Medizin

SPRINT-Studie: Niedrigere Blutdruckziele auch im hohen Alter sinnvoll

  • Freitag, 20. Mai 2016
Uploaded: 20.05.2016 19:17:59 by mis
dpa

Winston-Salem – Eine aggressive antihypertensive Therapie, die einen systolischen Blutdruck von unter 120 mm Hg anstrebt, kann auch bei Menschen über 75 Jahre Herz-Kreislauf-Erkrankungen verhindern helfen. Dies zeigt eine Subgruppen-Analyse der SPRINT-Studie, die jetzt im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2016; doi: 10.1001/jama.2016.7050) veröffentlicht wurde. Selbst für gebrechliche Patienten war ein Vorteil erkennbar. 

Bei den meisten Menschen steigt mit dem Alter der Blutdruck an. Lange Zeit wurde dies als eine mehr oder weniger natürliche Entwicklung betrachtet, die nicht unbedingt eine Therapie erforderlich macht. Es bestand auch die Befürchtung, dass eine pharmakologische Intervention zu Elektrolytstörugen führen könnte, der niedrige Blutdruck die Nierenfunktion schädigen oder die älteren Menschen durch Stürze gefährden könnte.

Die Behandlungsleitlinien, die bei jüngeren Menschen einen systolischen Blutdruck von unter 120 mm Hg empfehlen, waren deshalb für ältere Patienten zurückhaltend. Die europäischen Leitlinien (ESH/ESC) raten bei Menschen über 80 Jahre erst ab einem Wert von 160 mm Hg zur Behandlung. Die US-Leitlinien (JNC8) betrachten im Alter über 60 Jahre einen Zielwert von 150 mm Hg für ausreichend (auch wenn einige Experten in einem Minority Report auf einem Zielwert von 140 mm Hg beharrten). Ein Grund für die Zurückhaltung waren die 2010 veröffentlichten Ergebnisse der ACCORD-Studie, die für Typ 2-Diabetiker keinen Nutzen einer aggressiven Blutdrucksenkung auf unter 120 mm Hg hatten zeigen können (NEJM 2010; 362: 1575-85). 

Vor diesem Hintergrund haben die im letzten Jahr publizierten Ergebnisse des „Systolic Blood Pressure Intervention Trial“ (SPRINT) viele Experten überrascht. Die Studie war in einem ähnlichen Ansatz wie die ACCORD-Studie (dieses Mal aber ohne Teilnahme von Typ 2-Diabetikern) zu dem Ergebnis gekommen, dass die Senkung des Blutdruckziels von 140 auf 120 mm Hg die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse um 25 Prozent und die Gesamtsterblichkeit um 26 Prozent senkt. Bereits in der Originalpublikation war erkennbar, dass der Nutzen bei den über 75-jährigen Patienten eher noch größer war als bei den jüngeren Patienten (NEJM 2015; 373: 2103-16). Genauere Details liefert jetzt eine vor Studienbeginn geplante Subgruppen-Analyse. Sie umfasst 2.636 Teilnehmer, die zu Beginn der Studie bereits 75  Jahre oder älter waren.

Wie Jeff Williamson vom Wake Forest Baptist Medical Center in Winston-Salem und Mitarbeiter berichten, trat der primäre Endpunkt der Studie – ein Composite aus Koronarsyndrom/Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Herz-Kreislauftod – unter der intensiven Therapie bei 102 Patienten auf gegenüber 148 Patienten unter der Standardtherapie. Die Hazard Ratio betrug 0,66 und war mit einem 95-Prozent-Konfidenzintervall von 0,51 bis 0,85 signifikant.

Auch die Zahl der Todesfälle (73 versus 107 Ereignisse) war signifikant niedriger: Hazard Ratio 0,67 (0,49-0,91). Laut Williamson wurde durch die Intensivierung der Blutdruckkontrolle im Verlauf von 3,14 Jahren (der Laufzeit der vorzeitig abgebrochenen Studie) bei einem von 27 Teilnehmern ein Herz-Kreislauf-Ereignis und bei einem von 41 Teilnehmern ein Tod verhindert. Diese Number Needed to Treat liegt in einem Bereich, in dem eine Therapie klinisch relevant ist und angesichts der Häufigkeit der arteriellen Hypertonie einen deutlichen Einfluss auf die Gesundheit der Bevölkerung hat.

In einer Post-Hoc-Analyse haben die Forscher untersucht, ob sich eine Gebrechlichkeit auf die Ergebnisse auswirkt. Dies war nicht der Fall. Die Vorteile einer intensiven Blutdruck-Senkung waren bei Patienten mit der größten körperlichen Fitness (weniger als 0,10 in einem 37-Punkte „Frailty Index“, FI) zwar am besten. Die Autoren ermittelten hier eine Hazard Ratio von 0,47 (0,13-1,39), was einer Reduktion des primären Endpunkts um mehr als die Hälfte entspricht. Doch auch bei einem FI von 0,10 bis 0,21 war mit einer Hazard Ratio von 0,63 (0,43-0,91) ein Nutzen erkennbar. Selbst bei Patienten mit dem höchsten Frailty Index senkte die intensivierte Blutdrucksenkung tendenziell die Zahl der kardiovaskulären Ereignisse (Hazard Ratio 0,68; 0,45-1,01). Gebrechlichkeit allein ist demnach kein Grund, die Blutdruckziele im höheren Alter zurückzunehmen.

Die Intensivierung der Blutdruckkontrolle ging allerdings mit einer Zunahme von Komplikationen einher. Die Häufigkeit von schweren Blutdruckabfällen betrug 2,4 Prozent gegenüber 1,4 Prozent unter der normalen Blutdrucksenkung (Hazard Ratio 1,71; 0,97-3,09). Synkopen traten bei 3,0 Prozent gegenüber 2,4 Prozent auf (Hazard Ratio 1,23; 0,76-2,00). Elektrolytstörungen wurden bei 4,0 Prozent gegenüber 2,7 Prozent festgestellt (Hazard Ratio 1,51; 0,99-2,33). Eine akute Nierenschädigung wurde bei 5,5 Prozent gegenüber 4,0 Prozent diagnostiziert (Hazard Ratio 1,41; 0,98-2,04). Allein schwere Stürze waren unter der intensivierten Therapie mit 4,9 Prozent gegenüber 5,5 Prozent nicht häufiger (Hazard Ratio 0,91; 0,65-1,29).

Diese Zahlen zeigen, dass die intensivierte Therapie nicht ohne Risiken ist. Zu bedenken ist auch, dass die Patienten in der Studie intensiv betreut wurden. Wenn Komplikationen im klinischen Alltag nicht rechtzeitig erkannt werden, kann sich leicht die Nutzen-Risiko-Balance umkehren. Wichtig ist auch die Beachtung der Ausschluss­kriterien. Zu ihnen gehörte in der SPRINT-Studie neben einem Diabetes auch ein Schlaganfall oder Herzversagen in der Vorgeschichte sowie ein Blutdruckabfall auf unser 110 mm Hg nach dem Aufstehen.

Der Editorialist Aram Chobanian von der Boston University School of Medicine rät Ärzten deshalb bei Patienten über 75 Jahre zu einer schrittweisen Senkung des Blutdrucks. Zunächst sollte ein Zielwert von 140 mm Hg angestrebt werden. Wenn die Absenkung vom Patienten vertragen werde, könne eine weitere Absenkung auf unter 130 mm Hg erwogen werden. In der Studie wurde die Intensivierung im Durchschnitt mit einem zusätzlichen Wirkstoff erreicht. Die Dosistitration und das Monitoring machten jedoch in der Regel mehrere zusätzliche Arztbesuche notwendig.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung