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Seniorenzentren und sprechende Teddybären: Wie Südkorea gegen Einsamkeit vorgeht

  • Montag, 2. September 2024
/godfather, stock.adobe.com
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Berlin – Seniorenzentren mit Kursangebot und Mittagessen, sprechende Teddybären und digitale Unterstützungssysteme: In Südkorea gehören diese Maßnahmen für viele einsame Senioren inzwischen zum Alltag. Der Staat sieht sich in der Daseinsfürsorge und möchte der sozialen Isolation entgegenwirken.

Ob diese Lösungen auch für Deutschland infrage kommen könnten, darüber diskutierten jüngst Yong-Seun Chang-Gusko, Gastprofessorin an der Kosin Universität in Südkorea und Expertin auf dem Gebiet der alternden Gesellschaft, Andrew Ullmann, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag und Maike Luhmann, Professorin für Psychologische Methodenlehre an der Ruhr-Universität Bochum und Principal Investigator im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit.

Das Thema Einsamkeit hat spätestens mit der Coronapan­demie nicht nur in Deutschland an Bedeutung gewonnen, auch in anderen Ländern ist die Einsamkeitsrate bislang noch nicht auf das Vorpandemieniveau zurückgegangen. Betroffen sind nicht nur ältere Menschen, sondern auch viele Jüngere.

Eine Umfrage über das Familiendemographische Panel (FReDA) hatte 2022 ergeben, dass rund 36 Prozent der Erwachsenen in Deutschland mindestens teilweise einsam sind, fünf Prozent davon sogar stark einsam. In der gesamten EU liegen die Werte noch etwas höher: Dem EU Loneliness Survey zufolge sind 52 Prozent mindestens teilweise von Einsamkeit betroffen, zwölf Prozent stark.

„Chronische Einsamkeit erhöht das Risiko für zahlreiche Erkrankungen“, erklärte Luhmann in einem kurzen Vortrag. Dazu zählten unter anderem Erkrankungen der oberen Atemwege, des Herz-Kreislauf-Systems, Schmerzsymptome und Diabetes Typ 2.

Auch die Mortalität sei durch Einsamkeit erhöht, sagte Luhmann. Nicht zu vergessen seien die psychischen Folgen von sozialer Isolation und gesellschaftliche Auswirkungen, beispielsweise ökonomischer und politischer Natur.

Allein kämen einsame Menschen nicht unbedingt aus ihrer Situation heraus. „Die Bekämpfung von Einsamkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung“, betonte die Psychologin. Dabei müsste beispielweise auch die Politik geeignete Maßnahmen ergreifen und Konzepte vorlegen.

Einen ersten Schritt hat die deutsche Bundesregierung 2023 bereits mit der Einsamkeitsstrategie gemacht. „Die Strategie ist noch mit vielen Prüfanträgen verbunden“, sagte Ullmann. In Hinsicht auf die Prävention von Einsamkeit muss sich dem Politiker zufolge noch deutlich mehr tun. Insbesondere die gesundheitlichen und mentalen Folgen der Einsamkeit bereiten dem Mediziner Sorgen.

In dem Expertengespräch, das von der Friedrich-Naumann-Stiftung organisiert wurde, wurde deshalb beispielhaft ein Blick nach Südkorea geworfen. Als eines der ersten Länder hatte Südkorea eine Strategie gegen Einsamkeit beschlossen, vorgegangen wird vor allem gegen die altersbedingte Einsamkeit.

Chang-Gusko berichtete, dass sich die Regierung in Südkorea in der Pflicht sieht, präventiv gegen soziale Isolation vorzugehen. Dies werde nicht nur mithilfe gezielter Maßnahmen umgesetzt, sondern sei zum Beispiel auch in Gesetzen verankert. So sieht die Bauordnung Chang-Gusko zufolge vor, dass beim Bau von mehr als 100 neuen Wohnungen zusätzlich ein Seniorenzentrum und ein Kindergarten gebaut werden müssen.

