Medizin

Schwere COVID-19 lässt Gehirn um 20 Jahre altern

  • Mittwoch, 4. Mai 2022
/Kateryna_Kon, stock.adobe.com
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Cambridge/England – Patienten, die mit schwerem COVID-19 auf einer Intensivstation behandelt wurden, litten nach einer Studie in eClinicalMedicine (2022; DOI: 10.1016/j.eclinm.2022.101417) noch 6 Monate später unter kognitiven Beeinträchtigungen, die dem natürlichen Abbau im Alter zwischen 50 und 70 Jahren oder einem Verlust von 10 IQ-Punkten entsprachen.

Viele Patienten klagen nach COVID-19 über kognitive Störungen, die in der Öffentlichkeit auch als „brain fog“ bezeichnet werden und in der Regel milde verlaufen. Bei Intensivpatienten kann es jedoch zu schweren Beeinträchtigungen kommen, die unter Umständen länger anhalten.

Ein Team um den Anästhesiologen David Menon von der Universität Cambridge hat 46 Patienten im Mittel 6 Monate nach der Entlassung aus dem Addenbrooke's Hospital mit einer Reihe von kognitiven Tests genauer untersucht.

Alle Patienten im Alter von 28 bis 63 Jahren waren auf einer Intensivstation behandelt worden, 16 Patienten waren dort bis zu 50 Tage lang maschinell beatmet worden. Bei diesen Patienten kommt es auch nach anderen Erkrankungen häufig zu kognitiven Störungen. Menon musste deshalb damit rechnen, dass die Patienten in den Tests schlechter abschneiden als eine Gruppe von 460 Kontrollpersonen, die den Post-COVID-Patienten in Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungsniveau glichen, die aber nicht auf einer Intensivstation behandelt worden waren.

Dennoch waren die Unterschiede frappierend. Die Forscher führten dieselben Tests durch, die auch in Intelligenztests zum Einsatz kommen. Dabei ging es teilweise um Genauigkeit, teilweise um die Reaktionsgeschwindigkeit. In den meisten Tests erzielten die Post- COVID-Patienten schlechtere Ergebnisse als die Kontrollen. Sie machten häufiger Fehler und benötigten länger für die Aufgaben. Die größten Defizite wurden bei den Patienten beobachtet, die während der Behandlung in der Klinik maschinell beatmet worden waren.

In einem Vergleich zu 66.008 Personen, die dieselben Tests im Rahmen anderer Studien absolviert hatten, entsprachen die Defizite in etwa dem Rückgang der kognitiven Fähigkeiten, zu dem es bei gesunden Menschen zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr kommt oder einem Rückgang des IQ-Werts um 10 Punkte.

Besonders schlechte Ergebnisse erzielten die Überlebenden in einem Test zu verbalen Analogien, was laut Menon zu den von Post-COVID-Patienten häufig berichteten Wortfindungsstörungen passt. Der Forscher vermutet, dass die Verlangsamung im Denken durch eine Störung des Glukoseverbrauchs im frontoparietalen Netzwerks des Gehirns verursacht wird, das für Hirnleistungen wie Aufmerksamkeit, komplexe Problemlösung und Arbeitsgedächtnis benötigt wird.

Das Muster der kognitiven Veränderungen unterscheidet sich laut Menon von anderen Störungen wie der Demenz und auch von normalen Altersvorgängen. COVID-19 könnte deshalb einen eigenen „kognitiven Fingerabdruck“ im Gehirn hinterlassen, so Menon.

Trotz der schweren Einbußen zeichnete sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Erkrankung eine Besserung ab, die in der Studie allerdings nicht statistisch signifikant war.

rme

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