Studie belegt Nutzen einer OP bei pharmakoresistenter Epilepsie
Berlin/Erlangen – Epilepsiepatienten, die mit Medikamenten nicht anfallsfrei werden, können von einem operativen Eingriff profitieren. Das berichtet eine internationale Arbeitsgruppe auf der Basis der Daten von knapp 10.000 Patienten im New England Journal of Medicine (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1703784). Die Daten stammen aus der European Epilepsy Brain Bank (EEBB). Seit 2006 werden dort die Informationen von operierten Patienten aus 36 Epilepsiezentren in 12 Ländern zentral erfasst, die Krankengeschichten erstrecken sich über ein Vierteljahrhundert.
Danach werden rund 6 von 10 Patienten nach einem operativen Eingriff anfallsfrei. Voraussetzung ist, dass die Hirnregion, von der die Anfälle ausgehen, sicher identifiziert und komplett entfernt wird. Durchschnittlich erhalten die Patienten aber 16 Jahre eine medikamentöse Epilepsietherapie, bevor sie operiert werden.
Umdenken nötig
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE) und die Deutsche Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie (DGNN) fordern angesichts dieser Zahlen ein Umdenken bei der Behandlung von Epilepsien. „Man sollte Patienten, die eine hohe Heilungschance haben, so früh wie möglich identifizieren und operieren“, sagte Jörg Wellmer, Leiter der Ruhr-Epileptologie an der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Knappschaftskrankenhaus Bochum und Vorsitzender der Kommission Bildgebung der DGfE.
In Deutschland leben laut DGN mehr als 600.000 Patienten mit Epilepsien. Sie äußert sich in Gefühlsstörungen oder Zuckungen eines Arms oder Beins ohne Einschränkung des Bewusstseins über Anfälle mit Bewusstseinstrübung und nicht steuerbaren Handlungen bis hin zu Verkrampfungen und Zuckungen des ganzen Körpers. Mit Medikamenten gelingt es, etwas mehr als die Hälfte der Betroffenen von ihren Anfällen zu befreien, bei den übrigen wirken die Antiepileptika nicht ausreichend, diese Patienten sind pharmakoresistent.
Wellmer weist darauf hin, dass drei Viertel aller Epilepsien bereits im Kindesalter beginnen. „Für diese Kinder geht viel berufliche und soziale Perspektive verloren, wenn eine Operation erst als letzte Behandlungsoption nach dem Scheitern jeder Arzneimitteltherapie betrachtet wird“, so der Epilepsie-Experte.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Operation ist, dass sich der Ursprung der Anfälle mittels EEG, Kernspintomographie (MRT) und anderen Verfahren auf eine spezifische Hirnregion zurückführen lässt. Dann bestehen laut der Studie gute Chancen, die Krankheit durch die Entfernung des betroffenen Gewebes zu heilen. Nach Schätzungen der Fachgesellschaften kommen dafür mehrere Zehntausend Patienten in Deutschland infrage.
„Allerdings zögern viele Ärzte und Patienten, weil sie einen hirnchirurgischen Eingriff nur als letzten Ausweg betrachten“, erklärte Holger Lerche, Co-Autor der Studie, Vorstand am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie der Universität Tübingen.
Die Auswertung der EU-finanzierten Datenbank zeigt, dass 75,9 Prozent aller Patienten ihren ersten Anfall vor dem 18. Lebensjahr erlitten. 72,5 Prozent wurden im Erwachsenenalter operiert, nur 27,5 Prozent bereits als Kinder. Nach dem Eingriff waren 65 Prozent aller operierten Kinder und 58 Prozent der Erwachsenen von ihren Anfällen befreit. „Das belegt, welchen wichtigen Beitrag die Operation zur Behandlung dieses EU-weit relevanten Krankheitsbilds leisten kann“, betonte Peter Vajkoczy, Direktor der neurochirurgischen Klinik der Charité, Berlin.
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