Gesundheitsdaten oder Sabotageaktionen gegen die kritische Infrastruktur.

Schon in Phase 2 – einer Krise samt Aufmarsch an den NATO-Außengrenzen – müsste mit größeren Fluchtbewegungen aus Osteuropa gerechnet werden. Dies würde beispielsweise auch in der ambulanten Versorgung zu spüren sein, wenn größere Mengen erkrankter Flüchtlinge in den Arztpraxen vorstellig würden und erste verletzte Soldaten in deutschen Krankenhäusern behandelt werden müssten.

Denn bereits in Phase 2 wären die Soldatinnen und Soldaten des Sanitätsdienstes voll eingebunden, warnte Nolte. Für zivile Versorgungsaufgaben, beispielsweise im Ehrenamt, stünden sie dann nicht mehr zur Verfügung.

Hier räche sich der Abbau der vergangenen Jahrzehnte. „In Zeiten des Kalten Krieges konnten wir uns auf eine umfangreiche Sanitätsversorgung verlassen“, erklärte sie. In den Jahren danach sei allerdings aus Kostengründen eine massive Reduzierung der Kapazitäten erfolgt.

So habe die Bundeswehr vor 1989 zwölf eigene Krankenhäuser betrieben – heute sind es noch fünf – sowie 126 Reservelazarettgruppen, 76 Lazarette sowie 30 schienengebundene Krankentransportkompanien. Insgesamt habe sich die Zahlt der verfügbaren Betten von rund 135.000 auf rund 2000 verringert. „Es hat also einen Wandel zur Unterversorgung gegeben“, konstatierte Nolte.

Dies würde sich in Phase 3 noch stärker bemerkbar machen, die von der Bündnisverteidigung im Übergang zur Landesverteidigung geprägt ist. In ihr käme es zu massiven Angriffen auf die Infrastruktur, „bei denen nicht einmal mehr versucht würde, die Urheberschaft zu verschleiern“, wie Nolte anmerkte.

Verwundete und erkrankte Soldaten würden dann in großer Zahl Sanitätshubs erreichen, von denen aus sie auf zivile Krankenhäuser verteilt und weiterverlegt werden müssen. Neben dem großen Patientenaufkommen und Erschwernissen durch Sabotageakte gegen die Infrastruktur müsste spätestens dann auch mit breiten Arzneimittelengpässen gerechnet werden. Der Sicherstellung der Arzneimittelversorgung müsse deshalb bereits bei Planungen im Vorfeld eine große Priorität eingeräumt werden.

Eine existenzielle Herausforderung würde dann Phase 4, die Landesverteidigung einnehmen. Im Szenario der Bundeswehr wäre von einem Angriff aus dem Osten mit der Einnahme erster Landkreise in Brandenburg und Sachsen zu rechnen.

Entsprechend käme es zu einer Massenflucht west- und südwärts, die begleitet würde von Luft- und Raketenangriffen auf die Infrastruktur, insbesondere Wasser- und Energieversorgung. Aufgrund der schlechten hygienischen Situation sei dann auch die vermehrte Ausbreitung von Infektionskrankheiten wahrscheinlich.

Wenn Strom, Telefon und Internet ausfallen würden, könne kein Arzt mehr E-Rezepte ausstellen oder auch nur mit anderen Leistungserbringern kommunizieren, unterstrich Nolte. Das Gesundheitswesen müsse sich bereits jetzt stärker auf solche Krisensituationen vorbereiten, mahnte sie.

Dazu müsse aber auch die Politik tätig werden und konkrete Zuständigkeiten in der zivil-militärischen Zusammenarbeit definieren. Traumanetzwerke müssten gestärkt, Materialvorräte angelegt und Infrastruktur ausgebaut werden.

Es brauche eine gemeinsame zivil-militärische Koordinationsstruktur für den Ernstfall. „Auch der Zugriff auf in Deutschland ansässige Pharmahersteller muss dann sichergestellt werden“, betonte sie. Deren Einbindung zur Sicherstellung der Versorgung sei zentral.

Speziell Krankenhäuser sollten ebenfalls bereits tätig werden: „Aus militärischer Perspektive sollte jede zivile Gesundheitseinrichtung umgehend erörtern, wie sie ihren physischen Schutz erhöhen kann, und erste Maßnahmen einleiten.“

Krankenhäuser sollten zudem ertüchtigt werden, militärische Verletzungsmuster behandeln zu können, Hausärztinnen und Hausärzte sich auf die Versorgung von Flüchtlingen und leicht verletzten Soldaten vorbereiten. All das müsse zügig geschehen. „Bei der Geschwindigkeit braucht es einen Ruck von uns allen“, mahnte Nolte.

Was genau welche Leistungserbringer im Gesundheitswesen jetzt bereits tun können und sollten, sei eines der Themen der acht Arbeitsgruppen, betonte Hoffmann. Diese widmeten sich unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter anderem Krankenhausstrukturen, der Rolle der Niedergelassenen, der Sicherstellung der Versorgung mit Blutprodukten, ärztlichen Ausbildungsinhalten, der Arzneimittelversorgung sowie der gesamtstaatlichen Koordination.

Es sei wichtig, dafür möglichst viele Fachleute aus allen Bereichen des Gesundheitswesens zusammenzubringen. „Wir als Sanitätsdienst stellen dafür nur den Rahmen. Die Aufgabe ist eine gesamtstaatliche“, sagte er.

Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe sollen in einem Bericht zusammengefasst werden, der den zuständigen Ministerien – insbesondere jenen für Inneres, Verteidigung und Gesundheit – vorgelegt wird. Seine Ergebnisse könnten auch in ein Gesundheitsversorgungssicherstellungsgesetz einfließen, das im laufenden Jahr erarbeitet werden soll.

lau

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