Taiwan: Angeborener AADC-Mangel durch Gentherapie korrigiert
Taipeh – Die Infusion von Genen in das Putamen, das als Teil der Basalganglien an der Koordination motorischer Bewegungen beteiligt ist, hat bei zehn Kleinkindern möglicherweise die Symptome eines AADC-Mangels gelindert, einer in China häufigen angeborenen Stoffwechselstörung. Die Forscher stellen ihre Ergebnisse in Lancet Child & Adolescent Health (2017; doi: 10.1016/S2352-4642(17)30125-6) vor, die auch zur Behandlung des Morbus Parkinson interessant sein könnten.
In China wird aufgrund einer Gründermutation eines von 32.000 Kindern mit einem AADC-Mangel geboren (in Europa ist die Erkrankung eine absolute Rarität). Die autosomal-rezessive Störung hat den Ausfall der aromatischen L-Aminosäure-Decarboxylase (AADC) zur Folge, die zur Synthese der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin benötigt wird. Die betroffenen Kinder zeigen schwere Entwicklungsstörungen mit motorischen Dysfunktionen (Hypotonie, Hypokinesie, Dystonie und okulogyrische Krise), Verhaltensproblemen (Reizbarkeit, Stimmungsschwäche und übermäßiges Schreien), autonome Dysfunktionen und Schlafstörungen. Eine medikamentöse Therapie mit Monoaminoxidasehemmern oder Dopaminagonisten zeigt allenfalls eine marginale Wirkung. Sie kann den Tod der Kinder, die meistens vor Erreichen des Schulalters sterben, nicht verhindern.
Die US-Firma Agilis Biotherpeutics aus Cambridge/Massachusetts hat eine Gentherapie entwickelt, bei der korrekte Versionen des Gens in Adenoviren verpackt in das Putamen injiziert werden. Das Putamen gehört zu den Basalganglien, die motorische Bewegungen koordinieren und in denen Dopamin der wesentliche Neurotransmitter ist. Das Putamen ist im Unterschied zur Substantia nigra im Säuglingsalter groß genug, um eine stereotaktische Injektion zu ermöglichen.
Wuh-Liang Hwu von der Nationalen Universität von Taiwan in Taipei und Mitarbeiter hatten bereits 2012 über die ersten vier Behandlungsversuche bei Kindern berichtet. Damals war es bei zwei Kindern zu schweren Dyskinesien gekommen (ein Kind musste drei Monate über eine Magensonde ernährt werden, das andere litt unter häufigen Apnoe-Episoden). Auch die Effektivität schwankte stark. Ein Kind konnte jedoch 12 Monate nach der Therapie im Alter von 4,25 Jahren sitzen, mit Unterstützung stehen und sich eigenständig ernähren. Bei einen anderen Kind im gleichen Alter blieb dagegen jede Wirkung aus.
Inzwischen haben die Mediziner in einer offenen Phase-1/2-Studie 10 weitere Kinder behandelt und dabei offenbar bessere Ergebnisse erzielt. Alle Kinder zeigten teilweise deutliche Verbesserungen in ihrer Entwicklung. Ein Kind steigerte sich in den „Peabody Developmental Motor Scales“ von 4 auf 165 Punkte, was einem Entwicklungssprung von 1 auf 14 Monate in der Körperhaltung und von 0 auf 8 Monate in der Beweglichkeit entspricht. In der kognitiven Entwicklung kam es zu einer Verbesserung von 2,3 auf 8 Monate, in der Sprache 3,3 Monate auf 13 Monate. Das Kind kann im Alter von fünf Jahren mit Unterstützung stehen und sich selbstständig bewegen.
Das Kind, das die zweitbesten Fortschritte gemacht hatte, starb leider zehn Monate nach der Gentherapie an einer schweren Influenza mit Hirnbeteiligung. Der jüngste Patient begann im Alter von 3,3 Jahren erste Worte zu sprechen, wenn auch mit einer schweren Apraxie. Bei 6 Kindern berichten die Eltern über eine Verbesserung der Stimmung, bei 9 Kindern ging das Schwitzen zurück, 8 hatten eine stabilere Körpertemperatur und bei 9 Kindern besserten sich die unwillkürlichen Aufwärtsbewegungen der Augen.
Die Forscher registrierten insgesamt 101 unerwünschte Ereignisse, darunter waren 16 Episoden einer Pyrexie und 10 Episoden einer orofazialen Dyskinesie (mit unwillkürlichen Bewegungen von Mund und Kiefer). 12 Ereignisse wurden als schwerwiegend eingestuft. Darunter war der Influenza-Todesfall, eine lebensbedrohliche Pyrexie und 10 Ereignisse, die zur Krankenhausaufnahme führten. Alle Kinder zeigten nach der Behandlung vorübergehend Dyskinesien, die erfolgreich mit Risperidon behandelt wurden. Die Dyskinesien führen die Mediziner auf die einsetzende Stimulierung der Dopaminrezeptoren zurück.
Die Forscher haben aufgrund der Ergebnisse eine Phase-2-Studie begonnen, die verschiedene Dosierungen der Gentherapie vergleichen soll. Sie arbeiten zudem an einer systemischen Gentherapie, bei der die korrekten Genkopien auf das gesamte Gehirn verteilt werden sollen.
Da die Therapie die Produktion von Dopamin steigert, könnte sie auch zur Behandlung des Morbus Parkinson infrage kommen. Zwei Phase-1-Studien aus den USA und Japan haben zuletzt über vielversprechende Ergebnisse berichtet.
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