Sorgen wegen zunehmender Aggressivität gegen medizinisches Personal
Essen/Magdeburg/Berlin – Immer wieder gibt es Meldungen von Übergriffen auf Ärzte und Klinikpersonal. Erst am vergangenen Freitag waren mindestens sechs Mitarbeiter des Elisabeth-Krankenhauses in Essen-Huttrop von Angehörigen eines Patienten angegriffen und verletzt worden, eine 23-Jährige schwer.
Ein 41 Jahre alter Tatverdächtiger sei festgenommen worden, teilte eine Sprecherin der Polizei mit. Die 23-Jährige wird demnach noch im Krankenhaus behandelt, befindet sich jedoch nicht in Lebensgefahr. Der 41-Jährige wurde laut Polizei noch am Abend wieder freigelassen.
Gegen ihn wurde Anzeige erstattet wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und wegen der Beschädigung von Krankenhausinventar. Geprüft werden den Angaben zufolge auch Verbindungen zur Clankriminalität.
Die Polizei sucht nach einem weiteren Krankenhausbesucher, der an der Auseinandersetzung beteiligt war und flüchtig ist. Zeugen sind aufgerufen, sich zu melden. Der Patient, der von den Beteiligten im Krankenhaus besucht wurde, starb inzwischen.
Auch der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) äußerte sich am Wochenende zu den Ereignissen. „Auch der Verlust eines nahen Angehörigen entschuldigt oder rechtfertigt nicht ein solches Verhalten oder gar einen Angriff auf Krankenhauspersonal und ein Krankenhaus. Ich verurteile das aufs Schärfste und habe für ein solch asoziales Verhalten überhaupt kein Verständnis“, sagte er. Staatsanwaltschaft und Gerichte seien nun gefordert, darauf eine klare Antwort zu geben.
Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, Michael Mertens, sagte: „Was in Essen geschehen ist, passt leider in die aktuelle Entwicklung. Es gibt eine Zunahme bei der Gewalt an Personen, die anderen Menschen helfen oder sie schützen. Dazu zählen Feuerwehrleute, Polizisten, Rettungsdienst und Krankenhausangestellte.“ Die Gewerkschaft fordert, die Sachverhalte in diesem Bereich schnell aufzuklären und hart zu bestrafen.
Zuletzt hatten sich Kassenärztliche Bundesvereinigung, Bundesärztekammer und weitere Ärzte und Kliniken wegen des Themas besorgt gezeigt. Am Wochenende sagte etwa Sachsen-Anhalts Ärztekammerpräsident Uwe Ebmeyer, er sehe eine zunehmende Aggressivität, die Ärzten und medizinischem Personal entgegenschlage.
Es gebe ein höheres aggressives Potenzial derzeit, das sei auch in den Praxen, in den Krankenhäusern und in den Notaufnahmen zu beobachten, erklärte Ebmeyer in Magdeburg. „Das ist etwas, was ich mit größter Sorge betrachte.“
Zahlen zu den Übergriffen gebe es nicht, sagte er. Die Ärztekammer Sachsen-Anhalt prüfe im Moment, ob man die Fälle erfassen könne. „Das sind, glaube ich, ganz wichtige Zahlen und die wollen wir auch wissen.“ Zudem gehe es um mögliche Unterstützung dort, wo sich Kolleginnen und Kollegen alleingelassen fühlten von anderen Beteiligten.
Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt, Jörg Böhme, sagte, im Bereitschaftsdienst sei ursprünglich jeder Arzt und jede Ärztin allein mit dem Auto unterwegs gewesen. Inzwischen werde jeder im ärztlichen Bereitschaftsdienst gefahren, um das Risiko von Übergriffen zu minimieren. „Wir hoffen, dass die Hemmschwelle, wenn zwei reinkommen zum Hausbesuch, eine andere ist.“
Beschäftigte von Krankenhäusern sind nach Angaben der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) immer häufiger von gewalttätigen Übergriffen betroffen. Laut einer im Auftrag des Interessenverbandes im April durchgeführten Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts gaben 73 Prozent der Krankenhäuser an, dass die Zahl der Übergriffe in den Häusern in den vergangenen fünf Jahren mäßig (53 Prozent) oder deutlich (20 Prozent) gestiegen ist. Nur vier Prozent verzeichneten weniger Gewalt.
Am stärksten betroffen ist demnach der Pflegedienst. Als eine der Hauptursachen für Gewalt nannten die Kliniken „einen allgemeinen Respektverlust“ gegenüber Krankenhauspersonal. Die Krankenhäuser versuchen der Umfrage zufolge den Übergriffen mit Deeskalationstrainings und baulichen Maßnahmen wie Zutrittsbeschränkungen und Videoüberwachung vorzubeugen. 28 Prozent der Kliniken setzen einen Sicherheitsdienst ein. Mehr als 90 Prozent der Krankenhäuser fordern angesichts der zunehmenden Gewalt eine Strafverschärfung.
„Die Gewalt gegen Helfer und damit auch in Krankenhäusern hat in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen. Sehr häufig ist der Grund, dass Patienten die Reihenfolge, wie Notfälle behandelt werden, nicht verstehen“, sagte DKG-Sprecher Joachim Odenbach. In der persönlichen Notsituation werde zunehmend Gewalt angewendet, bei Gruppen sei dies besonders häufig der Fall. „Gewalt scheint immer mehr ein Mittel der Auseinandersetzung zu werden.“ Gesellschaftliche Schieflagen dürften aber nicht auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgewälzt werden.
Eine Abfrage bei den Landeskriminalämtern zeigt: Die Zahl von Gewalttaten in deutschen Krankenhäusern steigt. Bundesweit ist die Zahl sogenannter Rohheitsdelikte in medizinischen Einrichtungen seit 2019 um etwa 18 Prozent auf mehr als 6.190 Taten im Jahr 2022 gestiegen. Unter Rohheitsdelikte fallen Straftaten wie Raub oder Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Im Jahr 2019 waren es noch etwa 5.245 Delikte im Umfeld einer medizinischen Einrichtung.
Die Zahlen gehen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik der Landeskriminalämter hervor. Die Länder Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sind bei den Daten nicht inbegriffen, da sie Tatorte erst seit 2020 gesondert in ihrer Statistik erfassen. Die Daten lassen allerdings nicht erkennen, von wem die Gewalt verübt wurde. So kann sowohl das Opfer als auch der Tatverdächtige aus dem Bereich des ärztlichen oder pflegerischen Personals stammen.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und das Deutsche Krankenhausinstitut gehen vor einer erheblichen Dunkelziffer aus. Gerade kleinere Übergriffe würden vielfach nicht angezeigt, hieß es.
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