Tuberkulose: Weltweite Zahl der Todesfälle steigt wieder an

Genf – Die Zahl der Neudiagnosen an einer Tuberkulose ist im ersten Jahr der Coronapandemie weltweit um 18 Prozent gefallen. Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist dies ein schlechtes Zeichen, weil es bedeutet, dass mehr Erkrankungen nicht erkannt wurden und die Erkrankten damit auch leichter andere Menschen infizieren können. Die WHO schätzt, dass die Zahl der Todesfälle 2020 erstmals seit einem Jahrzehnt angestiegen ist.
Laut dem „Global Tuberculosis Report 2021“ ist die Zahl der neu gemeldeten Tuberkuloseerkrankungen von 7,1 Millionen im Jahr 2019 auf 5,8 Millionen im Jahr 2020 gesunken. Dies ist jedoch nicht dem Lockdown oder anderen Maßnahmen der Pandemie zu verdanken, die im Prinzip auch das Ansteckungsrisiko einer Tuberkulose senken würden.
Da die meisten Erkrankungen Folge einer Reaktivierung einer langjährigen latenten Infektion sind, kommt diese Erklärung nicht in Frage. Plausibler erscheint, dass sich infolge der Pandemie die Gesundheitsversorgung in vielen ärmeren Ländern verschlechtert hat, in denen die meisten Tuberkulosefälle auftreten.
Nach Schätzungen der WHO leiden derzeit etwa 4,1 Millionen Menschen an einer nicht erkannten und gemeldeten Tuberkulose. Dies stellt einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr dar, als nur 2,9 Millionen Erkrankungen unerkannt blieben.
Den größten Anteil am weltweiten Rückgang der Meldungen hatten Indien (41 Prozent), Indonesien (14 Prozent), die Philippinen (12 Prozent) und China (8 Prozent). Auf diese und 12 weitere Länder entfielen 93 Prozent des weltweiten Rückgangs der Meldungen.
Auch die Zahl der Präventionsbehandlungen ist gesunken. Die WHO rät allen HIV-Infizierten sowie Familienangehörigen von Patienten mit einer offenen Lungentuberkulose sowie einigen klinischen Risikogruppen zu einer vorsorglichen Behandlung. Im Jahr 2020 konnten nur 2,8 Millionen Menschen darauf zugreifen, 21 % weniger als im Jahr zuvor.
Die Zahl der diagnostizierten und behandelten MDR-Tuberkulosen („Multidrug-resistant tuberculosis“) ist ebenfalls rückläufig. Wurden im Jahr 2019 noch 177.000 Patienten behandelt, waren es 2020 nur noch 150.000. Die WHO schätzt, dass nur 1 von 3 MDR-Tuberkulosen behandelt wird.
Die Pandemie trägt dazu bei, dass die WHO ihr Ziel, die Zahl der Neuerkrankungen bis 2030 um 80 Prozent und die Zahl der Todesfälle um 90 Prozent zu senken, sowie 100 Prozent aller Familien vor katastrophalen Kosten zu schützen, nicht erreichen wird. Auch ohne COVID-19 wäre dies vermutlich nicht gelungen. Die Zahl der Neuerkrankungen war seit 2015 nur um 11 Prozent (statt der erhofften 20 Prozent) gesunken. Bei den Todesfällen beträgt der Rückgang seit 2015 nur 9,2 Prozent (statt den erhofften 35 Prozent).
Nur die WHO-Region Europa hat den „Meilenstein“ von 2020 erreicht. Die Zahl der Erkrankungen ist um 25 Prozent gesunken. Dies war hauptsächlich auf einen Rückgang in Russland zurückzuführen, wo die Inzidenz zwischen 2010 und 2020 pro Jahr um 6 Prozent sank.
Die WHO-Region Afrika hätte das 20-Prozent-Ziel beinahe erreicht: Die Zahl der Erkrankungen ging um 19 Prozent zurück, was vor allem einem beeindruckenden Rückgang von 4 Prozent bis 10 Prozent pro Jahr in Südafrika und mehreren anderen Ländern im südlichen Afrika zu verdanken ist. Dort konnten nach dem Höhepunkt der HIV-Epidemie auch die Behandlungszahlen gegen die Tuberkulose gesteigert werden.
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