Medizin

Studie: Transgender keine psychiatrische Diagnose

  • Donnerstag, 28. Juli 2016

Mexico-Stadt – Transgender leiden weniger daran, dass sie sich nicht mit ihrem ursprünglichen biologischen Geschlecht identifizieren, als unter der sozialen Ausgrenzung und der Gewalttätigkeit ihrer Mitmenschen. Dies geht aus einer Feldstudie in Lancet Psychiatry (2016; doi: 10.1016/S2215-0366(16)30165-1) hervor, deren Autoren sich dafür aussprechen, die Geschlechtsidentitätsstörung („Gender Identity Disorder“) aus der geplanten Neufassung der International Classification of Diseases (ICD) zu streichen.

Der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechtes zu leben und anerkannt zu werden, wird von der derzeit geltenden ICD-10, mit dem die Weltgesundheits­organisation körperliche und geistige Krankheiten klassifiziert, als Persönlichkeits- und Verhaltensstörung betrachtet. Die meisten Transgender wehren sich dagegen. Ihre psychischen Probleme sehen sie nicht als Ausdruck einer „Geschlechts­identitäts­störung“, sondern eher als Folge einer sozialen Ächtung.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Geoffrey Reed von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. Der Psychologe hat 250 Transgender in Mexico-Stadt interviewt. Die meisten waren als Mann geboren und hatten frühzeitig (im Alter von durchschnittlich 5,6 Jahren) bemerkt, dass sie nicht das gewünschte Geschlecht hatten. Drei von vier hatten inzwischen Schritte unternommen, ihr Geschlecht auch äußerlich zu verändern. Den ersten Schritt dazu hatten sie im Durchschnittsalter von 25 Jahren getan.

Die meisten gaben an, während ihrer Pubertät unter psychischen Problemen gelitten zu haben, die sie auf einer Skala von 0 bis 100 im Durchschnitt mit 79,9 bewerteten. Die Probleme resultierten jedoch beileibe nicht aus der Erkenntnis, dass sie das falsche Geschlecht haben. Am meisten litten die Transgender unter der Ablehnung, die sie in Familie, sozialem Umfeld oder in der Schule und am Arbeitsplatz erlebten. Ohne diese Ausgrenzung und die Gewalt, der sich die Transgender im Verlauf des Lebens immer wieder ausgesetzt sehen, wären die meisten frei von psychischen Störungen, meint Reed, der sich deshalb dafür ausspricht, die Transgender ganz aus der anstehenden ICD-11-Klassifikation zu streichen.

Das Thema ist nach einem Bericht der New York Times auch in der Gemeinde der Transgender umstritten. Die Klassifikation als Gender Identity Disorder in der ICD hat nicht nur Nachteile. In einigen Ländern sorgt sie dafür, dass die Betroffenen bei den kostspieligen Behandlungen zur Geschlechtsanpassung auf finanzielle Unterstützung durch die Krankenkassen hoffen können. Dies würde vielfach entfallen, wenn der Wunsch, ein anderes Geschlecht zu haben, zu einer reinen Privatangelegenheit wird.

rme

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