„In den Seniorenzentren kommen die Menschen zusammen und finden soziale Kontakte“, sagte sie. In speziellen Seniorenwohlfahrtszentren würden alle Fragen der Senioren beantwortet, gegen einen kleinen Betrag gebe es ein großes Kursangebot und tägliches Mittagessen. Die Zentren seien dabei fußläufig zu erreichen, zudem seien die öffentlichen Verkehrsmittel für Senioren in Südkorea kostenfrei.

Die Seniorenzentren würden dort ansetzen, wo wichtige soziale Räume wie die Schule und der Arbeitsort wegfallen würden. „Im Durchschnitt besuchen über 60-Jährigen die Seniorenzentren über zehn Jahre regelmäßig, meist dreimal pro Woche“, erzählte Chang-Gusko. „Sie haben dort Spaß, finden Freunde, bekommen günstiges Essen und können Ausflüge machen.“

In einem Projekt mit Studierenden habe sie herausfinden wollen, wie bekannt solche Angebote in Deutschland sind. Fazit: Ältere Mitbürger in Hamburg kannten spezielle Angebote für Senioren vor ihrer Haustür oft noch nicht. Doch auch die Studierenden, immerhin „Digital Natives“, wie Chang-Gusko betonte, hätten Schwierigkeiten gehabt, entsprechende Angebote im Internet zu finden.

„Der Unterschied zu Deutschland ist, dass koreanische Politiker nach zeitnahen Lösungen suchen“, sagte Chang-Gusko. Sie würden Bedarfe analysieren und Maßnahmen direkt planen und umsetzen. In Deutschland gebe es zunächst einmal viel Forschung und ein großes „Ja, aber“, bevor Projekte in die Tat umgesetzt würden. Es stellten sich Finanzierung- und andere Bürokratiefragen, die erst geklärt werden müssten, bevor das Problem tatsächlich angegangen werde.

Man arbeite in Südkorea zudem kunden- und bedarfsorientiert. Bei der Entwicklung einer Art Alexa in Teddybärform, die Senioren etwa an Medikamente und Termine erinnern kann und sich mit ihnen unterhält, seien die Wünsche und Bedarfe analysiert worden, sodass das Produkt auch sinnvoll eingesetzt werden könne und ankomme, erklärte Chang-Gusko.

Auch die Digitalisierung verlaufe in Deutschland noch schleppend, hier sei Südkorea etwas weiter. Die Senioren akzeptierten digitale Technologien dort auch etwas besser, so Chang-Gusko. Die Professorin zeigte sich überzeugt, dass sich dies auch in Deutschland erreichen ließe. Seit der Coronapandemie seien auch Senioren offener für digitale Anwendungen geworden. „Wenn Senioren den Mehrwert einer Technologie erkennen, kann man damit arbeiten“, sagte sie.

Auch Ullmann würde sich für Deutschland eine schnellere Umsetzung von Projekten gegen Einsamkeit wünschen. „In Deutschland wird immer erst erklärt, warum etwas keine gute Idee ist“, bestätigte er Chang-Guskos Aussage.

Man brauche einen niedrigschwelligen Zugang für Ältere. Als Beispiel führte er das Berliner Projekt „Silbernetz“ an, eine Hotline, die Senioren ab 60 Jahren anrufen können, um aus der sozialen Isolation herauszufinden. Wenn Projekte wie dieses gut laufen würden, könne man sie auch in andere Bundesländer übertragen, so Ullmann.

Zu den Beispielen aus Korea gab Ullmann zu bedenken, dass bei einer möglichen Übertragung auf Deutschland strukturelle und kulturelle Faktoren beachtet werden müssten. „Nicht jedes Projekt kann hier adaptiert werden“, sagte er. KI-gestützte Systeme wie der beschriebene sprechende Teddybär könnten deutsche Senioren etwa als unpersönlich empfinden. Trotz allem sehe er in den Vorschlägen großes Potenzial, wenn sie den hiesigen Gegebenheiten angepasst werden würden.

nfs

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