Transgenderklinik in London könnte vor Klagewelle stehen

London – Dem Tavistockcenter in London droht eine Klagewelle von Familien, deren Kinder dort Pubertätsblocker erhielten, um eine geschlechtliche Transformation zu ermöglichen. Dies berichtet das British Medical Journal (DOI: 10.1136/bmj.o2016) und zahlreiche Publikumsmedien wie die Times in England.
Die „Gender-Identity-Development-Service-Klinik“ am Tavistock and Portman NHS-Trust in London – in der Kurzform als Tavistock oder GIDS bekannt – ist in den vergangenen Wochen in die Schlagzeilen geraten, weil ein kritischer Evaluationsbericht unter Federführung der renommierten Kinderärztin Hillary Cass die Schließung empfohlen hatte.
Dies wurde nicht zuletzt mit einer unkritischen und zu frühen Verordnung von Pubertätsblockern an Kinder und Jugendliche begründet. Nun zeichnet sich ab, dass die Genderklinik und ihre Mitarbeiter auch juristisch zur Rechenschaft gezogen werden könnten. Junge Menschen und ihre Familien wollen sich den Medienberichten zufolge zu einer Massenklage zusammenschließen.
Tom Goodhead, ein Sprecher der Rechtsanwaltskanzlei, die in diesem Fall tätig werden will, äußerte den Vorwurf, Kinder und junge Erwachsene seien fehlerhaft diagnostiziert und in unangemessene Therapien getrieben worden.
Die Betroffenen hätten zum Teil irreversible physische und psychische Gesundheitsschäden davongetragen. „Wir dürfen die Debatte nicht aus Furcht vor dem Thema ‚Genderidentität‘ schließen, und jene, die verantwortlich sind, müssen zur Rechenschaft gezogen werden“, wird Goodhead im BMJ zitiert.
Die Rechtsanwälte erwarten, dass rund 1.000 Familien sich einer solchen Klage anschließen werden. Aus den Akten des GIDS gehe hervor, dass von dort aus rund 1.000 Überweisungen an Endokrinologen erfolgt seien.
Die Klinik verteidigt sich mit dem Hinweis, man habe jeden Fall individuell behandelt, es habe keine Erwartungen gegeben, welches die beste Therapie sein könnte, überhaupt sei nur eine Minderheit derer, die das Tavistockcenter konsultiert hätten, physisch behandelt worden.
Das GIDS weist im Übrigen alle Vorwürfe zurück. Die Schließung habe rein organisatorische Gründe, es solle künftig in England statt eines einzigen Zentrums mehrere, regional verteilte Kliniken geben.
Bereits vor den aktuellen Ereignissen hatte es Klagen einzelner Betroffener gegeben. Bekannt wurde der Fall von Keira Bell, die Pubertätsblocker erhalten hatte, eine Geschlechtstransition durchgemacht hat, es aber später bereute. Therapeuten, die solche Patientinnen und Patienten unterstützen, würden nun immer öfter von solchen „Detransitionierern“ angesprochen, meldet die britische Daily Mail online.
Kritik an der Gender-Affirming-Care
In den USA laufen bereits Massenklagen, die den Verantwortlichen eine fahrlässige und medizinisch nicht sorgfältig abgewogene Verschreibung von Pubertätsblockern vorwerfen. Dort haben sich sogar Pädiater gegen die Empfehlungen ihrer eigenen Fachgesellschaft ausgesprochen.
Sie ziehen in Zweifel, dass die Leitlinien der American Academy of Pediatrics (AAP) aus dem Jahr 2018 in Sachen Transition von Kindern mit Verdacht auf Gender-Dysphorie – die sogenannte „Gender-Affirming-Care“ – tatsächlich evidenzbasiert seien.
Sie halten die Langzeitnebenwirkungen von Pubertätsblockern beispielsweise auf die Gehirnentwicklung und auf körperliche Merkmale wie die Knochendichte für zu wenig erforscht. Mit den Pubertätsblockern beginnt häufig die Transitionsbehandlung. Die Ausbildung von Geschlechtsmerkmalen des bei der Geburt festgestellten Geschlechts – das jedoch nicht das erwünschte ist – wird so gestoppt.
Danach erhalten diejenigen, die sich transformieren möchten, unter anderem Sexualhormone (Cross-Sex-Hormone), um die Ausbildung andersgeschlechtlicher körperlicher Merkmale zu befördern. Schließlich können Operationen die Transformation bis zu einem gewissen Grad vollenden, wenn etwa eine Penisamputation erfolgt, und aus der Haut des Hodensackes eine Neovagina geformt wird, oder wenn plastisch-chirurgisch ein Neopenis konstruiert wird, je nach angestrebtem Geschlecht.
Die World Professional Association for Transgender Health (WPATH) hat sich erst unlängst dafür ausgesprochen, das Alter für die Gabe von Cross-Sex-Hormonen herabzusetzen auf ein Alter von 14 Jahren. Gender-dysphorische Mädchen sollen sich mit 15 die Brüste abnehmen lassen können, gender-dysphorischen Jungen soll es erlaubt sein, ihre Testikel mit 17 entfernen zu lassen.
Eli Colemann, WPATH-Mitglied, erklärte dazu: „Wir sehen die Vorteile, früh zu intervenieren“, abwarten sei häufig mit mentalen Beeinträchtigungen verbunden, auch einem höheren Suizidrisiko. Dass dies belegt sei, bestreiten die Kritiker einer früh intervenierenden Behandlungsstrategie.
Einige Länder haben in Europa aus der unklaren medizinischen Evidenzlage Konsequenzen gezogen. Verantwortliche Medizinerorganisationen in Schweden haben entschieden, dass dort niemand, der jünger als 18 Jahre ist, Pubertätsblocker verabreicht bekommen darf – mit einigen sehr eng umgrenzten Ausnahmen. Finnland setzt die Grenze sogar noch höher an, dort ist es das 25. Lebensjahr.
Ein Endokrinologe der Society for Evidence-based Gender Medicine, William Malone, wird mit seiner Kritik an den Protagonisten einer allzu forsch-frühen Transgendertherapie von Kindern im Economist mit dem Satz zitiert: „Der einzige Weg, sie aufzuhalten, ist, wenn eine massive Zahl von Menschen gesundheitliche Schäden davonträgt, wenn diese sich zusammenschließen und die Menschen, die sie beschädigt haben, verklagen“.
Die Ereignisse um das Tavistockcenter könnten wie ein Brandbeschleuniger wirken, wenn der Wunsch, Kompensation einzuklagen, nun von England aus immer weitere Kreise unter den Betroffenen zöge. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass nicht nur zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht würden, sondern die Behandler zusätzlich eine strafrechtliche Verfolgung fürchten müssen.
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