Tabakschwärmer-Raupen als neuer Modellorganismus für präklinische Studien

Giessen – Insektenlarven des Tabakschwärmers sind als neuer Modellorganismus für präklinische Studien stärker ins Visier gerückt. In einer Machbarkeitsstudie (2022 Nature Communications; DOI: 10.1038/s41467-022-34865-7) waren klinische routinebildgebungsverfahren dafür geeignet, chronisch entzündliche Darmerkrankungen bei Insektenlarven vom Tabakschwärmern zu untersuchen.
Bis zu 75 % der Gene, die eine Erkrankung bei Menschen auslösen können, sind auch bei Insekten vorhanden. Auch die Kernkomponenten des angeborenen Immunsystems sind bei Insekten und Säugetieren hochkonserviert.
Im Vergleich zu traditionellen Modellen wie Ratten oder Mäuse bieten Insektenlarven des Tabakschwärmers (Manduca sexta, M. sexta) Vorteile, wie eine schnellere Reproduktion und kosteneffizientere Haltung, die mit weniger moralischen Einwänden assoziiert sind.
Ein internationales Wissenschaftlerteam um Anton Windfelder vom Gießener Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) und der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), schlägt Raupen des Tabakschwärmers als neues Tiermodell für chronisch entzündliche Darmerkrankungen vor, um neue dringend benötigte Therapien zu entwickeln und zu testen.
Sie konnten zum Beispiel zeigen, dass Bildgebungsverfahren, wie Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomografie (PET) für groß angelegte Phänotypisierungen von M. sexta geeignet sind, um verschiedene Aspekte der angeborenen Immunität im Darm zu untersuchen. Per CT konnten zum Beispiel gleichzeitig bis zu 100 Tiere in wenigen Sekunden untersucht und eine Entzündung im Darm der Tiere zielgenau diagnostiziert werden.
Im Unterschied zu traditionellen molekularbiologischen oder histologischen Methoden, überstehen die Tiere die Narkose und Bildgebung sehr gut und leben danach unversehrt weiter, so die Studienautoren. „Das Immunsystem des Darms und die Struktur des Darmepithels der Tabakschwärmerlarven sind mit denen von Säugetieren vergleichbar. Im Unterschied zu anderen Insekten wie etwa der Taufliege Drosophila sind die Raupen des Tabakschwärmers jedoch groß genug für die medizinische Bildgebung“, erläuterte Windfelder.
Die Darmentzündung der Insektenlarven wird in Analogie zu einer Darmentzündung beim Menschen auch mit Kontrastmitteln und speziellen Markern wie FDG (F-Desoxy-Glukose) diagnostiziert. Medikamente wie beispielsweise Cortison, die bei akuten Schüben von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden, zeigen auch bei den Larven des Tabakschwärmers eine deutliche Reduzierung der Entzündung.
In dieser Machbarkeitsstudie zum Nachweis von Colitis erreichte die Bildgebung eine ähnlich hohe Sensitivität und Spezifität im M. sexta-Modell wie bei Menschen mit Morbus Crohn. Zusammenfassend bestätigen die Ergebnisse dieser Studie, dass CT, MRT und FDG-PET geeignete Hochdurchsatztechniken zur Überwachung des Grades und des Fortschreitens von Darmentzündungen und Infektionen bei M. sexta-Larven sind.
Zu beachten ist allerdings, dass Insekten unter anderem ein offenes Kreislaufsystem haben und sich Zuckerstoffwechsel von Insekten und Säugetieren unterscheidet. So wird Glukose bei Insekten vorübergehend in Trehalose umgewandelt, was zu inkonsistenten PET-Befunden beitragen kann, geben die Studienautoren zu bedenken.
Die entwickelte Bildgebungstechniken bieten ein ethisch vertretbares, ressourcenschonendes, hochdurchsatz Screeningtool für verschiedene Life-Science-Disziplinen. Mit M. sexta als Modellorganismus könnten zum Beispiel neue Effektoren und Inhibitoren bei Darmentzündungen identifiziert, Pestizide und anderen Umwelt-aktive Substanzen oder neue Antibiotikatherapien untersucht werden.
Der Ansatz mit M. sexta könnte auch zum Testen von präklinischen Hypothesen bei weiteren Krankheiten wie Krebs, Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen und Infektionen in Betracht kommen.
Insektenlarven könnten traditionelle Modelle mit Mäusen und Ratten nicht vollständig ersetzen, jedoch eine erheblich beschleunigte und kostengünstigere Ergänzung für die präklinische Forschung sein, schlussfolgern die Studienautoren.
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