Vermischtes

Skelette von Leprafriedhof liefern historische Einblicke

  • Donnerstag, 23. Dezember 2021
Die Archäologen Karin Hayir und Laurin Stöckert legen auf dem ehemaligen Freiburger Leprafriedhof menschliche Überreste frei. Der Fund von rund 400 Skeletten auf einem früheren Leprafriedhof ist für die Wissenschaft von großer Bedeutung. Zudem lenkt er das Augenmerk auf eine in Deutschland zwar ausgerottete, in anderen Teilen der Welt aber weiter grassierende Krankheit./dpa, Philipp von Ditfurth
Die Archäologen Karin Hayir und Laurin Stöckert legen auf dem ehemaligen Freiburger Leprafriedhof menschliche Überreste frei. Der Fund von rund 400 Skeletten auf einem früheren Leprafriedhof ist für die Wissenschaft von großer Bedeutung. Zudem lenkt er das Augenmerk auf eine in Deutschland zwar ausgerottete, in anderen Teilen der Welt aber weiter grassierende Krankheit./dpa, Philipp von Ditfurth

Freiburg – Diese Baugrube ist eine besondere – das wird schon daran deutlich, dass mit Pinseln im Erd­reich gearbeitet wird. Wo mal die Zufahrt zu einer Tiefgarage entstehen soll, wurde kürzlich wieder ein Schädelknochen freigelegt.

Mehr als 400 Skelette haben sie an der Baustelle in Freiburg seit dem vergangenen Jahr zutage geför­dert. Das Gros der Toten: ehemalige Bewohner eines sogenannten Leprosen- oder Gutleuthaus. Das Ge­bäude, das Leprakranke beherbergte, wurde erstmals im Jahr 1251 erwähnt. 1632, während des Dreißig­jährigen Kriegs, brannte es ab.

Die Lepra ist eine der ältesten bekannten Infektionskrankheiten. Das Bakterium Mycobacterium leprae befällt nach Angaben der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe (DAHW) Haut und Nervensystem. Im Verlauf bilden sich Beulen und Knoten auf der Haut und auf Dauer Nervenschäden, Betroffene verlieren das Gefühl in Händen oder Füßen. Einen Impfstoff gibt es nicht, Lepra ist aber mit Hilfe von Antibiotika heilbar.

Während die Krankheit in Deutschland vor 300 Jahren verschwand, infizieren sich jedes Jahr weltweit Hunderttausende Menschen neu – vorwiegend in tropischen und subtropischen Ländern der Südhalb­kugel.

Dass in Freiburg ein Leprosenhaus stand, wusste man. Daher war auch der Knochenfund keine Über­raschung, wie Bertram Jenisch vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart sagt.

Doch nicht nur Lepra-Erkrankte wurden hier beerdigt. An manchen Knochen fanden die Experten Hin­weise auf die Geschlechtskrankheit Syphilis. Andere Tote identifizierten sie anhand von Knöpfen und Uniformresten als französische Soldaten, die 1744 während des österreichischen Erbfolgekriegs und der Belagerung Freiburgs gefallen sein müssen.

Der mittelalterliche Leprafriedhof in Freiburg gehört nach Angaben des Denkmalamts bundesweit zu den am besten untersuchten Grabstätten dieser Art. Auch seien die Skelette jetzt nach modernsten Stan­dards geborgen worden, sagt Jenisch. So wurden etwa Bodenproben um den Magenbereich genommen, die auf Reste von Darmbakterien untersucht werden können. „Da erhoffen wir uns Rückschlüsse auf Krankhei­ten.“ Er habe schon Anfragen von internationalen Forschungsprojekten bekommen.

Auch für die heutige Behandlung der Lepra seien archäologische Funde solcher Leprosenbestattungen indirekt wichtig, erklärt der Vorsitzende der Gesellschaft für Leprakunde, Ralf Klötzer. Man könne sehen, dass Leprakranke zum Teil mit schweren Symptomen überlebten und andere mit nur leichten Symp­tomen an anderen Ursachen starben.

Es gebe in Deutschland zwar viele Leprafriedhöfe. Nur bei den seltenen konservierenden Bodenver­hält­nissen unter Luftabschluss sei aber die archäologische Auswertung interessant, so Klötzer. Die wich­tigs­ten Aspekte der Geschichtsforschung sind aus seiner Sicht etwa die Erkennbarkeit von Lepra­symptomen an den Skeletten, das Lebensalter der Toten und Todesursachen anderer Bestatteter.

Die Knochen aus Freiburg kommen nach Jenischs Auskunft zunächst nach Konstanz. Eine Anthropologin wird sie dort reinigen, vermessen und analysieren. Bei einigen soll auch das genaue Alter datiert werden.

Im Landesamt kümmert man sich um die sonstigen Funde wie Sargnägel, Amulette und Überreste von Rosenkränzen. Diese Stücke werden gegebenenfalls in Museen zu sehen sein - anders als die mensch­lichen Überreste. „Das verbietet der pietätvolle Umgang“, sagt Jenisch. „Das sind keine Schaustücke, keine musealen Exponate.“

Schon die Grabungen hätten interessante Einblicke in den damaligen Glauben und Aberglauben ermög­licht, sagt der Experte. So sei zum Beispiel ein Geköpfter mit einem Stein zwischen Haupt und Hals bestattet worden – wohl damit der Körper nicht wieder zusammenwachse.

Nachdenklich gestimmt hätten ihn die Grabungen nicht zuletzt auch wegen der Coronapandemie, sagt der Experte. Leprosenhäuser lagen vor den Toren der Stadt. Wer dorthin musste, erhielt vorher noch die Sakramente. „Der galt rechtlich als Toter“, betont Jenisch. „Kein Vergleich, wenn man sich anschaut, wie heute mit Menschen umgegangen wird, die mit einer hoch ansteckenden Krankheit infiziert sind.“

dpa

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