Vermischtes

Suchthilfe setzt sich für neue Drogenstrategie und Beibehaltung der Cannabislegalisierung ein

  • Dienstag, 8. April 2025
/picture alliance, epd-bild, Peter Jülich
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Berlin – Eine neue Sucht- und Drogenstrategie der Bundesregierung, mit der die Suchtberatung und -behandlung ausgebaut und nicht weiter gekürzt werden, mahnten heute der Paritätische Gesamtverband und der Fachverband Drogen- und Suchthilfe (fdr) in Berlin an.

Auch müsse das Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen unbedingt erhalten bleiben. Die Suchtexperten sprachen sich auch explizit gegen die Rückabwicklung der Teillegalisierung von Konsumcannabis aus.

„Jede zehnte Person in Deutschland hat ein Suchtproblem. Sucht und der Konsum von legalen und illegalen Drogen belasten die Volkswirtschaft mit 150 bis 200 Milliarden Euro im Jahr“, berichtete Eva Egartner vom fdr.

Gleichzeitig seien viele Angebote der ambulanten Suchthilfe finanziell nicht mehr gesichert. Mehr Geld für das Hilfesystem und für die Prävention von Suchterkrankungen seien unbedingt erforderlich ebenso wie eine moderne Drogenpolitik.

Egartner verwies dabei auch auf den Aufruf von 350 Fachleuten aus der Suchthilfe, Wissenschaft und Wohlfahrtsverbänden, die eben das von der kommenden Bundesregierung fordern.

„Wir blicken mit Sorge auf die Ergebnisse der Arbeitsgruppen für den Koalitionsvertrag der kommenden Bundesregierung“, betonte Cristina Rummel, Geschäftsführerin der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS).

Die Suchthilfe sei massiv bedroht von Kürzungen, der Umfrage zufolge könnten drei Viertel der Beratungsstellen ihre Angebote nicht mehr aufrechterhalten. Die Suchthilfe kümmere sich nicht nur um von Sucht betroffene Menschen, sondern auch um die Angehörigen.

„Wenn die Hilfen wegbrechen, zahlt die Gesellschaft die Zeche“, sagte Rummel. Jeder Euro, der in die Suchthilfe investiert werde, lohne sich um den Faktor 17. Unverständlich ist Rummel zufolge beispielsweise ein Diskussionspunkt im Rahmen der Verhältnisprävention: Die SPD fordere ein Werbeverbot für Suchtmittel für unter 18-Jährige, die CDU/CSU lehne dies ab.

Gabriele Sauermann vom Paritätischen Gesamtverband wies auf die Bedeutung einer oder eines Bundesdrogenbeauftragten hin. Dieses Amt gibt es seit 1992. In der Arbeitsgruppe Bürokratieabbau zum neuen Koalitionsvertrag heiße es, diese Stelle habe „keinen erkennbaren Nutzen“.

„Gäbe es keinen Bundesdrogenbeauftragten würde Suchtpolitik keine Rolle mehr spielen. Das Thema ist extrem aufgesplittert verankert in verschiedenen Bundesministerien. Wir brauchen einen Resonanzverstärker in die Ministerien“, sagte Sauermann.

Das Amt des Drogenbeauftragten sollte zudem aufgewertet und von einem zivilgesellschaftlich besetzten Sucht- und Drogenrat beraten werden. Ein nationaler Koordinierungsrat unter der Leitung des Drogenbeauftragten sollte den Aufbau suchtpolitischer Strukturen auf Bundes- und auf Länderebene vorantreiben, forderte die Expertin.

„Wir brauchen eine Neukonstruktion der Sucht- und Drogenstrategie mit einem Bundesdrogenbeauftragten an der Spitze“, erklärte auch Heino Stöver, Vorsitzender von akzept, Fachverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik. Die derzeit geltende Strategie wurde 2012 beschlossen. Sie verbindet die Säulen Prävention, Beratung und Behandlung, Schadensreduzierung sowie Angebotsreduzierung und Strafverfolgung.

Aktuell agiere ein Bundesdrogenbeauftragter „im losgelösten Raum, ohne Ressourcen und ohne Gesetzgebungskompetenz – er legt allerdings den Finger in die Wunde“, so Stöver.

Rückabwicklung der Teillegalisierung von Konsumcannabis „fatal“

Der Professor für sozialwissenschaftliche Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences hält eine Rückabwicklung der Teillegalisierung von Konsumcannabis für „fatal“ und für einen Rückschritt zurück in die Strafverfolgung.

Die künftigen Regierungsparteien haben sich zwar noch nicht endgültig festgelegt: Während Teile der SPD eine kontrollierte Freigabe von Cannabis befürworten, ist die CDU/CSU eher skeptisch.

„Wir haben gerade erst begonnen mit der Teillegalisierung, erste Evaluationsergebnisse sollten im Herbst vorgelegt werden. Wir hören aber, dass die Kriminalisierungsrate um mehr als 50 Prozent zurückgegangen ist“, sagte Stöver.

Vorher habe es jährlich rund 200.000 Strafverfahren gegeben, die aber meist nicht weiterverfolgt worden seien. Zudem berichteten die Einrichtungen der Suchthilfe, dass der Umgang mit Konsumenten und Angehörigen einfacher werde, weil Cannabis nicht mehr kriminalisiert sei.

Gesellschaft und Politik hätten gerade damit begonnen, einen sachlichen Umgang mit der Droge zu finden. Die Zahl der Strafverfahren sei mit dem Gesetz erheblich gesunken. Gerade für junge Menschen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes wegen des Besitzes von geringen Mengen Cannabis von einer Strafverfolgung betroffen gewesen seien, fielen damit Stigmatisierungen und ihre Folgen weg.

Stövers Ansicht nach müsse das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis verantwortungsvoll weiterentwickelt werden. Beispielsweise sollten der Eigenanbau und die Möglichkeit sich Cannabissozialclubs anzuschließen, um lizensierte Fachgeschäfte erweitert werden, in denen Konsumenten auch zum Gesundheitsschutz beraten werden. Fachgeschäfte seien zudem ein Schutz vor verunreinigten Schwarzmarktprodukten.

Auf weitere wichtige drogenpolitische Themen wies Nina Pritszens, Geschäftsführerin der Berliner Suchthilfeeinrichtung vista, hin: „Wir brauchen neue Behandlungswege für Crackabhängige, die zunehmend vor allem in den Großstädten im öffentlichen Raum verelenden.“ Auch notwendig seien flächendeckende Angebote mit Naloxon für opioidabhängige Menschen.

Notwendig sind der Expertin zufolge zudem Drogenkonsumräume in allen Bundesländern, in denen es auch Angebote zur Substitution und zum Drugchecking geben sollte. Sie forderte die Umsetzung der Bundesgesetzgebung für Drugchecking in allen Bundesländern. Bisher gebe es nur in Mecklenburg-Vorpommern eine entsprechende Verordnung. Berlin und Thüringen ständen in den Startlöchern für Verordnungen.

PB

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