Sexuelle Cyberattacken stärker in den Fokus rücken
Berlin – Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) fordert, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Cyberattacken wie „Mobbing“, „Grooming“ und „Sexting“ viel stärker in den Fokus zu nehmen. „In der aktuellen Diskussion um Cybersicherheit und Digitalisierung der Bildungslandschaft fehlt der Schutz von Heranwachsenden vor sexueller Gewalt aus dem Netz“, betonte Johannes-Wilhelm Rörig heute in Berlin. Zur Bestandsaufnahme hat er deshalb, zusammen mit der „Konzeptgruppe Internet“, einer interdisziplinären Arbeitsgruppe seines Beirats, eine Expertise in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse heute vorgestellt wurden.
Die Expertise von Arne Dekker, Thula Koops und Peer Briken vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) zeigt auf, wie sich sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verändert hat. „Die neuen Gefahren durch digitale Medien dürfen nicht bagatellisiert werden, andererseits darf die Mediennutzung junger Menschen nicht nur pessimistisch gesehen und mit Verboten belegt werden“, betonte Studienleiter Dekker. Ziel müsse es sein, ihnen eine sichere Nutzung digitaler Medien zu ermöglichen.
Die Ergebnisse der Expertise zusammengefasst:
Sexuelle Grenzverletzungen online:
Die ungewollte Konfrontation mit Pornografie nimmt mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen zu. Die Formen sexueller Annäherungen variieren stark. Besonders problematisch sind die Fälle, in denen unbekannte Erwachsene gezielt Kontakt mit Kindern aufnehmen und sie, etwa im Rahmen von Chats, mit sexuellem Bildmaterial konfrontieren. Hieraus können weitere sexuelle Grenzverletzungen erfolgen.
Vorbereitung von sexualisierter Gewalt offline:
Der Begriff „Grooming“ beschreibt die gezielte Vorbereitung von Straftaten gegen Kinder und Jugendliche mittels digitaler Medien, unter anderem durch die Identifikation und Manipulation potenzieller Opfer. Die Täter haben durch die allgegenwärtigen Smartphones eine sehr hohe Kontakthäufigkeit und direkten Zugriff auf ihre Opfer in allen Lebensbereichen. Das Internet eröffnet den Tätern zudem die Möglichkeit, sich zu vernetzen.
Grenzverletzungen mittels bildlicher und filmischer Darstellungen:
Die Daten sprechen für eine enorme Zunahme von kinderpornografischen Darstellungen im Internet. Während sich solche Dateien im World Wide Web durch Meldung an Beschwerdestellen oder Ermittlungsbehörden noch relativ zuverlässig löschen lassen, gelingt dies im Darknet oder in peer-to-peer-Netzwerken kaum. Für Betroffene bedeutet die laufende Verbreitung eine ständige belastende Reviktimisierung.
Problematisch ist zudem „Sexting“, also das Versenden von selbstaufgenommenen sexuell freizügigen Bildern und Filmen, das immerhin zwölf Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland betreiben. Werden solche Aufnahmen gegen deren Willen an Dritte weitergeleitet, kann dies zu erheblichem Leid für die Betroffenen führen.
„Gegenwärtig gibt es kaum Forschung zur Situation und den Bedarfen der Betroffenen. Das muss jetzt dringend geschehen, wir brauchen vor allem partizipative Forschungsansätze“, forderte Arne Dekker vom UKE.
Smartphone ist das „ultimative Tatmittel“
Alex Stern, Mitglied im Betroffenenrat beim UBSKM, forderte eine psychosoziale Hilfe, die sich mit Reviktimisierung auskennt. „Berater und Therapeuten übergehen oft die Rolle, die das extrem belastende Wissen um die Existenz der eigenen Bilder im Netz spielt.“
Auch Julia von Weiler von Innocence in Danger, einem Verein, der sich für den Kinderschutz einsetzt, kritisierte, dass psychosoziale Berater nur selten über die Besonderheiten von sexualisierter Gewalt in den digitalen Medien Bescheid wüssten. „Dabei ist das Smartphone das ultimative Tatmittel, das es den Tätern ermöglicht, in ständigem Kontakt mit ihren Opfern zu bleiben“, betonte sie. „Wir können uns jetzt nicht mehr wegducken.“
Der Missbrauchsbeauftrage Rörig forderte „ein dauerhaftes neues Engagement“, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Dazu gehöre, dass die Anbieter von sozialen Netzwerken wie Facebook, WhatsApp, Instagram und anderen verdächtige Inhalte melden und zwar an „eine noch einzurichtende Stelle“. Sie sollten zudem Informationen zu Beratungs- und Hilfsangeboten bereitstellen. „Die Anbieter sind jetzt in der Pflicht“, sagte er.
Darüber hinaus müsse die Aufklärung in der Bevölkerung über die Gefahren sexualisierter Gewalt mittels digitaler Medien „enorm verstärkt“ werden – am besten mithilfe einer bundesweiten Kampagne, betonte Rörig. Zur Strafverfolgung von Cyberkriminalität sei zudem eine bessere finanzielle Ausstattung der Polizei notwendig.
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