Tuberkulose: Häufige Erkrankung unter Asylbewerbern - geringes Risiko für Einheimische

Berlin – Jede fünfte Tuberkulose-Erkrankung in Deutschland wird durch das aktive Screening von Asylsuchenden diagnostiziert. Dies geht aus Untersuchungen im Epidemiologischen Bulletin (2017; 43: 487-491 und 491-494) hervor, nach denen sich das umstrittene aktive Röntgenscreening in vielen Erstaufnahme-Einrichtungen bewährt hat. Die Infektionsrate lag generell höher, als nach den bekannten Prävalenzen in den Heimatländern erwartet worden war.
Deutschland gehört zu den Ländern mit einer niedrigen Inzidenz der Tuberkulose. Der langfristige Trend zu einer Abnahme der Neudiagnosen hat sich jedoch in den letzten Jahren abgeflacht. Im Jahr 2015 kam es dann plötzlich zu einem Anstieg um 29 Prozent (von 4.533 auf 5.865 Neudiagnosen). Die Zunahme war Folge der Migrationswelle von 2014/15, als viele Menschen aus Hochinzidenzländern in Deutschland eintrafen.
Obwohl das Infektionsschutzgesetz ein Röntgenscreening nicht zwingend vorsieht –im Prinzip wäre ein ärztliches Zeugnis ausreichend, das aber viele Migranten nicht vorweisen konnten – entschieden sich viele Erstaufnahme-Einrichtungen, bei allen Asylbewerbern eine klassische Röntgenaufnahme des Thorax durchführen zu lassen Ausgenomme sind Schwangere und Kinder, bei denen ein Tuberkulin-Hauttest oder ein Interferon-Gamma-Release-Assay durchgeführt wurde.
Im Jahr 2015 wurden dann im Rahmen der aktiven Fallfindung 1.255 Tuberkulose-Erkrankungen bei Asylsuchenden gemeldet, was einem Anteil von 21 Prozent an allen in Deutschland gemeldeten Erkrankungen entsprach. Bei 89 Prozent der Fälle war die Lunge betroffen. Von diesen pulmonalen Tuberkulosen war jede vierte mikroskopisch positiv. Es waren also Mykobakterien im Sputum vorhanden, was eine hohe infektiosität bedeutet. Hinzu kommt, dass 5,7 Prozent der untersuchten Erreger multiresistent waren. Größere Ausbrüche sind jedoch ausgeblieben. Das Screening habe wahrscheinlich die Exposition vulnerabler Personen einschließlich Kindern in den vollbelegten Gemeinschaftsunterkünften verhindert, schreibt ein Team um Barbara Hauer vom Robert-Koch-Institut in Berlin.
Die meisten Tuberkulose-Erkrankungen wurden bei Asylsuchenden aus Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan und Pakistan gefunden. Die Prävalenz war nach Berechnungen von Sven Stadtmüller vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Köln teilweise deutlich höher als in den Heimatländern, zu denen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Schätzungen veröffentlicht hat. Flüchtlinge aus Eritrea waren 12,7-fach häufiger infiziert, als aufgrund der WHO-Zahlen zu erwarten gewesen wäre. Bei Flüchtlingen aus Eritrea lag die Ratio bei 6,8, bei Ägyptern bei 5,4, bei Syrern dagegen nur bei 2,4.
Bei Menschen aus Syrien – wo auch die WHO-Schätzungen eine geringere Prävalenz annehmen als in Ostafrika – stellt das Screening laut Stadtmüller eine weniger kosteneffiziente Maßnahme dar als bei Migranten aus Afrika. Dennoch erscheint es Stadtmüller vertretbar, bei allen Migranten ein aktives Screening zu betreiben, da bei passiver Fallfindung (das heißt einer Diagnose aufgrund von Symptomen) eine größere Zahl von Kontaktpersonen identifiziert und untersucht werden müssten. Da der Zugang zur Gesundheitsversorgung für Asylsuchende in Deutschland eingeschränkt ist, könnte hier ein Ausbruch leicht übersehen werden.
Die hohe Prävalenz bei Asylsuchenden aus Afrika lässt es für Stadtmüller ratsam erscheinen, auch Menschen mit einem negativen Ergebnis regelmäßig zu untersuchen. Viele Asylbewerber, deren Röntgenbefund der Lunge unauffällig ist, könnten latent mit Mykobakterien infiziert sein. Bei diesen Personen kann es zu einem späteren Zeitpunkt zum Ausbruch einer aktiven Tuberkulose kommen.
Eine Gefährdung der einheimischen Bevölkerung durch Tuberkuloseerkrankungen von Asylbewerbern ist derzeit nicht erkennbar. Die Zahl der Erkrankungen bei in Deutschland geborenen Menschen ist von 3.630 im Jahr 2001 auf 1.427 im Jahr 2016 zurückgegangen. Die meisten Tuberkulose-Erkrankungen entfallen auf Menschen, die sich im Heimatland infiziert haben und bei denen es dann irgendwann in Deutschland zu einer aktiven Erkrankung kommt.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: