Politik

Sterbebegleitung: Wunsch ist selten Wirklichkeit

  • Mittwoch, 19. Oktober 2016
Uploaded: 19.07.2012 14:00:47 by mis
/dpa

Berlin – Die meisten Menschen in Deutschland wollen in ihrer gewohnten Umgebung ster­ben. Doch nach Daten aus dem Pflegereport 2016 der DAK Gesundheit ist dieser Wunsch selten umsetzbar: Zwei von drei Deutschen verbringen die letzten Stunden ihres Lebens nicht dort, wo sie es sich wünschen. Denn nur sechs Prozent der Menschen wollen in einem Krankenhaus oder Pflegeheim sterben, in der Realität jedoch sterben drei Viertel aller Menschen dort. Das geht aus dem Report hervor, den die DAK Gesund­heit heute in Berlin vorgestellt hat.

Die Analyse des AGP Instituts Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg ergab, dass 76 Prozent der Menschen, die bereits die Erfahrung der Pflege von Angehö­ri­gen haben, zu Hause sterben wollen. Dabei spielt für sie die gewohnte Umgebung mit 73 Prozent die größte Rolle. Auch gebe es in den eigenen vier Wänden mehr Würde, sagten 58 Prozent. Und 88 Prozent derer, die bereits einmal einen Sterben­den zu Hause betreut haben, stimmten der Aussage zu, „die gewohnte Um­gebung macht für Sterbende die Situation leichter.“

„Diese Ergebnisse lassen eine ausgeprägte Skepsis gegenüber der palliativen Versor­gung in Kliniken und Heimen erkennen“, erklärte Herbert Rebscher, Vorstandsvor­sitzen­der der DAK-Gesundheit. Auch Thomas Klie von der Evangelischen Hochschule, der die Studie für die DAK geleitet hat, ist von diesen Ergebnissen überrascht: „Dass Menschen trotz Erfahrung bei der Begleitung von Angehörigen und mit Pflegeheimen dennoch dort nicht sterben wollen, hätten wir so nicht erwartet“, sagte er vor Journalisten in Berlin. Aus seiner Sicht müssten die Kenntnisse der Arbeit von Hospizen noch weiter in der Bevölke­rung verbreitet werden. Seiner Analyse zufolge seien in Hospizen vor allem Menschen mit hohem Bildungsgrad und Einkommen, andere soziale Schichten wüssten oft nichts über die Möglichkeiten in einem Hospiz.

In der Pflege trauen sich viele Angehörige einiges zu: Mehr als jeder Dritte würde sich zu­trauen, jemanden bis in den Tod zu pflegen. Besonders stark sei dies bei Frauen aus­ge­prägt, 41 Prozent der befragten Frauen gab dies an. Oftmals sei diese Zusage aber von der Berufstätigkeit und der weiteren Unterstützung von Professionellen und Ehren­amt­lichen abhängig. „Der Report zeigt eine große Bereitschaft, die Pflege auch bis zum Tod zu übernehmen. Doch dafür bedarf es verlässliche Strukturen vor Ort“, erklärte Pfle­ge­experte Klie.

Der Report stellt auch dar, dass die Zahl der Menschen, die in Kliniken, Heimen und Hos­pizen versterben, in den vergangenen 20 Jahren deutlich zugenommen hat. Dabei ist die Zahl der Todesfälle zu Hause von 55 auf 32 Prozent gesunken, die Zahl der Todesfälle in Alten- oder Pflegeheimen von sechs auf 22 Prozent gestiegen. Auch in Hospizen ver­ster­ben inzwischen elf Prozent – vor 20 Jahren war es ein Prozent.

Dabei stirbt jeder Fünfte im Krankenhaus allein, jeder Dritte hat im Pflegeheim keinen Menschen um sich. Beim Sterben zu Hause sind es laut Studie nur sieben Prozent der Menschen, die zum Todeszeitpunkt keinen Angehörigen bei sich hatten.

Auch finanziell sei es für die Krankenkassen besser, wenn Sterbende zu Hause betreut werden: So kostet ein Klinikaufenthalt im letzten Quartal des Lebens im Schnitt bis zu 9.000 Euro, das Sterben daheim im Schnitt 1.150 Euro. „Das sind gesundheitsökono­mische Aspekte, die auch zu berücksichtigen sind“, so Klie. Aus seiner Sicht sind viele Krankenhausaufenthalte im letzten Lebensabschnitt durch eine verlässliche hausärzt­liche Begleitung sowie eine bessere fachliche Unterstützung pflegender Angehöriger vermeidbar.

Auch im Sinne der sterbenden Menschen sollten Krankenhausaufenthalte „konsequent vermieden werden“, heißt es in den Handlungsempfehlungen. Außerdem fordert Klie, dass die Vergütung der Ärzte in der ambulanten palliativen Versorgung verbessert werden muss.

Für diesen Pflegereport hat das AGP Institut Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Freiburg Daten aus einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung, DAK-Ver­sorgungszahlen sowie qualitative Interviews mit Menschen geführt, die ster­bende Angehörige begleitet haben.

bee

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