Streit um Qualitätsvorgaben an generalistische Pflegeausbildung

Berlin – Die generalistische Pflegeausbildung sorgt nach wie vor für unterschiedliche Ansichten in Bezug auf Qualitätsanforderungen von Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Der G-BA hat erneut Klage beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) gegen die Beanstandung einer Richtlinie durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) eingereicht, setzt aber auf eine außergerichtlichen Lösung.
Ministerium und G-BA seien derzeit dazu in Gesprächen, sagte G-BA-Chef Josef Hecken in der vergangenen Plenumssitzung. Weil die Klagefrist abgelaufen wäre, habe man die Klage vorsorglich und fristwahrend „mit einem sehr liebreizenden Brief“ eingereicht. „Wenn wir den Streitgegenstand offen halten wollen, muss man das hier auch in aller Freundschaft beklagen“, sagte Hecken.
Man hoffe, „nach wie vor durch einen Austausch mit der Rechtsaufsicht doch noch außergerichtlich eine für alle Seiten tragfähige und im Sinne der Patientinnen und Patienten gute Lösung zu finden“, erklärte eine Sprecherin des G-BA auf Anfrage dem Deutschen Ärzteblatt.
Hintergrund des Streits sind Grundsatzfragen der Qualitätssicherung. Der G-BA schreibt in seinen Richtlinien sowohl für Ärzte als auch Pflegekräfte die aus Sicht des Gremiums notwendigen Anforderungen für spezielle Leistungen fest.
Durch die Abschaffung der verschiedenen Pflegeausbildungsgänge, unter anderem der Kinderkrankenpflege, stellt sich nun für den G-BA die Frage, ob die generalistische Pflege und Vertiefungen auf einzelne Gebiete innerhalb der neuen Ausbilung allein ausreichend sind, um gewisse Qualitätsstandards weiterhin erfüllen zu können.
Konkreter Ausgangspunkt ist in den Streitfällen die Frage, ob ein Einsatz der neuen Abschlüsse als Pflegefachfrau bzw. -mann mit Vertiefungseinsatz „pädiatrische Versorgung“ insbesondere in den Bereichen der Kinderonkologie, der Kinderkardiologie sowie der Neonatologie (Perinatalzentrum Level 1 und 2) künftig möglich ist.
Der G- BA hatte 2020 in seinem Zuständigkeitsbereich Regelungen zur Qualifikation des Pflegepersonals in der Richtlinie zur Kinderherzchirurgie (KiHe-RL), der Richtlinie zur Kinderonkologie (KiOn-RL) sowie der Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene (QFR-RL) getroffen, die über die allgemeinen Ausbildungspläne hinausgeht.
Nach Ansicht der Mehrheit im G-BA – Krankenkassen und unparteiische Mitglieder – reicht in Bezug auf diese Richtlinien – der „Vertiefungseinsatz Pädiatrische Versorgung“ für eine hochspezialisierte Intensivversorgung nicht aus.
„Es besteht vielmehr die Sorge, dass es ohne zusätzliche Vorgaben an die Qualifikation von generalistisch ausgebildeten Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern zu Lücken in bestimmten, sehr anspruchsvollen Bereichen der Patientenversorgung kommt“, betonte die G-BA-Sprecherin.
Mittlerweile ist ein strittiger Bereich der stationären Versorgung hinzugekommen, bei dem Arzneimittel für neuartige Therapien eingesetzt werden. Im neuesten Streitfall geht es um die Richtlinie zu Anforderungen an die Qualität der Anwendung von Arzneimitteln für neuartige Therapien (ATMPQS-RL), speziell um „CAR-T-Zellen bei B-Zell-Neoplasien“ und Anlage II „Onasemnogen-Abeparvovec bei spinaler Muskelatrophie“.
Das Ministerium hatte jüngst auch in diesem Fall die Nachweisanforderung des G-BA für die praktische Ausbildung sowie von Kompetenzen beanstandet. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Deutsche Pflegerat (DPR) teilen die Sicht des BMG. Die DKG sieht eine Überregulierung und Konterkarierung des neuen Ausbildungsgangs.
Vom Pflegerat hieß es kürzlich per Mitteilung, das Pflegeberufegesetz werde durch den G-BA „wiederholt ausgehebelt“. Der G-BA greife „unzulässig in die Berufsausübungsfreiheit von Pflegefachfrauen und -männern ein“, so der DPR. Die Pflegefachfrauen und -männer würden gegenüber Gesundheits- und Kinderkrankenpflegekräften „ungerechtfertigt benachteiligt“. Der G-BA unterlaufe „die Gesetzgebungskompetenz des Bundes“.
Nach Angaben des G-BA befinden sich die Regelungen zum Pflegepersonal nach der Teilbeanstandung der Rechtsaufsicht im Hinblick auf die Umsetzung des Pflegeberufegesetzes aktuell in der Überarbeitung. Dabei gehe es aber weiterhin „ganz zentral“ um die Frage, wie der neue Berufsabschluss der Pflegefachfrauen bzw. -männer mit Vertiefungseinsatz „pädiatrische Versorgung“ einbezogen werden kann.
Ein konkreter Zeitpunkt für den Abschluss der Beratungen ist noch nicht absehbar. Ob und wann sich am Ende das Landessozialgericht mit den Klagen befassen wird, ist offen. Noch bleibt aber Zeit für eine Einigung. Hecken hatte darauf hingewiesen, dass die Debatte derzeit noch keine Auswirkungen auf die Praxis hat. Die generalistische Pflegeausbildung habe erst vor Eindreivierteljahren begonnen. Man diskutiere daher „über den theoretisch möglichen Einsatz von Personal, das noch gar nicht da ist“.
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