Medizin

Studie identifiziert Prionen als Ursache der Multisystematrophie

  • Dienstag, 1. September 2015

San Francisco - Dem US-Hirnforscher Stanley Prusiner ist es gelungen, die Multi­systematrophie, eine mit dem Parkinson-Syndrom verwandte Erkrankung, durch Injektion von Hirngewebe von Verstorbenen auf ein Mäusemodell der Prionenerkrankung zu übertragen. Der Forscher, der 1997 für sein Erklärungsmodell der Prionen den Nobelpreis bekam, hält eine Variante des Proteins alpha-Synuclein für den Auslöser der Erkrankung. Übertragungsversuche mit dem Gewebe von Parkinson-Patienten, die ebenfalls zu den Synucleinopathien gezählt wird, scheiterten laut dem Bericht in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNSA 2015; doi: 10.1073/pnas.1514475112).

Vor fast 50 Jahren hatten US-Forscher erstmals eine degenerative Hirnerkrankung durch Injektion von Hirngewebe auf Tiere übertragen: Schimpansen erkrankten nach der Inokulation von Hirngewebe von an Kuru erkrankten Mitgliedern eines Volkes aus Papua-Neuguinea, die zu rituellen Zwecken die Gehirne ihrer getöteten Feinde verzehrten. Die Erklärung lieferte Stanley Prusiner im Jahr 1982: Er postulierte, dass infektiöse Proteine, sogenannte Prione, im Gehirn eine Kettenreaktion auslösen. Die Prione zwingen dabei den gesunden Eiweißen ihre pathologische Struktur auf. Am Ende kommt es zu Eiweiß­ablagerungen. Später gelang es, die Creutzfeldt–Jakob Krankheit (CJD), das Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom und die letale familiäre Insomnie auf Primaten oder transgene Mäuse zu übertragen.

Jetzt konnte Prusiner die Liste der seltenen Erkrankungen um die Multisystematrophie (MSA) erweitern. Die MSA wurde erstmals im Jahre 1960 beschrieben. Sie ist mit 3 Neuerkrankungen auf 100.000 Personen im Alter über 50 Jahren häufiger als die CJD. Zum Krankheitsbild gehören neben Bewegungs- und Gleichgewichtsstörungen auch Störungen im autonomen Nervensystem, etwa eine orthostatische Hypotonie oder eine Harninkontinenz. Die MSA wird im Anfangsstadium häufig mit dem Parkinson-Syndrom verwechselt, spricht anders als dieses jedoch nicht auf L-Dopa oder eine tiefe Hirnstimulation an.

Bei beiden Erkrankungen kommt es zu Ablagerungen von alpha-Synuclein. Beide Erkrankungen treten sporadisch und familiär gehäuft auf und beide werden mit Mutationen in alpha-Synuclein in Verbindung gebracht. Prusiner vertritt schon seit längerem die Ansicht, dass MSA oder auch der Morbus Parkinson zu den Prionen-Erkrankungen gehören. Für den MSA konnte er dies jetzt durch ein Tiermodell zeigen. Bereits vor zwei Jahren war es seinem Team eher zufällig gelungen, die Erkrankung von zwei Patienten auf Mäuse zu übertragen. In der jetzt vorgestellten Publikation konnte Prusiner die Ergebnisse mit dem Hirngewebe von 14 Patienten wiederholen, die an einer MSA gestorben waren. Das Gewebe stammte von Biobanken aus drei Kontinenten: dem Massachusetts Alzheimer Research Center in Boston, der Parkinson-UK Hirnbank am Imperial College London, und der Sydney Hirnbank in Australien.

Die Forscher injizierten Hirngewebe der Patienten in das Gehirn von Mäusen, bei denen das Gen für das Protein Alpha-Synuclein mutiert ist. Homozygote Tiere erkranken immer an einer degenerativen Hirnerkrankung. Heterozygote Tiere bleiben gesund. Nach der Inokulation mit dem Hirngewebe der MSA-Patienten erkrankten auch die heterozygoten Tiere innerhalb von 120 Tagen. Bei diesen Tieren fanden die Forscher Ablagerungen von Alpha-Synuclein in den Nervenzellkörpern und den Axonen. Die Erkrankung konnte von diesen Tieren auf weitere Tiere übertragen werden. Später gelang die Übertragung auch mit Zellkulturen, die Prusiners Kollegin Amanda Woerman entwickelt hat (PNAS 2015; doi: 10.1073/pnas.1513426112).

Prusiner versuchte, auf gleiche Weise die Lewy-Körper-Demenz und den Morbus Parkinson zu übertragen. Alle sechs Versuche schlugen jedoch fehl. Prusiner vermutet, dass eine andere Variante des Alpha-Synuclein für den Morbus Parkinson verantwortlich ist, für den es noch kein geeignetes Tiermodell gebe.

Damit fehlt es weiterhin an Beweisen für die Prion-Genese häufiger Hirnerkrankungen. Prusiner rät den Neurochirurgen und interventionellen Neurologen dennoch zur Vorsicht. Standardmethoden zur Desinfektion, die Mikroben abtöten, würden Prione nicht beseitigen. Die Prione könnten durch medizinische Eingriffe übertragen werden. Die Wiederverwendung von Geräten zur Implantation von Hirnschrittmachern beispielsweise stelle ein Infektionsrisiko dar. Auch für die Hirnchirurgie sieht er die Gefahr einer Ausbreitung von Prionen.

rme

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