Politik

Sexuelle Cyberatta­cken stärker in den Fokus rücken

  • Dienstag, 17. Januar 2017

Berlin – Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) fordert, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Cyberatta­cken wie „Mobbing“, „Grooming“ und „Sexting“ viel stärker in den Fokus zu nehmen. „In der ak­tuellen Diskussion um Cybersicherheit und Digitalisierung der Bildungslandschaft fehlt der Schutz von Heranwachsenden vor sexueller Gewalt aus dem Netz“, betonte Jo­han­nes-Wilhelm Rörig heute in Berlin. Zur Bestandsaufnahme hat er deshalb, zusam­men mit der „Konzeptgruppe Internet“, einer interdisziplinären Arbeitsgruppe seines Beirats, eine Expertise in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse heute vorgestellt wurden.

Die Expertise von Arne Dekker, Thula Koops und Peer Briken vom Institut für Sexualfor­schung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) zeigt auf, wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verändert hat. „Die neu­en Gefahren durch digitale Medien dürfen nicht bagatellisiert werden, andererseits darf die Mediennutzung junger Menschen nicht nur pessimistisch gesehen und mit Ver­boten belegt werden“, betonte Studienleiter Dekker. Ziel müsse es sein, ihnen eine siche­re Nutzung digitaler Medien zu ermöglichen.

Die Ergebnisse der Expertise zusammengefasst:

  • Sexuelle Grenzverletzungen online:
    Die ungewollte Konfrontation mit Porno­grafie nimmt mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen zu. Die Formen sexueller Annäherungen variieren stark. Besonders problematisch sind die Fälle, in denen unbekannte Erwachsene gezielt Kontakt mit Kindern aufnehmen und sie, etwa im Rahmen von Chats, mit sexuellem Bildmate­ri­al konfrontieren. Hieraus können weitere sexuelle Grenzverletzungen erfolgen.

  • Vorbereitung von sexualisierter Gewalt offline:
    Der Begriff „Grooming“ beschreibt die gezielte Vorbereitung von Straftaten gegen Kinder und Jugendliche mittels digitaler Medien, unter anderem durch die Identifi­ka­tion und Manipulation potenzieller Opfer. Die Täter haben durch die allgegen­wär­tigen Smartphones eine sehr hohe Kontakthäufigkeit und direkten Zugriff auf ihre Opfer in allen Lebens­be­reichen. Das Internet eröffnet den Tätern zudem die Möglichkeit, sich zu vernetzen.

  • Grenzverletzungen mittels bildlicher und filmischer Darstellungen:
    Die Daten sprechen für eine enorme Zunahme von kinderpornografischen Dar­stel­l­ungen im Internet. Während sich solche Dateien im World Wide Web durch Mel­dung an Beschwerdestellen oder Ermittlungsbehörden noch relativ zuverlässig löschen lassen, gelingt dies im Darknet oder in peer-to-peer-Netzwerken kaum. Für Betroffene bedeutet die laufende Verbreitung eine ständige belastende Re­viktimisierung.

  • Problematisch ist zudem „Sexting“, also das Versenden von selbstaufgenomme­nen sexuell freizügigen Bildern und Filmen, das immerhin zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland betreiben. Werden solche Aufnahmen gegen de­ren Willen an Dritte weitergeleitet, kann dies zu erheblichem Leid für die Be­troffenen führen.

„Gegenwärtig gibt es kaum Forschung zur Situation und den Bedarfen der Betroffenen. Das muss jetzt dringend geschehen, wir brauchen vor allem partizipative Forschungsan­sätze“, forderte Arne Dekker vom UKE.

Smartphone ist das „ultimative Tatmittel“
Alex Stern, Mitglied im Betroffenenrat beim UBSKM, forderte eine psychosoziale Hilfe, die sich mit Reviktimisierung auskennt. „Berater und Therapeuten übergehen oft die Rolle, die das extrem belastende Wissen um die Existenz der eigenen Bilder im Netz spielt.“

Auch Julia von Weiler von Innocence in Danger, einem Verein, der sich für den Kinder­schutz einsetzt, kritisierte, dass psychosoziale Berater nur selten über die Besonderhei­ten von sexualisierter Gewalt in den digitalen Medien Bescheid wüssten. „Dabei ist das Smartphone das ultimative Tatmittel, das es den Tätern ermöglicht, in ständigem Kontakt mit ihren Opfern zu bleiben“, betonte sie. „Wir können uns jetzt nicht mehr wegducken.“

Der Missbrauchsbeauftrage Rörig forderte „ein dauerhaftes neues Engagement“, um Kin­der und Jugendliche zu schützen. Dazu gehöre, dass die Anbieter von sozialen Netz­werken wie Facebook, WhatsApp, Instagram und anderen verdächtige Inhalte melden und zwar an „eine noch einzurichtende Stelle“. Sie sollten zudem Informationen zu Bera­tungs- und Hilfsangeboten bereitstellen. „Die Anbieter sind jetzt in der Pflicht“, sagte er.

Darüber hinaus müsse die Aufklärung in der Bevölkerung über die Gefahren sexuali­sier­ter Gewalt mittels digitaler Medien „enorm verstärkt“ werden – am besten mithilfe einer bundesweiten Kampagne, betonte Rörig. Zur Strafverfolgung von Cyberkriminalität sei zudem eine bessere finanzielle Ausstattung der Polizei notwendig.

pb

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