Studie: Mit indigenen Sprachen bricht auch Heilwissen weg

Zürich – Mit dem Aussterben indigener Sprachen gehen laut einer neuen Studie auch wertvolle medizinische Kenntnisse verloren. Die Autoren einer heute vorgestellten Untersuchung der Universität Zürich (PNAS 2021; DOI: 10.1073/PNAS2103683118) schätzen, dass weltweit 75 Prozent der Anwendungen jeweils in nur einer Sprache bekannt sind. Urvölker geben ihr Wissen über Heilpflanzen mündlich weiter.
Auch Heilpflanzen werden in indigenen Sprachen benannt und als natürliche Apotheke nutzbar gemacht. Das Wissen, welche Pflanzen helfen und welche töten können, wird so von Generation zu Generation weitergegeben.
Laut der Studie werden heute weltweit fast 7.400 Sprachen gesprochen. Die meisten davon seien aber nicht schriftlich festgehalten, und viele würden auch kaum mehr an die nächste Generation weitergegeben. Das führe gemäß Schätzungen von Linguisten dazu, dass 30 Prozent aller Sprachen bis zum Ende des Jahrhunderts verschwinden werden.
In einer neuen Studie analysierten Rodrigo Camara-Leret und Jordi Bascompte, Professor für Ökologie in Zürich, wie indigene Heilpflanzenkenntnisse mit den jeweiligen Muttersprachen verknüpft sind. Sie erforschten dazu die indigenen Sprachen Nordamerikas, aus dem nordwestlichen Amazonasgebiet und in Neuguinea. Sie untersuchten rund 3.600 Heilpflanzenarten und deren 12.500 Anwendungen in Verbindung mit 236 indigenen Sprachen.
„Wir fanden heraus, dass über 75 Prozent der Verwendungszwecke von Arzneipflanzen jeweils nur in einem indigenen Volk – und daher nur in einer Sprache – bekannt sind“, so Camara-Leret. In Nordamerika und Amazonien würdenmehr als 86 Prozent des Wissens über Heilmittel jeweils nur in einer bedrohten indigenen Sprache vermittelt; in Neuguinea seien es 31 Prozent. Dabei galten weniger als 5 Prozent der Heilpflanzenarten als unmittelbar bedroht.
Die Studie belegt laut den Autoren die Bedeutung der für die nächsten zwei Jahre ausgerufene „Internationale Dekade der indigenen Sprachen“. Die Vereinten Nationen wollen damit weltweites Bewusstsein für die kritische Situation vieler indigener Sprachen schaffen. Entscheidend wären, so die Forscher, groß angelegte, partizipative Projekte, um gefährdetes medizinisches Wissen zu dokumentieren, bevor es zu spät ist.
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